Hamburg. Von 2022 an sollen 810 Nachwuchskräfte jährlich ihr Referendariat abschließen. Doch noch fehlen viele Lehrer in der Hansestadt.
Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist ein vorsichtiger Politiker, der in der Regel nicht zu drastischen Zustandsbeschreibungen neigt. Für seine Verhältnisse wurde der SPD-Politiker gestern allerdings sehr deutlich. „Der Lehrermangel nimmt bundesweit dramatische Ausmaße an. Hamburg steht zwar vergleichsweise gut da, aber wir dürfen nicht darauf setzen, dass es so weitergeht“, sagte Rabe.
Die Konsequenz: Der Schulsenator will die Ausbildungskapazitäten für Nachwuchslehrer schrittweise bis 2020 noch einmal deutlich erhöhen. Von 2022 an werden dann pro Jahr 810 angehende Lehrerinnen und Lehrer ihr Referendariat abschließen und als Studienräte in den Schuldienst wechseln. Das ist eine Steigerung um 40 Prozent, denn bislang legen pro Jahr 570 Referendare ihre Abschlussprüfung ab.
Referendariat dauert in Hamburg eineinhalb Jahre
Das Referendariat – die zweite Phase der Lehrerausbildung nach dem Studium – dauert in Hamburg eineinhalb Jahre. Damit jeweils 810 Nachwuchskräfte pro Jahr das Referendariat beenden können, müssen etwa ein Drittel mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen. Von Februar 2019 an soll die Kapazität in vier halbjährlichen Schritten von derzeit 855 um 360 auf 1215 Plätze erhöht werden. Die Kosten für den Ausbau belaufen sich nach Angaben Rabes auf 3,8 Millionen Euro.
Wie drängend das Thema ist, zeigt sich auch daran, dass dies bereits die dritte Aufstockung der Ausbildungskapazitäten innerhalb eines Jahres ist. „Wir brauchen mehr Lehrer, als wir derzeit ausbilden. Durch den erheblichen Notstand in Schleswig-Holstein und Niedersachsen ist uns deutlich geworden, dass wir schnell handeln müssen“, sagte der Senator.
Defizit von 540 Lehrerstellen bis 2022 in Hamburg
Ausschlaggebend für den neuerlichen Vorstoß Rabes, den die Bürgerschaft noch beschließen muss, ist die Lehrerbedarfsanalyse bis 2030, die die Kultusministerkonferenz im Oktober für alle Bundesländer vorgestellt hat. Danach müssen innerhalb dieses Zeitraums bundesweit rund 32.000 Lehrkräfte eingestellt werden. Die größten Lücken werden für die ostdeutschen Länder prognostiziert. Für Hamburg wurde ein Defizit von 540 Lehrerstellen bis 2022 errechnet, allein im Grundschulbereich mehr als 400.
Noch übersteigt die Nachfrage deutlich das Angebot: Die Zahl der Bewerber für das Lehramt an Gymnasien sowie an Grund-, Haupt- und Realschulen lag bis zu fünfmal höher als die Zahl der Referendariatsplätze. Im Durchschnitt aller Lehrämter gab es dreimal so viele Bewerber wie Plätze.
Zustrom von Nachwuchslehrern in Hamburg erheblich
Anders als in anderen Ländern ist der Anteil der Quereinsteiger (ohne Lehramtsstudium, aber mit Referendariat) mit drei bis fünf Prozent sehr niedrig. Quereinsteiger werden nur für ausgesprochene Mangelfächer wie Informatik und Physik an den allgemeinbildenden Schulen eingestellt.
Ein Grund für die relativ günstige Ausgangslage Hamburgs besteht darin, dass der Zustrom von Nachwuchslehrern aus anderen Ländern erheblich war und ist. Noch verlassen auch mehr junge Menschen die Hamburger Universität mit abgeschlossenem Lehramtsstudium als Referendariatsplätze vorhanden sind. Das Verhältnis wird sich aber nach der Aufstockung auf 1215 Plätze umdrehen, sodass Hamburg absehbar auch in Zukunft auf auswärtigen Nachwuchs angewiesen sein wird. Nachdem in früheren Jahren 500 bis 700 Lehrer pro Jahr neu eingestellt wurden, sind es seit 2010 zwischen 800 und 1100 Pädagogen. „Den künftigen jährlichen Lehrerbedarf schätzen wir auf 800 pro Jahr“, sagte Rabe.
In Hamburg sind derzeit 180 Lehrerstellen unbesetzt
„Die Pläne des Schulsenators sind prinzipiell begrüßenswert, aber diese Einsicht kommt reichlich spät“, sagte die CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver. Hamburg lebe bei der Lehrerausbildung seit Jahren auf Kosten anderer Länder. Laut der Senatsantwort auf eine Stöver-Anfrage kam ein Drittel aller nach dem Referendariat direkt in den Schuldienst übernommenen Pädagogen nicht aus Hamburg, bei den Gymnasiallehrern allein waren es knapp 40 Prozent.
„Die Erhöhung der Plätze ist das absolute Minimum. Daneben muss unbedingt an der Qualität des Hamburger Schulsystems gearbeitet werden“, sagte die FDP-Schulpolitikerin Anna von Treuenfels-Frowein. „Es war längst überfällig, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen, in Hamburg sind derzeit 180 Lehrerstellen unbesetzt“, sagte Linke-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.