Hamburg. Die Wanderung des gekündigten Direktors des Luxushotels Louis C. Jacob ist letztlich auch ein Weg zu sich selbst.

Die Idee hatte er schon länger – aber erst die berufliche Krise sorgte dafür, dass er sie jetzt umsetzen kann: Jost Deitmar, der gekündigte Direktor des Luxushotels Louis C. Jacob, ist zum Pilger geworden und wandert auf der Via Francigena vom schweizerischen Lausanne bis nach Rom. Die erste Etappe, mehr als 400 Kilometer, hat er innerhalb von vier Wochen absolviert, zurzeit erholt er sich in Hamburg, um fit für den zweiten Teil zu sein. Voraussichtlich im September wird Deitmar seinen Weg fortsetzen, den er im italienischen Fidenza unterbrochen hat. Rund 600 Kilometer liegen jetzt noch vor ihm, eine Strecke, der er nach eigenem Bekunden „mit großer Vorfreude“ entgegensieht.

Via Francigena

Treffpunkt am Strand vor der „Kajüte S. B. 12“ – relativ weit weg vom Nienstedtener Louis C. Jacob, das er 20 Jahre lang geleitet hat. Jost Deitmar ist braun gebrannt und gut gelaunt, allerdings auch noch schlanker als vor ein paar Monaten. „Sieben Kilo habe ich auf meiner Pilgerreise abgenommen“, erzählt er vergnügt, „aber das kriegt man ja schnell wieder drauf. Leider.“

In diesem
ungewöhnlichen
Wagen übernachtete
der Ex-Hotelchef
bei Aigle/
Champex
In diesem ungewöhnlichen Wagen übernachtete der Ex-Hotelchef bei Aigle/ Champex © Jost Deitmar

Doch Deitmar geht es weder ums Abnehmen noch um Erholungsurlaub. Er hat die besondere Art der Wanderung gewählt, um den Kopf frei zu bekommen. Und letztlich auch wieder einen Weg zu sich selbst zu finden.

Rückblick: Im März hatte Hotel­besitzer Horst Rahe Deitmar gekündigt– nach 20 erfolgreichen Jahren an der Spitze des Luxushotels. Den Geschassten, der mehrmals zum „Hotelier des Jahres“ gekürt worden war, traf das relativ unerwartete Aus schwer. Nachdem er einige Wochen auf Tauchstation gegangen war, sprach er im Abendblatt offen über seine Enttäuschung und über mögliche Zukunftspläne.

Gedanken kreisten nur noch um das Hotel

Bereits damals hatte Deitmar auch die Idee mit der Pilgerreise im Hinterkopf, ohne sie konkret werden zu lassen. „Als meine Gedanken schließlich nur noch um das Hotel und meine Enttäuschung kreisten, überzeugten mich Freunde, etwas zu ändern. Und ich wusste, was zu tun war.“

Selfie am
Großen St.-Bernhard-Pass,
Deitmars
Lieblingsstrecke
Selfie am Großen St.-Bernhard-Pass, Deitmars Lieblingsstrecke © Jost Deitmar | privat

Denn schon einmal hatte eine Pilgerreise der Familie geholfen: Als Deitmars Frau im Jahr 2013 gestorben war, ging der gemeinsame Sohn Moritz ein knappes Jahr später den Jakobsweg, um neue Kraft zu tanken. Nun wollte der praktizierende Katholik Jost Deitmar es also selbst versuchen: eine lange Strecke inklusive Alpenpass – und das ohne richtiges Training vorab. Dass es nicht der Jakobsweg sein würde, war ihm allerdings klar. „Den bin ich ja nun 20 Jahre gegangen“, sinniert er amüsiert, „auch wenn es der mit dem „c“ im Namen war. Mit der gewohnten Offenheit berichtet Deitmar, dass der Ortswechsel nicht automatisch dazu führte, dass sich auch der Film in seinem Kopf änderte.

Große Einsamkeit unterwegs

„Eigentlich war zunächst das Gegenteil der Fall“, so Deitmar. Statt auf andere kam er unterwegs immer wieder auf dieselben Gedanken – nämlich auf alle, die mit dem Louis C. Jacob zusammenhingen. So sei er morgens um halb elf stets von Unruhe gepackt worden, habe immer wieder auf die Uhr sehen müssen. Genau zu dieser Zeit, erklärt Deitmar, tagte im Hotel immer die Runde der Abteilungsleiter. Zu frisch war die Trennung wohl noch – und zu tief sitzend auch die Enttäuschung darüber. Dazu trug offenbar auch die große Einsamkeit unterwegs bei. Deitmar: „Auf der ganzen Tour habe ich lediglich nur eine Handvoll Pilger getroffen, viel weniger als erwartet.“

Fachgespräch:
Deitmar
nahm sich Zeit für
einen Plausch in
Montreux
Fachgespräch: Deitmar nahm sich Zeit für einen Plausch in Montreux © privat

Doch mit der Zeit fasste er buchstäblich Tritt, genoss die Schönheit der Landschaft, mit ihrer unbeschreiblichen Stille, die Gastfreundschaft der Einheimischen, das leichte Essen. Nun sieht er sich „auf dem richtigen Weg“ – trotz zeitweiliger massiver Knieprobleme und der obligatorischen Blasen.

„Horror vor zu kurzen Betten“

Deitmar legt sein iPad auf den Tisch zeigt eine Fülle beeindruckender Fotos, die belegen, dass hier jemand aufgeschlossen und mit wachsender Begeisterung durch die Lande zog. Seine Lieblingsstrecke benennt er ohne lange nachzudenken: der Große St.-Bernhard-Pass in den Waliser Alpen – „war traumhaft“. Um die klassischen Pilger-Herbergen mit ihren großen Schlafsälen hat Deitmar einen Bogen gemacht und sich stattdessen in einfachen Hotels einquartiert. Nicht aus Dünkel, wie er versichert. „Ich habe einen Horror vor zu kurzen Betten“, gesteht der 2,05-Meter-Mann. „Und bei aller Begeisterung für Gemeinschaft – beim Schlafen brauche ich meine Privatsphäre.“

Traumhafte
Einblicke: ein
Weg in der Gemeinde
Nus im
italienischen
Aostatal
Traumhafte Einblicke: ein Weg in der Gemeinde Nus im italienischen Aostatal © Jost Deitmar

Die Kräfte, die Deitmar auf seiner nächsten Etappe sammeln will, wird er brauchen: Im Herbst geht sein Prozess vor dem Arbeitsgericht in die nächste Runde. Deitmar klagt, wie berichtet, auf Weiterbeschäftigung, eine gütliche Einigung mit Horst Rahe zeichnet sich bislang nicht ab. Reisetagebuch schreibt er unterwegs intensiv, möglicherweise wird daraus ein Bildband oder Buch. „Ich habe in den vergangenen Jahrzehnten viel erlebt“, so Deitmars Bilanz, „da lässt sich einiges berichten.“

Wie es nach der Pilgerreise für ihn weitergeht, will Deitmar ohne Stress auf sich zulaufen lassen. „Geduld und Aufgeschlossenheit sind Eigenschaften, die man als Pilger braucht – und die sich unterwegs immer weiter vertiefen. “