Hamburg. Im Dezember explodierte im Bahnhof Veddel ein Sprengsatz. Ein Ex-Neonazi steht wegen versuchten Mordes vor Gericht.

Die Szenen aus einer Überwachungskamera veranschaulichen, unter welchem Stress die Passanten gestanden haben müssen, als im S-Bahnhof Veddel am 17. Dezember 2017 ein Sprengsatz hochging. In dem Video, das das Gericht am Mittwoch abspielt, ist zu sehen: ein Feuerball, der um Haaresbreite einen jungen Mann verfehlt; dichter Rauch, der die Sicht vernebelt, und Passanten, die in Richtung Ausgang hasten. Es ist wohl reinem Glück zu verdanken, dass kein Mensch getötet oder lebensgefährlich verletzt worden ist.

Um 17.35 Uhr waren an jenem Tag zwei sogenannte Polenböller detoniert, verstaut in einer Plastiktüte unterhalb einer Sitzgruppe an Bahnsteig 2. In der Tüte lagen, so die Staatsanwaltschaft, auch mindestens 73 Schrauben. Sie flogen durch die Druckwelle wie Geschosse herum und zersplitterten die Scheibe eines Windschutzes. Ein älterer Herr erlitt ein Knalltrauma. Er stand an der Tür einer abfahrbereiten S-Bahn.

Stephan K. schlug und trat einen Menschen tot

Stephan K. (52) hat den Sprengsatz gezündet. Seit Mittwoch steht der glatzköpfige, stiernackige Mann mit den tätowierten Handrücken vor dem Landgericht. Wie sein Verteidiger in seinem Namen erklärt, habe er nicht beabsichtigt, jemanden zu verletzen oder zu töten. Er habe „lediglich Leute erschrecken“ wollen und sei „neugierig auf den Knall“ gewesen. Dass die Staatsanwaltschaft ihn wegen versuchten Mordes angeklagt habe, könne er „beim besten Willen nicht verstehen“.

Stephan K. hat eine rechtsextreme Vergangenheit. 1992 schlug und trat er mit einem Komplizen einen 53 Jahre alten Kapitän tot, weil der Adolf Hitler als den größten Verbrecher aller Zeiten bezeichnet hatte. Achteinhalb Jahre saß der frühere Skinhead wegen Totschlags im Gefängnis. Danach soll er sich zwar von der Szene gelöst haben. Doch im November 2015 wurde abermals gegen ihn ermittelt – nach Abendblatt-Informationen hatte er in einer gemeinnützigen Einrichtung mehrfach „Heil Hitler“ gebrüllt. In Erwartung einer höheren Verurteilung in einem anderen Fall stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren jedoch ein.

Geschenkte Polenböller – und keine Schrauben

In den vergangenen Jahren soll sich der obdachlose Angeklagte vor allem in der Harburger Trinkerszene herumgetrieben haben. Ein Bekannter aus diesem Milieu – Stephan K. nennt ihn „La Bomba“ – habe ihm die beiden Polenböller am 17. Dezember geschenkt. Die Plastiktüte mit den Böllern habe er in Neugraben mit in die S-Bahn genommen. Nichts anderes habe sich darin befunden, insbesondere keine Schrauben, beteuert Stephan K.

An jenem Tag sei er auf dem Weg nach Altona gewesen, um dort Leergut gegen Pfandgeld einzutauschen. Beim Halt auf der Veddel habe er sich spontan entschlossen auszusteigen, um noch ein Bier zu kaufen. Die Sprengkörper habe er aber nicht länger mit sich herumschleppen wollen, deshalb habe er die Tüte unter der Sitzreihe verstaut – und einen Böller angezündet. Dann sei er in die S-Bahn eingestiegen. Er habe sich noch umgeschaut, aber niemanden in der Nähe gesehen.

Über die Explosion hat er sich ein „bisschen gefreut“

Die Aufnahmen der Überwachungskamera sprechen indes eine andere Sprache: Auf dem Bahnsteig wimmelt es vor Menschen. „Der Knall war ziemlich laut, aber nicht so laut, wie ich gehofft habe“, so Stephan K. Ein „bisschen gefreut“ habe er sich aber – über den Knall und die erschrockene Reaktion der Leute. Wenig später erkannte ein bürgernaher Beamter den 52-Jährigen auf dem Überwachungsvideo wieder. Er sitzt seit dem 19. Dezember in Untersuchungshaft.

Eine von Stephan K.’s Verteidiger beantragte Aussetzung der Hauptverhandlung wies das Gericht am Mittwoch zurück. Um eine Art Splitterbombe, so der Verteidiger, handele es sich bei dem Sprengsatz mitnichten, zumal die Schrauben für einen maximalen des­truktiven Effekt nicht fest mit den Böllern verbunden worden seien. Sie seien eher langsam beschleunigt worden und hätten sich in einem Umkreis von nur vier Metern verteilt. Zwei Gutachter sollen nun im August und im September zur objektiven Gefährlichkeit des Sprengsatzes Stellung nehmen.