Hamburg. Handelskammer-Präses Bergmann tritt nach einer turbulenten Amtszeit zurück – am Ende stürzten ihn seine eigenen Leute.
Der prunkvolle Bau mit seinem klassizistischen Säuleneingang und den wuchtigen Mauern steht unverrückt am Adolphsplatz. Aber drinnen, hinter den Mauern, hat sich am Wochenende die Struktur aufgelöst. Tobias Bergmann, der 234. Präses der Handelskammer, seit Gründung ihrer Vorläuferin, der Commerzdeputation 1665, hat sein Amt hingeschmissen. Und ob die restlichen Mitglieder des insgesamt siebenköpfigen Präsidiums weitermachen, ist mehr als offen.
Bergmann hatte seinen Posten gerade einmal 20 Monate inne. Das ist die kürzeste Amtszeit seit 1946, als Präses Johann Jacob Paul Wirtz nach nur einem Jahr aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste. Kurz wie die Amtszeit war auch das Ende, mit dem Bergmann sein Wirken in der ehrwürdigen Hamburger Wirtschaftsvertretung verkündete: „Es war mir eine Ehre, Freude und Bürde“, schrieb er am Sonnabendnachmittag auf seiner Facebook-Seite. Dann erklärte der Handelskammer-Präses seinen Rücktritt von allen Ämtern. Bergmanns Ära in der Handelskammer ist nun Geschichte.
Schon Bergmanns erste Amtshandlung führte zu Spannungen
Glanzvoll hatte diese Geschichte vor gut eineinhalb Jahren begonnen: Mit seiner Begeisterungsfähigkeit und seinem Optimismus hatte er die Kammerrebellen bei den Wahlen im Frühjahr mit einem überwältigenden Sieg in das Haus am Adolphsplatz geführt, dem er bereits seit 2011 angehörte. Mit dem Wahlversprechen, die Zwangsbeiträge für die Handelskammer abzuschaffen, eroberte das von Bergmann geführte Bündnis „Die Kammer sind Wir!“ 55 von 58 Sitzen im Plenum. Fortan bestimmten die „Kammer-Rebellen“ den Kurs des Hauses und stellten das siebenköpfige Präsidium mit Bergmann an der Spitze.
Senator und Bürgermeister schweigen zum Rücktritt
Doch schon dessen erste Amtshandlung führte zu internen Spannungen: Anstatt den bei den Kammer-Rebellen ungeliebten Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz zu entlassen, vereinbarte das Präsidium mit ihm einen umfangreichen Aufhebungsvertrag. Statt zu sparen, zahlte die Kammer Schmidt-Trenz mehr als eine Million Euro Abfindung. Es mag als Treppenwitz der Geschichte gelten, dass wiederum eine andere Abfindungszahlung zu einem jener Stolpersteine wurde, die Bergmann am Ende zu Fall gebracht haben.
Aussagen Bergmanns wurden vom Plenum wieder kassiert
Gemeint ist der Aufhebungsvertrag für die ehemalige Kammer-Bereichsleiterin Corinna Nienstedt. Die von Bergmann geholte Hauptgeschäftsführerin der Kammer, Christi Degen, hatte Nienstedt eine Abfindung über 33.500 Euro zugestanden, obgleich sie selbst gekündigt hatte. Degen hätte diese Summe niemals ausgeben dürfen, sagen ihre Kritiker im Kammer-Plenum und fordern, dass die Hauptgeschäftsführerin das Geld dem Haushalt erstattet. Bergmann hat bis zum Schluss loyal zu Degen gestanden und ihre Entlastung gefordert. Der Streit war programmiert, und es wäre bei der Plenumssitzung am kommenden Freitag zum offenen Bruch gekommen, hätte Bergmann nicht vorher die Reißleine gezogen.
Der Streit um die Abfindung war nicht der einzige Grund, der Bergmann zum Rückzug bewog. Immer wieder waren ihm Teile seines Bündnisses mehr oder minder offen in den Rücken gefallen. Aussagen, die Bergmann in der Öffentlichkeit machte, wurden vom Plenum wieder kassiert – wie etwa die zu den Betriebszeiten des Flughafens. Sein Rückhalt schwand, auch im Präsidium.
„Kammer-Rebell“ Hans-Georg Kuhlmann forderte Bergmanns Rücktritt
Bergmann selbst begründete die Querschläge mit der Heterogenität des Plenums. „Hier wird die Vielfalt der Hamburger Wirtschaft abgebildet – vom Vermögensberater bis zum Fahrradkurier. Es gibt bei den handelnden Personen unterschiedliche Perspektiven, Meinungen und wirtschaftspolitische Vorstellungen. Das sehen wir als Gewinn“, sagte er noch im November dem Abendblatt. Tatsache ist aber, dass die Reformer auch aus der Hamburger Wirtschaft viel Kritik hinnehmen müssen, weil sie ihr wichtigstes Wahlversprechen nicht halten können – die Abschaffung der Pflichtbeiträge.
Schließlich forderte „Kammer-Rebell“ Hans-Georg Kuhlmann in der vergangenen Woche im Abendblatt Bergmanns sofortigen Rücktritt, nachdem bekannt geworden war, dass dieser sich auf Kammer-Kosten ein Coaching durch eine Unternehmensberaterin genehmigt hatte. „Bergmann ist ein bayerischer Schönwetter-Kapitän, der nach Hamburg kommt und die Handelskammer kaputt macht“, sagte Kuhlmann, der einst einer der zuverlässigsten Anhänger Bergmanns war.
Wie geht es in Hamburgs Wirtschaftsvertretung weiter?
Intern war der Konflikt der Rebellen freilich viel früher eskaliert. Im Mai überstand Bergmann nur knapp eine Misstrauensabstimmung innerhalb der Wir-Gruppe. Von da an war die Gruppe gespalten. Dabei haben die Rebellen einiges erreicht: Die Kammer ist demokratischer und transparenter geworden. Unter Bergmanns Führung wurde die Effizienz erhöht und ein Reformprozess angestoßen: Die Struktur wurde verschlankt. Anstatt elf gibt es nur noch fünf Geschäftsbereiche, die Zahl der Führungskräfte ist gesunken. Von 260 Angestellten müssen bis 2021 voraussichtlich 60 gehen. Doch statt das als Erfolg zu feiern, war die Gruppe auch über den Reformprozess zum Schluss zerstritten. So stand zuletzt ein Antrag der Vize-Präsides Torsten Teichert und André Mücke im Raum mit dem Ziel, den Umbau der Kammer sofort zu stoppen. Bergmann wird darüber nicht mehr abstimmen.
Viel mehr ist nun die Frage, wie es in Hamburgs Wirtschaftsvertretung überhaupt weitergeht. Wer auf einen schnellen Neuanfang gehofft hat, muss sich weiter gedulden. Auch nach mehreren Sitzungen konnte sich das verbliebene Präsidium am Wochenende nur auf einen Minimalkonsens verständigen: Anfang dieser Woche wird beraten, wie es weitergehen soll. Zunächst soll Vizepräses André Mücke kommissarisch die Geschäfte führen. Aus Kreisen hieß es, dass möglicherweise das gesamte Präsidium zurücktritt und dessen Mitglieder neu aus dem Plenum gewählt werden müssen. Aber auch dagegen gibt es noch Widerstand.
Offen ist, was mit Hauptgeschäftsführerin Christi Degen geschieht
Als eher unwahrscheinlich gilt, dass es insgesamt zu vorgezogenen Neuwahlen in der Hamburger Wirtschaft kommt. Hintergrund ist, dass die Kammer derzeit über keine gültige Wahlordnung verfügt. So hatte das Bundesverfassungsgericht kürzlich geurteilt, dass die Kammern laut Gesetz ein Abbild der regionalen Wirtschaft sein müssen. Da das Plenum aber derzeit fast ausschließlich aus Mitgliedern von Bergmanns Wahlbündnis besteht, und diese wiederum fast ausschließlich kleine Unternehmen vertreten, fehlt die Spiegelbildfunktion. Vor den nächsten Kammerwahlen, die Anfang 2020 anstehen, muss die Wahlordnung also noch überarbeitet werden.
Offen ist auch, was mit Hauptgeschäftsführerin Christi Degen geschieht. Wie das Abendblatt erfuhr, hat das Präsidium am Sonntag auch über ihre Zukunft beraten. Vorerst ohne Ergebnis. Degens Zustimmung war wie die für Bergmann im Plenum in den vergangenen Wochen gesunken. Es könnte durchaus sein, dass auch sie dem Umbruch in der Handelskammer zum Opfer fällt.