Hamburg. Bürger entscheiden über geplanten Bau von 100 Wohnungen in Winterhude. Das Streitgespräch zwischen SPD und Bürgerinitiative.

Die mehr als 250.000 Einwohner von Hamburg-Nord haben in den letzten Tagen die Abstimmungsunterlagen für den Bürgerentscheid „SOS Mühlenkampkanal“ erhalten. Bis zum 6. Dezember sollen sie sich entscheiden, ob sie für oder gegen das Bauvorhaben sind, das die Robert Vogel KG auf einem Grundstück zwischen Dorotheenstraße und Mühlenkampkanal plant: Auf dem Dach einer maroden Tiefgarage sollen im Rahmen deren Sanierung sieben siebenstöckige Gebäude mit etwa 100 Wohnungen entstehen – ergänzend zu drei Hochhäusern, die bereits auf dem Grundstück stehen.

Das umstrittene Vorhaben hatte in den vergangenen eineinhalb Jahren zu hitzigen Diskussionen geführt – zwischen dem Investor, der Bürgerinitiative und den Bezirksfraktionen, die, mit Ausnahme der Linken, das Vorhaben unterstützen. Obwohl auch die Vorsitzenden der rot-grünen Bürgerschaftsfraktionen versuchten, einen Kompromiss herbeizuführen, scheiterten die Verhandlungen im September: Die Initiative brach die Gespräche entnervt ab. Das Abendblatt wollte von Thomas Domres, dem Fraktionsvorsitzenden der SPD, und Holger Landahl, der Vertrauensperson der Initiative, wissen, weshalb die Verhandlungen abgebrochen wurden und worum es bei der Abstimmung jetzt genau geht.

Herr Landahl, Herr Domres, schildern Sie doch bitte jeder einmal die Situation, wie sie sich aus Ihrer Sicht darstellt.

Holger Landahl: Wir haben die Gespräche beendet, weil wir innerhalb der mehrmonatigen Verhandlungen kein Entgegenkommen des Investors verzeichnen konnten. Wir haben eine Höchstgrenze von drei Geschossen plus Staffelgeschoss gefordert. Doch es gab keine wesentliche Reduzierung des Bauvolumens. Und die günstigen Mieten, mit denen die Robert Vogel KG wirbt, sind nur für fünf Jahre festgeschrieben, danach wird sie sich hier eine goldene Nase verdienen. Dafür wollen wir keine grüne Wiese mit 100 Bäumen opfern.

Thomas Domres: Der Investor hat seinen ursprünglichen Entwurf nachgebessert. Die Gebäude- und die Geschossanzahl wurden jeweils von sieben auf fünf reduziert. Außerdem sollten die Häuser bis zu fünf Meter entfernt vom Ufer entstehen. Der so entstandene Grünstreifen wäre öffentlich nutzbar gewesen, unter anderem durch drei Steganlagen. Diesen Plan hat Oberbaudirektor Höing persönlich entworfen. Die Initiative hat damit einen städtebaulich guten Kompromiss ausgeschlagen.

Tatsächlich stimmen die Bürger jetzt ja über den ursprünglichen Entwurf ab, und der hat sieben Geschosse. Ärgert man sich in der Initiative darüber, Herr Landahl?

Landahl: Wir haben das mit der Basis, also unter den aktiven Mitgliedern, ausgiebig diskutiert.

Können Sie, Herr Domres, sich denn tatsächlich sieben siebenstöckige Häuser hier am Kanal vorstellen?

Domres: Nein, wir haben nach langen Diskussionen mit der Initiative und dem Oberbaudirektor eine andere und bessere Planidee. Wir würden uns für deren Realisierung einsetzen.

Und warum gehen sie nicht auf die Forderung der Initiative nach drei Geschossen ein? Haben Sie versucht, den Investor dazu zu bewegen?

Domres: Ja. Aber wir halten fünf bis sechs Geschosse für verträglich. Außerdem könnte der Investor dann keine Mieten unter 9 Euro anbieten. Und in Winterhude bezahlbaren Wohnraum zu schaffen ist unser Kernanliegen.

Landahl: Das ist in diesem Fall aber eine Mogelnummer. Da die Mietpreisbremse für Neubauten nach 2014 nicht gilt, könnten sich die Mieten bei Neuvermietung nach fünf Jahren verdoppeln.

Laut Investor darf er wegen der Kappungsgrenze dreimal im Abstand von drei Jahren die Miete um 15 Prozent erhöhen. Bei einer Anfangsmiete von 8,60 Euro wären für eine 80-Quadratmeter-Wohnung nach 14 Jahren rund 1050 Euro fällig. Können sich das Mieter, die heute auf günstigen Wohnraum angewiesen sind, dann noch leisten, Herr Domres?

Domres: Ich gehe davon aus, dass sich das Einkommen in 15 Jahren um 50 Prozent steigert. Damit dürfte das dann möglich sein.

Landahl: Die Kappungsgrenze gilt nur für Bestandsmieter. Es ist aber davon auszugehen, dass dann keiner der Anfangsmieter mehr hier lebt. Der Investor kann das steuern, indem er ältere Mieter oder junge Paare auswählt, die bis dahin im Seniorenheim oder in einer familiengerechten Wohnung leben.

Domres: Hier sind mit Zwei- bis Vierzimmerwohnungen auch durchaus Familienwohnungen geplant.

Landahl: Der Investor hat der Immobilienzeitung gegenüber behauptet, dass sich die Mieterschaft ,binnen 15 Jahren einmal gedreht‘ haben wird. Dann wird die Miete bei Neuvermietung weit mehr als doppelt so hoch sein wie die jetzt propagierte günstige Anfangsmiete.

Dann gibt es die vom Bezirk gewollte soziale Durchmischung nur eine Zeit lang?

Domres: Das ist besser als gar nicht.

Es geht der Initiative ja auch um das Grün, das durch die Bebauung vernichtet wird.

Landahl: Immerhin 100 Bäume!

Domres: Die müssten für die notwendige Sanierung der abgängigen Tiefgarage ohnehin weg. Ich habe die Info, dass nicht nur das Dach, sondern auch die Kanalseite der Garage saniert werden muss.

Vor zehn Jahren wollte die Robert Vogel KG schon einmal 80 weitere Wohnungen auf dem Grundstück errichten. Schon damals hieß es, die Tiefgarage sei renovierungsbedürftig. Hat der Bezirk das Vorhaben damals abgelehnt?


Domres: Der Investor hatte sich zurückgezogen.

... und die Sanierung der Garage verschleppt.

Domres: Das ist seine Privatsache.

Landahl: Sie hat aber Folgen. Und zwar, dass für einen Investor, der in der Hamburger Politik bestens vernetzt ist, ein Bebauungsplan geändert wird.

Die Fraktion Die Linke behauptet, die Hochhäuser durften in den 60er-Jahren nur mit der Maßgabe gebaut werden, dass die umliegenden Flächen als Grünanlagen dienen.

Domres: Im Bebauungsplan aus den 80er-Jahren taucht das nicht auf.

Landahl: Schon damals hat Robert Vogel eine Vorzugsbehandlung erfahren. Er durfte die Hochhäuser auf einem ehemaligen Fabrikgelände bauen, weil es dadurch versiegelt wurde.

Domres: Tatsächlich weiß niemand, was hier im Boden schlummert, weshalb auch die untere Bodenplatte bei dem Bau- und Sanierungsmaß nicht angefasst werden darf. Andererseits handelt es sich deshalb aber auch um eine versiegelte Grünfläche mit einem geringeren Umweltwert. Es ist also besser, hier ein Neubauquartier zu errichten als am Stadtrand auf der grünen Wiese.

Die Dorotheenstraße ist schon jetzt eng und zugeparkt. Wie soll hier der Baustellenverkehr durchkommen?

Domres: Das wird unangenehm – wie bei jeder Baustelle. Aber ein Teil des Baumaterials kann auch mit Schuten über den Kanal geliefert werden.
Landahl: Der Investor wird für die mehr als 100 Wohnungen nur 20 zusätzliche Stellplätze in der Tiefgarage schaffen. Die Verkehrs- und Parkplatzsituation im Viertel wird weiter verschärft.

Warten wir ab, wie die Bürger entscheiden. Meine letzte Frage lautet: Warum sind die Vorlagen auf dem Stimmzettel so kompliziert formuliert?


Landahl: Wir waren gehalten, uns textlich so eng wie möglich an unsere ursprünglichen Forderungen zu halten.
Domres: Und wir haben mit drei Fraktionen daran geknobelt.