Hamburg. Ein Hamburger Unternehmer hat eine virtuelle Ausbildung entwickelt. Riskante Situationen lassen sich ohne Gefahr trainieren.

Die Zimmertür glüht vor Hitze, dahinter entwickelt sich gerade ein Inferno. Die beiden Patienten schreien um Hilfe, nur schemenhaft sind sie im dichten Rauch noch aus­zumachen. Ein defektes Handy-Aufladegerät ist durchgeschmort und hat das Feuer ausgelöst. Binnen Sekunden herrscht Chaos auf der gesamten Station. Patienten aus anderen Zimmern eilen herbei, getrieben von Hilfsbereitschaft und Neugier.

Schaumkraft endet nach 15 Sekunden

Zum Glück brennt es an diesem Donnerstagnachmittag nur in der virtuellen Realität. Krankenpfleger Felix Schulz (30) trägt eine Art Maske, die wie eine überdimensionierte schwarze Taucherbrille aussieht. Statt die schnöden Gewerberäume in Schnelsen am Osterbrooksweg sieht Schulz durch diese Brille eine Station im Unfallkrankenhaus Boberg. Genau hier wird der Ernstfall, der Brand in einer Klinik, für ihn simuliert. So täuschend echt, dass Schulz hektisch mit dem – ebenfalls nur virtuellen – Feuerlöscher sprüht. Kostbare Zeit verstreicht, bis er den Brandherd schließlich erwischt. „Ich hätte nie gedacht, dass die Schaumkraft nach nur 15 Sekunden endet“, sagt Schulz nach seinem Einsatz.

Die Macher:  Frank Laurich (links) und Jan Schröder.
Die Macher: Frank Laurich (links) und Jan Schröder. © Rauhe | Michael Rauhe

Willkommen bei der Firma Show­pixelVR, einem Start-up, das bei der Ausbildung von Pflegekräften neue Wege geht. Im Auftrag der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) entwickeln Kommunikationsberater Frank Laurich und Computerspezialist Jan Schröder eine neue Form des Lernens. In dem aktuellen Projekt geht es konkret um die Anleitung von neuen Mitarbeitern in Krankenhäusern. Hier sind die Vorgesetzten verpflichtet, den Kollegen das notwendige Sicherheitsrüstzeug zu vermitteln – etwa die Verhütung von Unfällen.

Adrenalinkick garantiert

„Am besten gelingt das Unterweisen mit einer guten Mischung aus Wissensvermittlung, praktischem Training und Motivationsförderung“, sagt Björn Teigelake, zuständiger Referent der Berufsgenossenschaft. Klingt theoretisch – und ist es in vielen Fällen wohl auch. Die beste Powerpoint-Präsentation kann allenfalls erahnen lassen, was in einem Ernstfall wirklich passiert.

Es ist vergleichbar mit den Sicherheitsanweisungen in einem Flugzeug: Die meisten Passagiere blättern in Zeitungen oder schauen noch einmal auf ihr Smartphone, während die Flugbegleiter erklären, wie die Schwimmwesten im Notfall überzustreifen sind.

„Bei unserem Projekt wird niemand mit seinem Handy spielen oder mit seinem Nachbarn quatschen“, sagt Jan Schröder. Dafür sorgt schon der Adrenalinkick, wovon sich beim Termin in Schnelsen auch der Abendblatt-Reporter überzeugen darf.

Flasche kippt um, Flüssigkeit läuft aus

Die Aufgabe klingt denkbar einfach: Mische eine Desinfektionslösung an! Auf der VR-Brille erscheint die Station, man schreitet in den dafür vorgesehenen Raum. Die Schublade öffnen, die Handschuhe anziehen. Erste Panne, der Reporter hat die falschen Exemplare erwischt. Beim Öffnen des Konzentrats passiert dann der zweite deutlich gravierendere Fehler: Die Flasche kippt um, die Flüssigkeit läuft aus. Die extrem schmerzhaften Folgen werden nur über eine grelle rote Farbe simuliert – und doch meint man zu spüren, wie die Haut verätzt. „Mission failed, mission failed“ blinkt auf dem Schirm. Mission fehlgeschlagen.

„Virtuell lassen sich potenziell riskante Situationen gefahrlos erproben und trainieren“, sagt Teigelake. Für die realistische Anmutung sorgen Laurich und Schröder mit einem immensen Aufwand. Sie haben eine Station im Unfallkrankenhaus Boberg virtuell exakt nachgebaut – von der Deckenhöhe über die Türgröße bis zum Abstand der Betten. Zudem haben sie Interviews mit den Pflegern geführt, um jeden Arbeitsschritt nachvollziehen zu können.

Die Spezialisten entwerfen auch virtuelle Bühnen

Die Präzision haben die ShowpixelVR-Macher auf einem anderen Feld erworben: in der Musik. Seit Jahren kon­stru­ieren sie für große Konzerte virtuelle Bühnen mit den entsprechenden Lichteffekten – auch der Eurovision Song Contest zählt zu ihren Kunden. Die Korrektur am Computer ist allemal billiger als ein Umbau des realen Modells.

Jetzt greifen die Spezialisten im Gesundheitsmarkt an. Für die Berufsgenossenschaft arbeiten sie zudem an einem Modul, wie man lernt, Betten rückenschonender zu schieben. Nach einer Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin leiden Pfleger besonders oft unter Rückenschmerzen – die Belastung für das Kreuz ist hier höher als in Bauberufen.

Für Schröder entwickelt sich gerade ein neues Medium, vergleichbar mit Fernsehen oder Rundfunk. Und am Ende könnte auf diesem Weg sogar der Pflegeberuf attraktiver werden: „Die jungen Leute spielen nun mal gern.“