Hamburg. Weil es damals so viel regnete und trotzdem warm war, haben wir jetzt die Massen an Eicheln. Man nennt dies auch ein Mastjahr.
„Lass mal gut sein“, winkte der Jäger ab. Wie jedes Jahr wollte ich bei ihm zwei, drei Säcke mit Eicheln loswerden – zum Anfüttern von Wildschweinen. Eicheln gebe es diesmal satt, wir hätten ein sogenanntes Mastjahr. Gut für die Wildsau, die sich so reichlich Speck für den Winter anfressen könne. Die Älteren in unserem Dorf im Wendland können sich noch gut erinnern, wie sie als Kinder im Herbst Eicheln sammelten. Denn was dem wilden Artgenossen so gut schmeckte, brachte auch dem gemeinen Hausschein ordentlich Speck auf die Rippen – und in den Schinken. Noch früher, also einige Jahrhunderte zuvor, trieben Schweinehirten das Borstenvieh in die Wälder. Mastjahre waren die Jahre, in denen es außergewöhnlich viele Eicheln gab.
„Hat das was mit dem Supersommer in diesem Jahr zu tun?“, hatte mich mein alter Freund Werner nach einem Spaziergang im Hamburger Stadtpark gefragt. Da lägen teilweise so viele Eicheln auf den Wegen, dass es sich anfühle, als ob man über einen Teppich mit dicken Noppen gehe. Meine Frau Anke hatte das neulich auch schon gemeint, bei einem Rundgang durch unseren kleinen Mühlenpark im Wendland. Solche Mastjahre gebe es etwa alle sechs bis acht Jahre, sagte der Jäger noch. Warum das so sei, ausgerechnet noch in diesem Jahr, wusste er nicht.
Wie Bruder und Schwester
Als ich bei Karen Schoebel, einer bundesweit renommierten Staudenzüchterin aus Bergen im Wendland, nachfragte, ob die Eicheln-Schwemme etwa mit dem vergangenen Supersommer zu tun habe, lachte sie. Das liege am regenreichen Sommer des Vorjahres. Klar, hätte ich auch drauf kommen können. Weil da für die meisten Städter nicht pünktlich zum Wochenende zuverlässig die Sonne schien, sondern, schlimmer noch, es auch häufiger regnete, hatte er sich für sie als eine Art ausgefallener Sommer angefühlt. Rein statistisch lagen dabei die Temperaturen aber über dem langjährigen Mittel. Für Gehölze, etwa die Eiche, waren das ideale Wachstumsbedingungen. Denn damals wurden bis zum Herbst die Knospen angelegt, aus denen in diesem Jahr Blüten und Triebe gesprossen sind.
Nicht nur bei der bei uns hauptsächlich verbreiteten Stiel-Eiche (Quercus robur), sondern auch bei der mehr im Süden Deutschlands ansässigen Trauben-Eiche (Quercus petraea). Beide sind eng miteinander verwandt, etwa wie Bruder und Schwester. Für Laien sind sie äußerlich in Wuchsform und Größe kaum zu unterscheiden. Am besten noch an ihren Früchten, den Eicheln. Bei der Stiel-Eiche sitzen sie in ihren Fruchtschalen an langen Stielen (sic!), bei der Trauben-Eiche in Trauben an kurzen Stielen.
Um das zu erkennen, müsste man schon in die Bäume klettern. Robur wird mit etwa 40 Metern höher als Petraea (30 Meter). Beide können fast 1000 Jahre alt werden und sind als Tiefwurzler sturmerprobt. Wobei die Wurzeln der Trauben-Eiche sich sogar gut zehn Meter in die Erde bohren und dem Baum noch mehr Standfestigkeit verleihen – und ihn in Zeiten des Klimawandels noch besser gegen extreme Wetterlagen wie Stürme und Trockenheit wappnen.
Wunderbares Experiment
Weswegen sie auch noch Wasser aus der Erde holen können, wenn andere Gehölze wie in diesem Sommer vom Vertrocknen bedroht sind. Wasser brauchen Eichen wie alle Pflanzen für die Photosynthese, bei der sie mithilfe des Chlorophylls in den Blättern das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) in Sauerstoff und Zucker verwandeln. Den Sauerstoff geben sie wieder in die Luft ab. Das Wasser hat die Eiche über ihre Wurzeln in die Blätter gepumpt, den Zucker gibt sie zurück an die Wurzeln – für die Verarbeitung von Nährstoffen. Bei Botanikern heißen die Wasserleitungen Xylem-Röhren, die Zuckergefäße Phloem-Röhren.
Zu kompliziert? Wenn man eine Karotte in Scheiben schneidet, sieht man in der Mitte einen Kreis, den sogenannten Leitzylinder. Wer von außen nach innen abbeißt, stellt fest, dass in der Mitte die Phloem-Röhren liegen. Da schmeckt die Karotte am süßesten. Teilt man die Karotte der Länge nach, sieht man, dass der Leitzylinder sich über die ganze Länge der Wurzel erstreckt. Damit sich Wasser und Zucker im Leitzylinder nicht vermischen, sind die beiden Leitungssysteme mit einer Art Wachsschicht ummantelt. Dieses wunderbare Experiment habe ich aus dem Buch „Was Pflanzen wissen“ von Daniel Chamowitz, Leiter des Manna Centers for Plant Biosciences an der Universität von Tel Aviv. Der Wissenschaftler erklärt, warum sich nicht nur Menschen an gutes Wetter erinnern, sondern auch Kirschbäume – und dass Gräser spüren, wenn man auf sie tritt.
Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth