Hamburg. Der Umweltsenator muss stabile Preise für Verbraucher garantieren. Bürgermeister argumentiert wie ein Grüner.
Die Stimmung in der letzten Reihe war ausgezeichnet. Als Bürgermeister Peter Tschentscher und Finanzsenator Andreas Dressel (beide SPD) am Dienstagmittag in der Landespressekonferenz durchaus überraschend verkündeten, dass Hamburg nun doch das Fernwärmenetz zu 100 Prozent vom schwedischen Energieversorger Vattenfall zurückkaufen werde, da hatten ganz hinten bestens gelaunte Grüne Platz genommen – darunter Bürgerschaftsfraktionschef Anjes Tjarks und Parteichefin Anna Gallina.
Auf dem Podium vorn neben Tschentscher und Dressel fehlte Umweltsenator Jens Kerstan von den Grünen, der sich mit seiner kompromisslosen Linie gegenüber Vattenfall in dem monatelangen Ringen der rot-grünen Senatskoalition letztlich zu 100 Prozent durchgesetzt hatte. Doch dass Kerstan seinen Erfolg nicht selbst verkündete, tat der guten Laune seiner Mitstreiter keinen Abbruch. Im Gegenteil. „Man muss auch gönnen können“, frotzelte einer aus dem grünen Lager.
Tonart und Wertschätzung haben sich geändert
Das nennt man wohl Selbstbewusstsein – eine Kategorie, die bei den Grünen lange nicht sehr ausgeprägt war im Bündnis mit der SPD. Die Ökopartei war als Junior-Regierungspartner vom früheren Ersten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) zu Beginn von Rot-Grün 2015 schnöde und etwas gönnerhaft in den Anbau seines schönen Regierungshauses verbannt worden. Tonart und Wertschätzung haben sich seit dem Bürgermeisterwechsel von Scholz zu Tschentscher geändert. Und nun kamen die Grünen im Raum 151 des Rathauses auch noch in den ausgesprochen seltenen Genuss, dass Bürgermeister und Finanzsenator mit Verve urgrüne Politik präsentierten und verteidigten.
Wer Tschentscher zuhörte, war überrascht, wie forsch er den Ausstieg aus der Kohle als Energieträger anpries. Bei Weitem nicht alle in der SPD sehen das so. In Hamburg ist nun jede Diskussion über einen von CDU und FDP geforderten Anschluss der Moorburgtrasse, über die Fernwärme aus dem Vattenfall-Kohlemeiler Moorburg hätte bezogen werden können, Geschichte. Übrigens: Scholz hatte dem Kraftwerk im Hafen bei seiner Inbetriebnahme 2012 wegen seiner innovativen Technologie eine lange Lebenszeit gewünscht.
Beifall der Anti-Kohle-Aktivisten
Für Tschentscher gab es am Dienstag immer wieder kurzen Beifall der Anti-Kohle-Aktivisten, die auch unter den Zuhörern waren. Tschentscher verwies auf den Weltklimarat, der am Tag zuvor einmal mehr eindringlich vor dem Klimawandel gewarnt und den CO2-Ausstoß als Hauptursache gebrandmarkt hatte. Und der Bürgermeister bekannte sich klar zum kompletten Rückkauf der Fernwärme. „Unternehmen der Daseinsvorsorge gehören in die öffentliche Hand“, sagte Tschentscher. Das alles sind Positionen, die Kerstan und seine Grünen seit Jahren vertreten.
„Wir hatten auch Glück“, sagt ein Grüner, der es wissen muss. Dass Vattenfall auf das letzte Angebot zur Zusammenarbeit von Tschentscher und Dressel nicht einging und auf der Anteilsmehrheit bestand, war nicht zwingend vorauszusehen. Wenn es Vattenfall nur darum ging, weiterhin im finanziell lukrativen Fernwärmegeschäft zu bleiben, wäre das auch mit einem 49-Prozent-Anteil möglich gewesen.
SPD hätte Vattenfall gern weiter im Boot gehabt
Vielleicht, so vermuten nun manche Sozialdemokraten, war für die Vattenfall-Manager denn doch die Vorstellung zu viel, mit Kerstans Leuten in einem gemeinsamen Unternehmen zusammenzuarbeiten. Kerstan und der Vattenfall-Generalbevollmächtigte für Hamburg und Norddeutschland, Pieter Wasmuth, sind jedenfalls völlig zerstritten.
Die SPD hätte Vattenfall weiterhin gern in der künftigen Fernwärmegesellschaft im Boot gehabt, aber zu den Bedingungen des Senats – mit einem Anteil der Stadt von 51 Prozent. Tschentscher und Dressel wollten ungern auf das Know-how des Energieversorgers bei der technisch anspruchsvollen Umstellung der Fernwärme-Erzeugung auf regenerative Energien verzichten. Es gibt eine tief sitzende Skepsis im sozialdemokratischen Milieu, ob die Kerstan-Behörde dieser Aufgabe gewachsen ist.
Hätte Vattenfall das Angebot angenommen und nur 49 Prozent behalten, hätten die Grünen ein Problem gehabt. Die Folge wäre eine Landesmitgliederversammlung gewesen, auf denen die Ober-Grünen hätten erklären müssen, warum der Volksentscheid, der den Komplett-Rückkauf vorsieht, nicht jetzt, sondern erst in fünf oder zehn Jahren umgesetzt werden soll.
HEW-Verkauf gilt in SPD als schwerer Fehler
Die SPD hat mit der vollständigen Verstaatlichung, heute freundlicher Rekommunalisierung genannt, einen alten Sündenfall wenigstens zum Teil korrigiert, wenn auch nicht ganz freiwillig. Vor 21 Jahren begann der damalige SPD-geführte Senat unter Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) mit dem tranchenweisen Verkauf des städtischen Energieerzeugers Hamburgische Electricitäts-Werke (HEW), die letztlich vollständig an Vattenfall gingen. In der SPD gilt das vielen heute als schwerer Fehler. Dass Tschentscher jetzt den 100-Prozent-Rückkauf der Fernwärme so vehement verteidigt, entspricht der alten Position des linken SPD-Flügels, dem der heutige Bürgermeister ja entstammt. Olaf Scholz hatte eine 25-prozentige Beteiligung der Stadt für ausreichend gehalten, um Einfluss auszuüben.
Bei aller Freude über seinen Erfolg weiß Kerstan selbstverständlich, dass auf ihn nun die große Aufgabe der Umsetzung wartet. Er muss die Dreckschleuder Wedel möglichst schnell abschalten und durch eine umweltfreundliche Fernwärme-Erzeugung ersetzen. Und Kerstan muss darauf achten, dass die Kunden nicht über Gebühr zur Kasse gebeten werden. Tschentscher hat, das ist etwas untergegangen, eine Preisgarantie für die Fernwärme gegeben. Deren Kosten für die Verbraucher dürfen nicht stärker ansteigen, als die allgemeine Marktentwicklung vorgibt.
Wie teuer wird der Deal wirklich?
Schließlich bleibt die Frage, wie teuer der Deal wirklich wird. Die unterschiedlichen Gutachten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, was den Wert des Netzes angeht. Die Umweltbehörde kommt auf 1,1 Milliarden Euro, die Finanzbehörde nur auf 920 Millionen. Klar ist, dass die Stadt nun alles in allem 950 Millionen Euro an Vattenfall überweisen muss. Das ist der Garantie-Mindestpreis, den Scholz 2013 mit Vattenfall ausgehandelt hatte. „Ob das ein gutes oder ein schlechtes Geschäft war, wissen wir in fünf Jahren“, sagt ein führender Sozialdemokrat nüchtern. So etwas nennt man politisches Risiko.
Strategisch hat die SPD mit dem Fernwärme-Deal die Grünen an sich gebunden. Das kann mit Blick auf die Bürgerschaftswahl 2020 wichtig werden. Mit dem Rückkauf der Energienetze weiß die SPD auch die Mehrheit der Hamburger hinter sich. Ob sich das für die SPD auszahlt, darf bezweifelt werden. Wer den Klimawandel stoppen und die Welt retten will, wählt vielleicht doch lieber das Original: die Grünen.