Unkelbach: Der Kraftraum ist unser kleines olympisches Dorf
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Hamburg. Seit 30 Jahren bringt der OSP Topathleten hervor. Interview über den Wandel des Leistungssports und Frauen in Führungsrollen.
Die Geschichte des Olympiastützpunkts (OSP) Hamburg/Schleswig-Holstein, der am kommenden Montag im BeachCenter am Alten Teichweg auf dem obligatorischen Jahresabschlussfest sein 30-jähriges Bestehen feiert, ist mit Ingrid Unkelbach eng verwoben. Dessen Geburtsstunde erlebte die heute 58 Jahre alte Ex-Leistungsschwimmerin als Laufbahnberaterin für die Athleten. Seit 2001 leitet sie die Einrichtung, an der aktuell rund 330 Kaderathleten betreut werden. Sechs Bundesstützpunkte sind mittlerweile in Dulsberg angesiedelt, nur 25 Internatsplätze stehen für die auswärtigen Toptalente zur Verfügung. Das ist aber nicht das einzige Thema, das Unkelbach zum Jubiläum umtreibt.
Frau Unkelbach, 30 Jahre sind Sie in einem Job, der immense zeitliche Belastung mit sich bringt und enorm viel Fachwissen und Flexibilität erfordert: Wie bleibt man da täglich motiviert und glücklich?
Ingrid Unkelbach: Mich reizt es einfach, junge, engagierte Menschen bei dem zu begleiten, was sie leisten. Als ehemalige Leistungssportlerin brauche ich immer neue Herausforderungen, und die bietet mir mein Job. Das ist meine Motivation. Ich könnte gar nicht sagen, ob ich einen anderen Job mit weniger Herzblut machen würde. Aber glücklich bin ich, wenn unsere Sportler sagen, dass man sich auf das Team am OSP verlassen kann, dass wir wie eine Familie sind und mit unserem Engagement für höchste Qualität bürgen. Diese persönliche Nähe ist mir sehr wichtig.
In welchen Bereichen hat sich Ihr Arbeitsfeld und vor allem der Blick von außen auf den Leistungssport in den vergangenen 30 Jahren verändert?
Unkelbach: Mein Glück war, dass mir mein Vorgänger Jürgen Greve eine sehr gute Basis hinterlassen hatte, von der aus ich von 2001 an aufbauen konnte. Er selbst hat noch die Zeiten erlebt, in denen gegen Maßnahmen zur Förderung des Leistungssports demonstriert wurde. Er hat viele harte Kämpfe geschlagen. Mir kamen die Hamburger Anläufe für die Olympiabewerbungen 2012 und 2024 zugute, die haben dafür gesorgt, dass das Bewusstsein für unsere Arbeit deutlich gewachsen ist. Auch im Stadtteil Dulsberg ist die Wertschätzung enorm gestiegen, weil die Menschen spüren, dass wir gute und wichtige Arbeit machen. Trotz aller Negativschlagzeilen rund um Olympia und Spitzensport im Allgemeinen wie Korruption oder Doping glaube ich, dass der OSP positiv besetzt ist.
Ist der Sportler von heute anspruchsvoller als der vor 30 Jahren?
Unkelbach: Grundsätzlich nicht. Aber die Anforderungen an Leistungssportler sind deutlich gestiegen. Es wird in viel höheren Umfängen trainiert, dazu kommt die berufliche oder schulische Belastung durch das Modell der dualen Karriere, das wir in Deutschland fördern.
Erfolgreiche Frauen am Olympiastützpunkt
Der Olympiastützpunkt Hamburg/Schleswig-Holstein hat in seiner 30-jährigen Geschichte viele großartige Sportlerinnen hervorgebracht. Die aktuell bekannteste ist Beachvolleyballerin Laura Ludwig (32), die 2016 in Rio de Janeiro an der Seite von Kira Walkenhorst Olympiagold gewann und im vergangenen Jahr Weltmeisterin wurde.
Nach der Geburt ihres ersten Kindes ist sie seit dieser Woche wieder voll im Training. Ruderin Meike Evers (41) holte sowohl 2000 in Sydney als auch 2004 in Athen olympisches Gold im Doppelvierer und ist aktuell Antidoping-Vertrauensperson im Deutschen Olympischen Sportbund.
Schwimmerin Sandra Völker (44) holte 45 deutsche Meistertitel, war mehrfache Weltrekordlerin und zweifache Weltcup-Gesamtsiegerin.
Hockeyspielerin Janne Müller-Wieland(32) ist Spielführerin der Nationalmannschaft, nahm 2008, 2012 und 2016 an Olympischen Spielen teil, gewann in Rio 2016 Bronze und mit dem Uhlenhorster HC zahlreiche deutsche Meistertitel.
ParakanutinEdina Müller (35) gilt als Vorzeigefrau des paralympischen Sports, war 2012 Paralympicssiegerin im Rollstuhlbasketball.
Ist dieses Modell noch zeitgemäß angesichts internationaler Konkurrenz, die sich komplett auf den Sport konzentrieren kann, weil sie finanziell besser ausgestattet wird?
Unkelbach: Ich halte es für alternativlos. Wenn ich sehe, wie schwer sich viele Profisportler auch hierzulande tun, den Übergang in das Leben danach zu schaffen, dann muss ich den vielen Athleten, die von ihrem Sport nicht leben können, ganz klar empfehlen, sich parallel um die berufliche Zukunft zu kümmern. Man darf nicht alles auf die sportliche Leistung fokussieren, sondern muss die Gesamtheit sehen, den ganzen Menschen in seinem kompletten Lebensumfeld.
Die auf den Weg gebrachte Leistungssportreform in Deutschland zielt in eine andere Richtung. Die Besten sollen noch stärker gefördert werden, um sich auf ihren Sport konzentrieren zu können, der Rest soll am besten gar nicht erst auf den Sport setzen.
Unkelbach: Das ist sehr vereinfacht ausgedrückt. Aber tatsächlich bereitet es auch mir Sorge, dass die Nachwuchskader aus der Förderung fallen, obwohl das die High Potentials für den Olympiazyklus nach Tokio 2020 sind. Und das nicht nur bei der Förderung durch staatliche Mittel, sondern auch bei der Sporthilfe, die ihr Fördersystem ebenfalls umgestellt hat. Sich um diese Sportler nicht mehr zu kümmern wäre aber fatal, damit sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen. Die Topsportler brauchen starke Trainingsgruppen, dafür braucht es auch die Kader hinter dem Elitekader. Umso engmaschiger muss die Betreuung werden, die wir am OSP anbieten.
Dann ist es ja umso besser, dass Ihr Etat von 1,6 Millionen Euro 2019 dank der Leistungssportreform um 800.000 Euro aufgestockt wird ...
Unkelbach: Mit Verlaub, aber das ist Unsinn, auch wenn es so von mancher Seite aus berichtet wurde. Fakt ist, dass wir durch das neue Bund-Länder-Abkommen jetzt zu 100 Prozent vom Bund finanziert werden. Bislang trug der Bund 67 Prozent und die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein 33. Wie hoch der Mittelaufwuchs effektiv sein wird, kann mir heute niemand verbindlich sagen, zumal nicht klar ist, auf welcher Berechnungsgrundlage der Bund die Finanzierung der verschiedenen OSP vornimmt. Aus meiner Erfahrung heraus bin ich deshalb vorsichtig.
Notwendig wäre mehr Geld allemal. Es braucht mehr Internatsplätze, Anlagen müssen modernisiert, mehr qualifizierte Trainer eingestellt werden.
Unkelbach: Keine Frage. DOSB-Präsident Alfons Hörmann hat für Hamburg den Begriff des „Hinterhof-OSP“ geprägt. Uns fehlen Internatsplätze und ein Haus der Athleten, in dem ein Internat, ein Wohnheim, ein Hotel für zentrale Maßnahmen und ein Teilzeitinternat für die rund 200 Eliteschüler, die wir betreuen, untergebracht sind. Das ist an anderen Standorten in Deutschland Standard. Der Ausbau des OSP ist längst ein Thema, aber es ist ein Mammutprojekt. Zum Glück haben wir mit Andy Grote einen Sportsenator, der unsere Arbeit sehr wertschätzt und uns unterstützt, wo er nur kann.
Stört es Sie eigentlich, dass die Verwaltungsaufgaben – Stichwort Leistungssportreform – immer mehr werden und Sie sich um Ihre wichtigste Aufgabe, die Förderung von Athleten, immer weniger kümmern können?
Unkelbach: Das zu beklagen führt nicht weiter. Wir sind ein öffentlich gefördertes Unternehmen, leben von Steuergeldern und müssen uns deshalb mit der Bürokratie arrangieren. Die Leistungssportreform sollte in der Verwaltung der Bürokratie eigentlich Abhilfe schaffen. Was sie letztlich wirklich bringt, bleibt abzuwarten. Die Konzentration auf Schwerpunkte, die sie forcieren soll, hat bei uns in Hamburg seit vielen Jahren Tradition, deshalb schreckt uns das nicht. Wichtig ist, den Kontakt zur Basis zu behalten. Ich sitze nicht im Elfenbeinturm, sondern habe mein Büro direkt neben dem Kraftraum. Der ist unser kleines olympisches Dorf, weil sich dort Sportler aller Disziplinen treffen und austauschen. Es muss unser Anliegen sein, als OSP das bestmögliche Umfeld zu bieten, und das nicht nur technokratisch, sondern auch emotional.
Die Betonung des Emotionalen bringt uns zu einem wichtigen Thema, weil es grundsätzlich eher als weibliche Eigenschaft gilt, das Emotionale vor das Geschäftliche zu stellen. Finden Sie auch, dass es noch immer zu wenige Frauen in Führungspositionen gibt, in Wirtschaft, Politik und im Sport?
Unkelbach: Zweifellos ist das so. Gerade der Sport sollte aufgrund seiner gesellschaftlichen Rolle und Relevanz in dieser Frage Vorreiter sein. Der DOSB hat sich des Themas angenommen, immerhin hat mit Veronika Rücker eine Frau den Vorstandsvorsitz und damit das höchste Hauptamt im Dachverband inne. Aber bei den Sportdirektoren der Spitzenverbände und den Leistungssportreferenten der Landessportbünde sind vielleicht zehn Prozent weiblich, an den 18 OSP in Deutschland gibt es außer mir nur eine weitere Leiterin. Da gibt es durchaus Nachholbedarf.
Und auch weibliche Cheftrainer sucht man in den meisten Sportarten vergeblich. Warum ist das so?
Unkelbach: Weil der Trainerberuf und der Leistungssport grundsätzlich einfach nicht familienkompatibel sind. Kitas haben nicht von 18 bis 22 Uhr oder am Wochenende geöffnet, wenn das Training stattfindet oder die Wettkämpfe.
Ist das das einzige Problem, oder sind Frauen nicht auch noch immer zu wenig machtbewusst?
Unkelbach: Was Frauen fehlt, ist weniger Machtbewusstsein, sondern vielmehr das, was man bei Männern als Machtgeilheit bezeichnet. Ich selbst bin auch mehr Überzeugungstäterin, ich versuche über Argumente zu kommen, anstatt meine Stellung auszunutzen, um Dinge durchzusetzen. Mir geht es schlecht, wenn ich andere nicht überzeugt habe.
Geht es Ihnen auch schlecht damit, oft die einzige Frau unter lauter Männern zu sein?
Unkelbach: Schlecht nicht, aber ich finde es doof als einzige Frau. Man muss allerdings auch sagen, dass sich das Klima deutlich verbessert hat. Als ich anfing, war es oft so, dass sich die Männer verstellten. Da kamen Sprüche wie „Jetzt müssen wir uns aber benehmen, wir sind nicht mehr unter uns“. Ich habe irgendwann auch bewusst begonnen, mich optisch von den Anzugträgern abzugrenzen, einfach weil ich zeigen wollte, dass ich eigenständig bin. Ich wollte nie ein besserer Mann sein.
Aber ist genau das nicht das, was vielen Frauen in Führungspositionen fehlt? Versuchen Frauen zu oft, bessere Männer zu sein, anstatt weibliche Sichtweisen einzubringen? Die, die es in Führungspositionen schaffen, gelten oft als stutenbissig.
Unkelbach: Und das ärgert mich, weil es Unsinn ist. Wenn Männer Konkurrenten verdrängen, sind sie durchsetzungsfähig. Wenn Frauen das tun, sind sie stutenbissig. Dabei sollte das Geschlecht in der Beurteilung von Konkurrenz keine Rolle spielen. Ich will aufgrund meines Könnens ernst genommen werden und aufgrund der Inhalte, für die meine Arbeit steht.
Man könnte im Gegenzug antworten: Was können die Männer dafür, dass es zu wenige gute Frauen gibt? Was würden Frauen in Führungspositionen konkret verbessern?
Unkelbach: Ich glaube, dass Frauen die emotionale Komponente mehr zur Geltung bringen, dass sie ausgleichender wirken können. Führungskräfte sollten beide Geschlechter vertreten, also braucht man beide Einflüsse zu gleichen Teilen. Diese Vielfalt ist wichtig, und sie wird zu wenig abgebildet.
Also braucht es die Frauenquote?
Unkelbach: Ich war nie ein Fan davon, weil ich an das Gute im Menschen und an Fairness glaube. Aber ich fürchte mittlerweile, dass es nicht anders geht.
Sie selber brauchen keine Quote mehr, sondern können in ein paar Jahren auf ein bewegtes und erfolgreiches Berufsleben zurückschauen. Als jemand, der so lange für den olympischen Sport gekämpft hat: Bedauern Sie es, beruflich keine Olympischen Spiele in Deutschland erlebt zu haben?
Unkelbach: Ich werde auch im Ruhestand höchstwahrscheinlich keine Spiele in Deutschland erleben, und das ist auch nachvollziehbar. Wenn sich an der Ausrichtung des olympischen Konzepts nichts Grundlegendes ändert, sind Olympische Spiele in Deutschland nicht darstellbar.
Kann es sich der Sport leisten, auf ein Zukunftsthema wie E-Sport zu verzichten?
Unkelbach: Dieses Thema ist mir erst im letzten Jahr bewusst geworden, ich war noch nie auf einer solchen Veranstaltung und kann mir deshalb darüber kein Urteil erlauben. Was ich aber weiß: Wir müssen uns mit diesem Thema beschäftigen, und zwar ganz oben auf der Agenda, denn sonst verpassen wir es womöglich, eine zukunftsweisende Entwicklung mitzugestalten.
Wenn Sie noch einmal einen Beruf wählen müssten: Warum würden Sie wieder OSP-Leiterin werden?
Unkelbach: Weil mir in den 30 Jahren keinen Tag langweilig war. Leistungssport ist zwar kein Ponyhof, sondern ein Stall mit hochsensiblen Rennpferden. Aber ich gehe gerne mit solchen Herausforderungen um.
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