Hamburg. Zehn Jahre Haft für den 52-jährigen Täter. Er hatte eine Plastiktüte mit zwei Sprengkörpern auf dem Bahnsteig in Hamburg gezündet.
Mit einer guten Portion Zynismus ließe sich sagen: Das Leben von Stephan K. verläuft wieder in geordneten Bahnen. Fast 18 Jahre hat der 52-Jährige hinter Gittern verbracht. Ebenso viele Straftaten, nämlich 18, hat der Rechtsextreme begangen, elf davon schlimme und schlimmste Gewalttaten. Vor 26 Jahren prügelte er einen Mann tot, weil der sich ablehnend über Hitler geäußert hatte. Zu weiteren zehn Jahren Gefängnis hat ihn am Montag das Landgericht wegen eines heimtückischen Mordversuchs auf dem S-Bahnhof Veddel verurteilt. Der bullige, glatzköpfige Mann nahm das Urteil gefasst auf – zumindest äußerlich.
Schrauben in den Böllern
Hinter dem Mordversuch verbirgt sich eine Tat, die durch ihre Sinnbefreitheit fast grotesk anmutet. Am 17. Dezember 2017 jagte der 52-Jährige nach Überzeugung des Gerichts zwei „massenexplosionsfähige, pyrotechnische Sprengkörper“ der höchsten Gefahrenklasse 4 auf dem belebten Bahnsteig 2 des S-Bahnhofs hoch. Die sogenannten „Polenböller“ befanden sich in zwei Tüten – mitsamt 72 Schrauben, die bei der Explosion wie Geschosse durch die Gegend flogen. Eine Stichflamme schoss zwei Meter in die Höhe, die Scheibe eines Windfangs zerbarst durch die Druckwelle.
Es bestand Lebensgefahr
Im Bereich von 80 bis 90 Zentimer rund um den Explosionsort bestand potenziell Lebensgefahr. Nur einem glücklichen Umstand sei es zu verdanken, dass niemand schwer oder tödlich verletzt wurde, sagte die Vorsitzende Richterin Petra Wende-Spors.
Abgesehen vom Schrecken, der Passanten in die Glieder fuhr, erlitt ein an der Tür einer abfahrbereiten S-Bahn stehender Mann ein Knalltrauma. Es belastet ihn nach wie vor.
Mordabsicht unterstellt
Dass die Detonation im Endeffekt glimpflich ausging, habe Stephan K. im Voraus unmöglich wissen können, so Wende-Spors. Die im Nahbereich auf bis zu 800 Meter pro Sekunde beschleunigten, in alle Richtungen verstreuten Schrauben und Glassplitter hätten leicht einen Menschen treffen können, etwa an der Halsschlagader. Indem Stephan K. derartige Verletzungen billigend in Kauf nahm, habe er in Mordabsicht bedingt vorsätzlich gehandelt. Was passieren würde, habe er „dem Zufall überlassen“, so Wende-Spors. „Das Schicksal der Personen war ihm völlig gleichgültig.“ Sein eigenes hingegen nicht. Kurz vor der Detonation flüchtete der Mann in eine S-Bahn. Als der Zug abfuhr und es ohrenbetäubend knallte, habe er erst mal „zufrieden grinsend“ ein Bier getrunken.
Bilder der Überwachungskamera
Ein Motiv? „Nicht im Ansatz erkennbar“, so das Gericht. Seine Erklärung für die Tat kaufte es ihm nicht ab. Der 52-Jährige hatte zum Prozessauftakt gesagt, er habe einen „vorgezogenen Silvesterscherz“ machen und „Leute erschrecken“ wollen. Zudem sei er vom Herumschleppen der Tüten mit den Sprengkörpern genervt gewesen, er habe „den Zampel“ loswerden wollen. Alles Schutzbehauptungen, befand die Kammer. So sei auf einem Überwachungsvideo zu sehen, wie Stephan K. die Tüte zunächst in einer S-Bahn vergessen hatte, hinauslief, dann aber wieder hineinging und die Tüte holte.
„Glühender Anhänger Hitlers“
Zuletzt gehörte Stephan K. der Harburger Trinkerszene an, es war die vorläufig letzte Station eines von Hitler-Verehrung, Alkoholismus und Prügeln geprägten Lebens. Bis Anfang der 90er-Jahre mischte er bei den Skinheads und Neonazis mit, ging immer wieder auf Ausländer los. 1992 schlug und trat er mit einem Komplizen einen 53 Jahre alten Kapitän tot, weil der Adolf Hitler als größten Verbrecher aller Zeiten bezeichnet hatte. Achteinhalb Jahre saß der frühere Skinhead wegen Totschlags im Gefängnis. Inzwischen soll er sich zwar von der Szene gelöst haben, wie der Verfassungsschutz feststellte. Doch berichtete seine frühere Lebensgefährtin als Zeugin im jetzigen Verfahren, dass Stephan K. noch immer einer „rechtsextrem-nationalistischen Gesinnung“ verhaftet und „glühender Anhänger Hitlers“ sei.
War es Ausländerfeindlichkeit?
Aufgrund der rechtsextremen Vergangenheit sei es „nicht fernliegend“, dass Stephan K. aus einer „ausländerfeindlichen Gesinnung handelte“, so das Gericht. Im Ergebnis habe es aber keine sicheren Feststellungen zu einem konkret ausländerfeindlich motivierten Anschlagsplan treffen können. Die Wahl des Anschlagsortes tauge indes nicht als Indiz für diese Annahme. Auf der Veddel lebten viele Ausländer. Doch handele es sich beim S-Bahnhof um keinen überwiegend nur von Ausländern frequentierten Ort. „Unabhängig von der Nationalität hätte es jeden treffen können“, sagte Wende-Spors. Die in der Inkaufnahme beliebiger Opfer aufscheinende Gleichgültigkeit sei auch ein Ausdruck der „dissozialen Persönlichkeit“ des Angeklagten.
Sicherungsverwahrung angedroht
Das Strafmaß selbst ist eindrucksvoll – die Staatsanwaltschaft hatte nur acht Jahre Haft gefordert, sechs Jahre mehr als die Verteidigung. Strafschärfend wirkte sich vor allem das Vorstrafenregister des Angeklagten aus. Eine ernste Warnung gab Wende-Spors dem 52-Jährigen noch mit auf den Weg: Noch so ein Ding und Stephan K. müsse mit Sicherungsverwahrung rechnen.