Hamburg . Volksentscheid wird umgesetzt. Tschentscher verkündet kompletten Rückkauf. Opposition kritisiert: „Ein Desaster“.
Der zunächst von SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher angestrebte Kompromiss mit Vattenfall ist gescheitert: Hamburg kauft das Fernwärmenetz zum Jahreswechsel vollständig vom schwedischen Energiekonzern zurück. Das hat Tschentscher am Dienstag bekannt gegeben. Nachdem das Strom- und das Gasnetz bereits wieder in städtischer Hand sind, wird damit auch der letzten Teil des Volksentscheids von 2013 zum Rückkauf der Energienetze umgesetzt.
950 Millionen Euro müssen bezahlt werden
Für das gesamte Netz muss Hamburg nun den 2014 vereinbarten Mindestpreis von 950 Millionen Euro bezahlen. Da die Stadt bereits 25,1 Prozent für 325 Millionen Euro erworben hat, werden nun noch 625 Millionen Euro fällig. Tschentscher hatte bis zuletzt eine Verlängerung der Zusammenarbeit mit Vattenfall favorisiert.
Voraussetzung wäre gewesen, dass das Unternehmen die Mehrheit an der Fernwärme sofort abgibt und als Minderheitsgesellschafter die klimafreundliche Umgestaltung begleitet hätte. Dazu war Vattenfall bis Montagabend nicht bereit.
Keine Preissteigerungen über Marktentwicklung
Daher sei die „vollständige Übernahme die beste Lösung“, auch im Sinne des Klimaschutzes, so Tschentscher. Die rechtlichen Bedenken zum Rückkauf haben sich offenbar zerstreut. Nach neuen Gutachten ist die Fernwärme zwischen 920 Millionen und 1,1 Milliarden Euro wert.
Daher sei der Kauf zum Mindestpreis vertretbar. Ein Gutachten vom Mai hatte den Wert auf nur 645 Millionen Euro taxiert. „Wir können sicherstellen, dass es keine Preissteigerungen über Marktentwicklung für Kunden geben wird“ , sagte Tschentscher, der sich vor der Verkündung noch die Zustimmung seines Partei- und Fraktionsvorstandes holte.
Zustimmung der Grünen
Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan sprach von einer „guten Entscheidung für den Klimaschutz, die Wärmewende und einen schnellen Kohleausstieg“. Die Entscheidung „sichert stabile und bezahlbare Preise für die Fernwärmekunden und macht die Arbeitsplätze zukunftssicher“, so Kerstan. „Damit kommt ein langjähriges Ringen zu einem guten Ende, für das sich die Grünen sehr eingesetzt haben.“ Kern des neuen Wärmekonzeptes ist neben Abwärme aus Industriebetrieben, Wärmepumpe und Müllverbrennung ein neues modernes Gaskraftwerk am Standort Dradenau, wie Bürgermeister Tschentscher bestätigte. Dort sollen Wärme und Strom produziert werden. Zugleich soll die Wärme aus anderen Quellen in dem neuen Kraftwerk auf die für das Fernwärmenetz nötige Temperatur gebracht werden.
Kosten für Kraftwerk noch unklar
Wie teuer das neue Kraftwerk wird, hat der Senat noch nicht bekannt gegeben. Man geht aber für den Neubau von einem dreistelligen Millionenbetrag aus. Dass das alte Kraftwerk Wedel bereits 2022 vom Netz geht wie vorgesehen, erscheint derzeit allerdings unwahrscheinlich. Man werde sich zur Not eine Genehmigung der EU für eine Verlängerung der Laufzeit um ein oder zwei Jahre holen, hieß es am Dienstag aus Senatskreisen. Kritik vom Steuerzahlerbund, Lob vom BUND CDU, FDP, AfD und Steuerzahlerbund kritisierten die Entscheidung, die der Senat formal am kommenden Dienstag treffen will. „Wenn die Politik so lange Gutachten in Auftrag gibt, bis das gewünschte Ergebnis dabei herauskommt, verkommen Gesetze wie die Landeshaushaltsordnung zum Papiertiger“, sagte Sabine Glawe vom Steuerzahlerbund.
FDP: "ökologisches Desaster“
CDU-Fraktionschef André Trepoll sagte, die Steuerzahler müssten 300 Millionen Euro zuviel zahlen, „weil die SPD das Thema aus Wahlkampf heraushalten will“. FDP-Fraktionschef Michael Kruse sprach von einem „ökonomischen und ökologischen Desaster“. BUND und Linke begrüßten die Entscheidung. Es sei „ein wirklich guter Tag für die direkte Demokratie, den Klimaschutz und den notwendigen Kohleausstieg“, so BUND-Chef Manfred Braasch.
Jörg Dürre, Vorsitzender des Energieausschusses der Handelskammer, lobte den Beschluss des Senats: „Ich begrüße es, dass der Senat nach Prüfung aller Risiken, über die in den vergangenen Wochen diskutiert wurde, nun entscheiden möchte, das Fernwärmenetz vollständig zum 1. Januar zurückzukaufen und die entsprechende Option bis Ende November auszuüben. Damit wird – nach Strom und Gas – auch der dritte Teil des Volksentscheides vom Herbst 2013 umgesetzt, was zu Rechts- und Planungssicherheit für alle Beteiligten führt.