Hamburg. ADFC-Vertreter wollen keinen Kopfschutz tragen – weil es ein „falsches Signal“ senden würde. CDU fordert Pflichtregelung für Kinder.
Es klingt banal und wurde schon Generationen von Anfängern eingebläut: Wer einen Helm trägt, ist beim Radfahren sicherer. Ausgerechnet der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) in Hamburg stellt sich dieser pauschalen Annahme jedoch nun entschieden entgegen. Beim jüngsten Test der Velorouten im Abendblatt trugen die Experten des Vereins größtenteils selbst keinen Helm – und der Verein reagiert auf die Empörung vieler Leser damit, den Nutzen der Kopfbedeckungen insgesamt infrage zu stellen.
Die Wirkung der Helme werde überschätzt, sagte der ADFC-Sprecher Dirk Lau. „Helme verhindern keine Unfälle, und ich kenne keine Belege dafür, dass sie etwa bei den vergangenen schweren und tödlichen Unfällen in Hamburg einen Unterschied gemacht hätten oder ein generelles Plus an Sicherheit bringen – das schafft nur Infrastruktur.“ Zuletzt hatte im Mai der Tod einer 33-Jährigen, die von einem Lastwagen in Eimsbüttel erfasst worden war, für eine stadtweite Diskussion über die Sicherheit von Radfahrern gesorgt.
15 Prozent der Radfahrer tragen Fahrradhelm
Auch Lau hatte sich für die Serie im Abendblatt ohne Helm an Fahrten über die Velorouten beteiligt – dabei gehe es auch um grundsätzliche Überlegungen, so Lau. „Wie viele andere Menschen fahre ich ohne Helm, weil ich es für das irreführende Signal halte, Radfahren sei an sich gefährlich.“ In Wahrheit gehe die Gefahr von den üblen Bedingungen auf der Straße aus; von der Streckenführung, schlechten Radwegen und Fehlverhalten. „Es gibt zwar Studien, die bei Schädelverletzungen dem Helm eine Schutzwirkung zusprechen“, sagt Lau – dabei handele es sich aber nur um einen „kleinen Teil der Gesamtunfälle“.
Hierzulande gibt es keine Helmpflicht für Radfahrer. Nach einer Statistik des Bundesverkehrsministeriums aus dem Jahr 2014 tragen nur 15 Prozent der Radfahrer, also jeder Siebte, regelmäßig einen Helm. Bei Kindern liegt der Anteil mit bis zu 75 Prozent deutlich höher. Inwieweit die Helme tatsächlich schwere und tödliche Verletzungen verhindern, ist weiterhin umstritten.
Nach einer vier Jahre alten Analyse der Unfallforschung der Versicherer (UDV) trugen 95 Prozent aller getöteten Radfahrer keinen Helm. Die Wissenschaftler untersuchten 543 Unfälle mit 117 Toten. Dabei starben 50 Prozent der getöteten Radfahrer an einem Schädel-Hirn-Trauma. „Viele hätten überleben können“, so Siegfried Brockmann, Leiter der UDV, damals. Eine weitere Studie hatte dagegen ergeben, dass es nur bei jedem vierten Fahrradunfall zu Kopfverletzungen kommt. Brockmann: „Ich empfehle zwar, einen Fahrradhelm zu tragen. Für eine Helmpflicht fehlen mir aber belegbare Zahlen.“
Polizei: "Fahrradhelme können vor schweren Kopfverletzungen schützen"
Die Polizei teilte auf Anfrage mit, dass man die „schadensvermeidende Wirkung von Schutzhelmen“ sehe. „Das Tragen von Fahrradhelmen kann vor schweren Kopfverletzungen infolge von Unfällen schützen“. Auch die Polizei betont aber, dass die Kopfbedeckung selbst keine Unfälle verhindere. Wie viele der in der Stadt verunglückten Radfahrer einen Helm trugen, wird nicht statistisch erfasst. Im vergangenen Jahr starben insgesamt drei Radfahrer bei Verkehrsunfällen in Hamburg. „Nach Beobachtungen der Fahrradstaffel tragen ‘gefühlt’ immer mehr Radfahrer einen Helm“, so die Polizei.
Schulbehörde setzt das Thema weiter auf die Agenda
Der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft, Dennis Thering, widerspricht der Haltung des ADFC-Sprechers deutlich. „Es ist sinnvoll und geboten, möglichst einen Fahrradhelm zu tragen. Das gilt insbesondere, da sich der Radverkehr in Hamburg immer stärker auf die Fahrbahn in unmittelbarer Nähe der Autos verlagert“, so Thering. Die bisherige freiwillige Regelung habe sich aber bewährt – bei Erwachsenen bestehe kein Grund für eine Helmpflicht.
Kommentar: Debatte um Fahrradhelme: Kein Zwang, aber Verstand
Kindern gesetzlich vorzuschreiben, nur mit Helm radeln zu dürfen, hält Thering dagegen für sinnvoll. „Minderjährige unter 18 Jahren sind schutzbedürftig. Besonders gilt das für Kleinkinder, die noch sehr wenig Erfahrung im Straßenverkehr haben.“ Auch wenn der ADFC diese Ansicht teilt, lehnt er auch hier eine verpflichtende Regelung ab. „Eine Helmpflicht nur für eine bestimmte Altersgruppe einzuführen, würde nur eine Hintertür öffnen, um sie sukzessive auf alle Radfahrer auszudehnen“, glaubt Dirk Lau.
Schulbehörde spricht sich für Helmempfehlung aus
Die Schulbehörde spricht Eltern und Kindern indes eine Helmempfehlung aus. „Wir und vor allem die polizeilichen Verkehrslehrer an den Schulen“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht, „raten zur Nutzung von Fahrradhelmen, denn sie sind ein sehr sinnvoller Schutz des Kopfes!“ Ab dem dritten Schuljahr ist Fahrradunterricht fester Bestandteil der Verkehrserziehung.
Auch die Fahrradstaffel der Polizei informiert auf mehr als 20 Veranstaltungen pro Jahr über die Vorteile eines Fahrradhelms. „Zudem sprechen diese Kollegen bei Kontrollen gezielt auf das Thema an, vor allem bei Kontrollen vor Schulen“, heiß es. Beamte entdecken dabei etwa immer wieder Kinder, deren Helm nur am Lenker baumelt.