Hamburg. Er zieht als Chef der Soko „Autoposer“ aufgemotzte Boliden aus dem Verkehr. Dabei musste er selbst einen Kaltstart hinlegen.
Die Augen sind noch müde, aber der Händedruck ist fest. Tobias Hänsch zapft einen Kaffee. „Hat wieder länger gedauert gestern“, sagt er, „bis 2.30 Uhr.“ Lange nach dem geplanten Feierabend. Wenn sich bei einigen zu viel Testosteron und Motorenblubbern vermischen und PS-Protze mit ihren Karren durch die Nacht lärmen. „Dann muss man da sein“, sagt Hänsch, als sei das so natürlich wie Zähneputzen.
Das Hauptquartier der Sonderkommission „Autoposer“ liegt am tristen Grau des Rings 2 in Horn, Hänsch ist hier seit Gründung der Einheit vor einem Jahr der Chef. Die Einsatztruppe knöpft sich diejenigen vor, für die Tempolimits bestenfalls eine Minimalgeschwindigkeit darstellen und Schalldämpfer schlicht überflüssig sind. Es ist mitunter eine Jagd wie im Film. Und Details entscheiden über den Sieger.
Wer sich den Chef einer solchen Einheit als altgedienten Haudegen vorstellt, selbst vom Typ Kfz-Schrauber mit lederner Haut und Kodderschnauze, muss von Tobias Hänsch erst enttäuscht und dann überrascht sein. Er ist 35 Jahre alt, stammt aus einem Dorf in Sachsen und lächelt meistens warm. Er kann noch ehrlich davon schwärmen, „dass Hamburg einfach die schönste Stadt der Welt ist“. Und sagt kurz darauf: „Ehrlich gesagt habe ich mir aus Autos und ihrer Technik nie besonders viel gemacht.“
Satte Bilanz
Auf einem Zettel vor ihm steht dennoch eine satte Bilanz: Die Beamten haben bereits 3355 Fahrzeuge kontrolliert, davon in 988 Fällen die Betriebserlaubnis entzogen, 421 Fahrzeuge sichergestellt sowie 345 Lärm- und 190 Geschwindigkeitsverstöße verzeichnet. „Wir stehen jetzt davor, uns noch breiter aufzustellen“, sagt Hänsch. Die bisherige Geschichte der Soko und ihres Chefs ist die eines Wagnisses und eines mal mühseligen, mal skurrilen Kampfes um die Ordnung auf Hamburgs Straßen.
Er habe nie angestrebt, mal eine Soko zu leiten, sagt Hänsch – es ist die Faszination der „Großstadtpolizei“, die ihn Anfang der Nullerjahre nach Hamburg zieht. Er begräbt seinen Traum, Chemiker zu werden. Nach der Ausbildung, Stationen in der Bereitschaftspolizei und in Polizeiwachen, sucht Hänsch einen Platz in der Verkehrsdirektion. „Ich wollte vor allem etwas gegen Alkohol und Drogen am Steuer unternehmen.“ Ob ein Auto 50 oder 500 PS hat, ist ihm egal. Aber wie einige im Straßenverkehr andere gefährden, widerspricht massiv seinem Gerechtigkeitssinn.
Schon damals begegnen ihm auch die Poser, die ihre Boliden etwa nach dem Vorbild der „Fast & Furious“-Filme aufgemotzt haben. Wenn Hänsch an einer Unfallstelle den Hergang festhält, fahren sie manchmal vorbei und lassen noch den Motor aufheulen. „Die waren es gewohnt, einfach davonzukommen, selbst wenn sie angehalten wurden.“ Man brauche immer ein genaues Wissen darüber, welche Umbauten an einem Auto erlaubt sind, um bei Mängeln auch dagegen vorgehen zu können. „Wie soll man das Bauchgefühl, dass etwas mit einem Auto nicht stimmt, auch sonst belegen? Im Grunde war das deshalb oft leider ein rechtsfreier Raum.“
Tag und Nacht gearbeitet
Im Präsidium kommt man auf die Idee, etwas Neues zu probieren. Stationäre Blitzer wie am Jungfernstieg haben die Lage kaum verbessert. Sie fragen Hänsch, ob er ein neues Spezialteam leiten würde. Die Chance, die Truppe aufbauen zu können, überzeugt ihn. „Mir war klar, dass ich mich in ein mir völlig unbekanntes Gebiet einarbeiten und hier investieren muss.“ Hänsch und seine acht Mitarbeiter werden intensiv geschult – die Beamten lassen sich inkognito in einer Tuning-Werkstatt die gängigsten Tricks zeigen, um die Autos mit allen Mitteln lauter und schneller zu frisieren. Dann ruft schon der Einsatz.
Er habe damals oft Tag und Nacht gearbeitet, sagt Hänsch – um erkennen zu können, wenn Schalldämpfer fehlen, dass eine Rad-Reifen-Kombination nicht passt oder dass Luftfahrwerke nachträglich eingebaut wurden. Was das in der Praxis ausmacht, ist gewaltig: „Wenn wir einen Anfangsverdacht haben, den wir auch begründen können, sind wir eben auch befugt, das Auto wegzunehmen und von Sachverständigen prüfen zu lassen“, sagt Hänsch. „Diese Möglichkeit hat uns früher gefehlt.“
Manche Poser weinen, andere werden aggressiv
Gleich beim ersten Zugriff ist Hänsch mit zwei Kollegen im zivilen Fahrzeug in Hammerbrook unterwegs, als der Fahrer eines S-Klasse-Mercedes an einer Ampel die Muskeln seines Autos spielen lässt. Übergroße Felgen, geschwärzte Rücklichter, dröhnender Lärm. „Rückblickend ein richtiger Volltreffer“, sagt Tobias Hänsch. Bei der Kontrolle stellen die Beamten eine ganze Reihe von Mängeln fest. „In diesem Zustand konnte der Wagen locker 130 Dezibel an Lautstärke erreichen“, sagt Hänsch. Das ist in etwa so laut wie ein startender Düsenjet.
Es ist ein gutes Gefühl, die Poser zu überführen, sagt Hänsch, das sei Polizeiarbeit für den Bürger im besten Sinne. „In vielen Bereichen wird man als Polizist manchmal gefragt, ob man eigentlich nichts Besseres zu tun hätte. Bei dieser Aufgabe nicht. Niemand mag Autoposer.“ Und von den Fahrern gehe gleich dreifach Ärger aus: „Diese Autos können Tausende Menschen aus dem Schlaf reißen, können das Gehör durch spontane, aber brachiale Geräusche schädigen und sind im laufenden Straßenverkehr einfach nur gefährlich, weil großer Lärm auch zur Ablenkung anderer Verkehrsteilnehmer führt.“
Für die Fahrer ist die neue Soko ein herber Schlag, das wird schnell klar. Da ist etwa eine vierköpfige Gang von jungen Männern, die 2017 mitten auf der Reeperbahn ihren Mercedes zur Schau stellen, die Reifen durchdrehen lassen, die Musik aufdrehen, sich aus den Fenstern lehnen und feiern. Sie ahnen nicht, dass sie direkt vor einem zivilen Kontrollfahrzeug der Soko stehen. Als die Beamten das Blaulicht aufs Dach stellen, johlt das umstehende Partyvolk. „Die Herren müssen damit leben, dass sie ausgelacht werden“, sagt Hänsch.
Abschrecken ist ein Ziel
Wenn sie Autos aus dem Verkehr ziehen, erleben Hänsch und seine Kollegen die ganze Bandbreite: Einige PS-Protzer brechen in Tränen aus, andere werden aggressiv. „Man hat Antennen dafür und ruft wenn nötig noch einen Streifenwagen“, sagt Tobias Hänsch. Der Reflex der Ertappten besteht außerdem meistens darin, sich herausreden zu wollen. Hänsch sagt, viele erstarren dann vor Ehrfurcht, sobald sie feststellen, dass ihr Gegenüber von der Polizei mindestens genauso viel Fachwissen hat wie sie.
Die Soko macht ihre Erfolge gezielt öffentlich, um abzuschrecken, manchmal hilft noch der Zufall mit. Kurz vor Weihnachten 2017 stoppen die Beamten einen röhrenden Lamborghini Aventador, Stückpreis etwa 450.000 Euro. Am Steuer sitzt der ehemalige Fußballprofi Tim Wiese, die Bilder gehen durch die Republik. Es gibt Journalisten, die warten seitdem darauf, die Soko „Autoposer“ einmal zu begleiten.
Ob er zufrieden sei? Man arbeite schon auf „sehr hohem Niveau“, sagt Hänsch. Die Poser seien viel in sozialen Netzwerken aktiv und klagten dort ihr Leid, wenn sie überführt werden – „das ist auch in unserem Sinne“. Glücklich macht ihn auch die Wertschätzung aus der Bevölkerung. „Die Arbeit kommt direkt bei den Bürgern an. Über Hinweise und Dankesschreiben erfahren wir, dass der Zuspruch enorm hoch ist.“
Gestalten aus der Organisierten Kriminalität
Er hat einen Weg gefunden, mit den negativen Aspekten seiner Arbeit umzugehen. Unter den Posern sind auch Gestalten aus der Organisierten Kriminalität. Oftmals gehe die eine Straftat mit anderen einher. So wurden öfter auch Drogen- oder Alkoholkonsum festgestellt. Oder wie im Fall von vor ein paar Tagen, als Hänsch in einem aufgemotzten Audi Q7 zwei Handmesser und zwei Teleskopschlagstöcke gefunden hat. „Ich pflege eigentlich mit jedem einen bestimmten, aber lockeren Umgang“, sagt Hänsch. Und zur Beruhigung betonen die Beamten auch, dass die Halter ihre Autos bald wiederbekommen, nur eben die irrwitzigen Umbauten wieder rückgängig machen müssen.
Öfter haben es die Beamten jedoch auch mit Wiederholungstätern zu tun, es gibt Überlegungen, sie etwa künftig mit Zwangsgeldern zu bestrafen. Hänsch hat noch weitere Ziele : „Ich kann zwar nicht aus jedem Beamten einen Mechatroniker machen, aber langfristig gilt es trotzdem, mehr Fachwissen auch in die Breite der Hamburger Polizei zu bringen.“
Dass der Kampf gegen die Poser ganz zu gewinnen ist, glaubt der Soko-Chef nicht. „Es wird immer Menschen geben, die mit dicken Autos, Lärm und Tempo angeben wollen“, sagt Hänsch. Die Motivation sei aber ungebrochen. „Denn wenn es weniger von ihnen gibt, bleibt uns mehr Zeit für die Unbelehrbaren.“ Nach langen Einsätzen als Polizist bleiben dem Soko-Chef manchmal nur wenige Stunden für sein Privatleben, über das er nicht öffentlich spricht. Nur so viel: Ja, er fährt selbst Auto. „Ganz normale Mittelklassewagen reichen mir.“ Das Lächeln ist jetzt breit, und die nächste Jagd steht bald vor der Tür.
Nächste Woche: Kristina Tröger, Präsidentin des Clubs europäischer Unternehmerinnen