Bad Aibling. Der ehemalige Chef des Louis C. Jacob ist jetzt Hotelier in Bad Aibling. Das Hamburger Abendblatt hat ihn besucht.

Zwei Stunden hatte Jost Deitmar Zeit, um eine Entscheidung zu treffen, die für ihn den Start in ein neues Leben bedeutete. Es ging um die Übernahme des Traditionshotels Lindner in Bad Aibling in Oberbayern. Das bedeutete den Sprung in die Selbstständigkeit, rund 850 Kilometer von seiner Heimat Hamburg entfernt. Bis 20 Uhr musste er den Eigentümern des Hotels Bescheid geben. Im April 2018, um kurz nach 18 Uhr, ging er in den Kurpark, um nachzudenken. Zufällig rief sein Sohn Moritz an, der heute in London studiert: „Als ich ihn fragte, ob ich es wagen soll, hat er mir zugeraten. Da waren die Würfel gefallen“, sagt Deitmar lächelnd.

Es ist Oktober. Beim Abendblatt-Besuch nimmt Deitmar noch einmal diesen Weg durch den Kurpark, vorbei an den Tennisplätzen und zurück zum Lindner. Vor vier Monaten hat Deitmar das Vier-Sterne-Hotel am Marienplatz gegenüber vom Rathaus übernommen: „Jetzt habe ich endlich ein Hotel mitten im Zentrum. Das ist sozusagen der Jungfernstieg von Bad Aibling“, sagt Deitmar mit einem Augenzwinkern.

Zwanzig Jahre lag war Deitmar Direktor vom Louis C. Jacob an der Elbchaussee – das fernab vom Zentrum in Nienstedten liegt. Doch dann gab es Differenzen mit dem Betreiber der Nobelherberge. 2017 endete die Ära Deitmar in dem Luxushotel. Die feine Hamburger Gesellschaft war traurig, denn Deitmar war das Gesicht des Hauses.

Vergangenheit hat er hinter sich gelassen

Nach dem Aus im Louis C. Jacob begab sich Deitmar auf den Pilgerweg Via Francigena, es folgten Aufenthalte im Kloster: „Ich habe viel über meine Zukunft nachgedacht.“ Beruflich war Deitmar danach zunächst als Berater für diverse Hotels tätig, darunter auch für das Lindner in Bad Aibling. Eigentlich sollte er einen Pächter suchen. Die Kandidaten, die Deitmar präsentierte, gefielen den Eigentümern allerdings nicht. Deitmar wurde das Haus angeboten. Zunächst passten die Konditionen nicht. Dann kam im April der Anruf mit der Zweistundenfrist.

Die Vergangenheit hat der 56-Jährige hinter sich gelassen und konzentriert sich nun auf die Zukunft: „Ich habe die Chance genutzt und bin das erste Mal im Leben mein eigener Herr, bin für alles selber verantwortlich. Ich profitiere davon, wenn es gut läuft und stehe dafür gerade, wenn etwas schiefgeht.“ Er hat alles auf eine Karte gesetzt und einen Zehn-Jahres-Pachtvertrag unterschrieben, mit der Option auf eine Verlängerung um weitere fünf Jahre. Seit 165 Jahren ist das Lindner mit 56 Zimmern in Familienbesitz, nun hat Deitmar hier das Sagen.

Der 2,01-Meter-Mann wirkt entspannt, trägt ein blaues sportlich geschnittenes Sakko, dazu ein weißes Hemd und eine graue Chino. Keine Krawatte mehr, kein dunkler Anzug: „Ich mache hier keine Luxushotellerie, darum muss ich auch keine Uniform tragen. Ich möchte auch keine Michelin-Sterne mehr, sondern einfach nur zufriedene Gäste, die eine professionelle Lässigkeit zu schätzen wissen.“

Sein Herz hängt noch an Hamburg

Am Vorabend auf der idyllischen Terrasse des Hauses, das zur Vereinigung der Romantik-Hotels gehört, hatte Jost Deitmar lächelnd bekannt: „Seit ich in Bayern lebe, gönne ich mir auch häufiger mal ein Bier. Das gehört hier einfach zur Lebensqualität dazu.“ Er wohnt in einem schmucken Haus oberhalb des Hotels, ist dabei, sein neues Refugium einzurichten. Deitmar hielt einen Moment inne und sagte dann ein wenig leise: „Ja, ich bin angekommen, aber ich bin hier noch nicht zu Hause.“

Sein Herz hängt noch an Hamburg, wo der gebürtige Münsteraner mehr als zwei Jahrzehnte gelebt hat. Das Haus in Blankenese, verbunden mit vielen Erinnerungen, hat er noch: „Vielleicht gebe ich es irgendwann mal auf. Aber ich werde auf jeden Fall eine Zweitwohnung in Hamburg nehmen, ich kann diese Stadt nicht loslassen.“

Doch momentan hat der leidenschaftliche Hotelier wenig Zeit, um an die Heimat zu denken, denn es gibt viel zu tun. 43 Mitarbeiter, davon sechs Auszubildende, müssen auf Linie gebracht werden: „Ich habe hohe Ansprüche und deshalb trainiere ich mein Team, damit sie perfekte Gastgeber werden.“ Denn das ist seine Passion: „Ich brauche die Bühne, den Kontakt zu den Gästen.“ Das Lindner, das Haupthaus ist ein Schloss aus dem achten Jahrhundert, solle wieder der gesellschaftliche Mittelpunkt in der Region werden. Deitmar hat viele Pläne. Als Erstes hat er sich die Gastronomie vorgenommen.

Beschauliche Kleinstadt

Die rustikale Lindners Schwemme und die elegante Lindners Stub‘n sollen nicht mehr nur eine Speisekarte haben: „Das werden zwei eigenständige Restaurants. Die Schwemme soll typisch bayerische Spezialitäten anbieten und die Stub‘n gehobene alpenländische Küche mit einer anspruchsvollen Weinkarte.“ In Kürze wird Deitmar einen neuen ambitionierten Küchenchef präsentieren. Das neue Konzept soll Anfang des kommenden Jahres umgesetzt werden.

Die Wirkungsstätte von Deitmar ist eine beschauliche Kleinstadt mit rund 20.000 Einwohnern in der Nähe von Rosenheim. Es ist das älteste Moorheilbad und das jüngste Thermalbad Bayerns – damit wird auf der Internetseite von Bad Aibling geworben: „Ich mag diesen Ort, die Umgebung und vor allem die warmherzigen und offenen Menschen“, sagt der Neubürger.

Neues Netzwerk

Wenn er mal Großstadtflair braucht, setzt sich Deitmar ins Auto und ist in einer Stunde in München. In Bad Aibling kennt jeder jeden. Es gibt jede Menge Vereine, viele Feste. Jost Deitmar baut sich sein neues Netzwerk auf. Dazu gehört auch Roland Bräger, Chef der Schlossbrauerei Maxlrain. Mittagessen im Biergarten vom Bräustüberl. Postkartenidylle. Alte Eichen, die Berge im Blick. Es wird Leberkäse mit Spiegelei und Schweinebraten mit Semmelknödeln serviert: „Wir freuen uns, dass Jost Deitmar das Lindner übernommen hat. Es ist eine Institution. Mit ihm kommt jetzt auch ein wenig Hamburger Flair nach Oberbayern“ , sagt Bräger.

In der Tat wird Deitmar demnächst als Hommage an seine Lieblingsstadt den Klassiker Räucheraal auf Schwarzbrot mit Rührei auf die Speisekarte setzen. Auch das Hamburger Abendblatt hat er weiterhin abonniert, es liegt im Gastraum aus. Und aus dem Bullauge im Giebel seines Wohnhauses wird schon bald eine Flagge mit Hamburgwappen wehen. Allerdings fremdelt Deitmar noch ein wenig mit den modischen Gepflogenheiten in Oberbayern. Bislang besitzt er weder einen Trachtenjanker noch eine Lederhose. Aber immerhin hat er sich vor Kurzem ein kariertes Hemd mit Hirschknöpfen gekauft. Das ist ja schon mal ein Anfang.