Hamburg. Bürgermeister Tschentscher sagt, neue Gutachten hätten bisherige Bedenken ausgeräumt. Doch Opposition spricht von zu teurem Rückkauf

    Nun ist es entschieden, und alle bisherigen Bedenken beim Senat sind offenbar ausgeräumt: Die Stadt übernimmt zum 1. Januar 2019 das gesamte Fernwärmenetz von Vattenfall. Das haben Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) am Dienstagmittag verkündet, nachdem zuvor SPD-Landesvorstand und Fraktionsvorstand dieser Entscheidung zugestimmt hatten. Damit wird der Volksentscheid von 2013 zum Rückkauf der Energienetze nun auch im letzten Punkt umgesetzt.

    Die rechtlichen Bedenken seien durch neue Gutachten ausgeräumt worden, so die SPD-Politiker. Zuletzt hatte es die Befürchtung gegeben, der Kauf könnte unzulässig sein. Hintergrund: Ein Gutachten der Firma BDO aus dem Frühjahr 2018 hatte ergeben, dass das Netz nur noch 645 Millionen Euro wert sei. Der SPD-Senat hatte Vattenfall 2014 aber einen Mindestpreis von 950 Millionen Euro garantiert, was dem Gutachten zufolge ein deutlich zu hoher Preis gewesen wäre. Dies könne gegen die Landeshaushaltsordnung verstoßen, von der EU als verbotene Beihilfe gewertet werden oder von Gerichten als Untreue – so die Befürchtungen. Diese Bedenken seien ausgeräumt, so Dressel.

    Zwei neue Wertgutachten der Firmen LBD und PwC haben nach Abendblatt-Informationen ergeben, dass das Fernwärmenetz zwischen 920 Millionen und 1,1 Milliarden Euro wert ist. Der Unterschied zu dem BDO-Gutachten ergibt sich demnach aus der Einberechnung von steuerlichen Vorteilen und einer Förderung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerken in Höhe von 150 Millionen Euro für ein neues Gaskraftwerk, das der Senat plant. Auch werde der Marktpreis berücksichtigt.

    So muss die Stadt nun 625 Millionen Euro an Vattenfall zahlen: den Mindestpreis von 950 Millionen Euro für das gesamte Netz, abzüglich der 325 Millionen Euro, die die Stadt 2012 bereits für den Erwerb eines Anteils von 25,1 Prozent bezahlt hatte. „Wir haben in den vergangenen Monaten unterschiedliche Szenarien zur Umsetzung des Volksentscheids in rechtlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht geprüft und dazu konstruktive Gespräche mit Vattenfall geführt“, sagte Bürgermeister Tschentscher. „Die Ausübung der 2014 mit Vattenfall vereinbarten Option zur vollständigen Übernahme der Fernwärmegesellschaft zum 1. Januar 2019 hat sich als die beste Lösung erwiesen, um im Zusammenwirken mit den anderen städtischen Unternehmen eine klimaschonende Fernwärmeversorgung aufzubauen, stabile Preise für die Kunden sicherzustellen und das Fernwärmenetz zeitnah und sicher in die öffentliche Hand zu übernehmen.“

    Dabei verwies Tschentscher auf den jüngsten Bericht des Weltklimarats, der die Dringlichkeit des Klimaschutzes noch einmal unterstrichen habe. Die Idee, im Kohlekraftwerk Moorburg gebe es doch sowieso Wärme, sei falsch. Erstens müsste man das Kraftwerk für die Fernwärmenutzung umrüsten – und zweitens würde Hamburg sich damit auf sehr lange Zeit abhängig von klimaschädlicher Kohle machen. Der Bürgermeister versuchte, die Angst vor starken Preissteigerungen für Fernwärmekunden zu zerstreuen. Es werde keine Steigerungen über der normalem Marktentwicklung geben.

    Ein zunächst von der SPD favorisierte Verlängerung der Kooperation mit Vattenfall war am Montagabend endgültig gescheitert. Vattenfall hatte es abgelehnt, die Mehrheit im Unternehmen abzugeben und noch für einige Zeit als Minderheitsgesellschafter an der Wärmewende mitzuarbeiten.

    Vattenfall signalisierte, dass es den Übergang, anders als zuletzt befürchtet, nicht behindern wolle. „Wir machen keinen Hehl daraus, dass wir gern gemeinsam mit der Stadt am Umbau des Fernwärmesystems hin zu umweltverträglicher Wärmeerzeugung weitergearbeitet hätten“, sagte Deutschland-Chef Tuomo Hatakka. „Wir respektieren die Entscheidung und werden alles tun, um einen reibungslosen Übergang des Unternehmens sicherzustellen.“

    Kritik vom Steuerzahlerbund, Lob von BUND und der Linken

    Der grüne Umweltsenator Jens Kerstan sprach von einer „guten Entscheidung für den Klimaschutz, die Wärmewende und einen schnellen Kohleausstieg“. Die Entscheidung „sichert stabile und bezahlbare Preise für die Fernwärmekunden und macht die Arbeitsplätze zukunftssicher“, so Kerstan. „Damit kommt ein langjähriges Ringen zu einem guten Ende, für das sich die Grünen sehr eingesetzt haben.“

    Kern des neuen Wärmekonzepts ist neben Abwärme aus Industriebetrieben, Wärmepumpe und Müllverbrennung ein neues modernes Gaskraftwerk am Standort Dradenau, wie Bürgermeister Tschentscher bestätigte. Dort sollen Wärme und Strom produziert werden. Zugleich soll die Wärme aus anderen Quellen in dem neuen Kraftwerk auf die für das Fernwärmenetz nötige Temperatur gebracht werden. Wie teuer das neue Kraftwerk wird, hat der Senat noch nicht bekannt gegeben. Man geht aber für den Neubau von einem dreistelligen Millionenbetrag aus. Dass das alte Kraftwerk Wedel bereits 2022 vom Netz geht wie vorgesehen, erscheint derzeit allerdings unwahrscheinlich. Man werde sich zur Not eine Genehmigung der EU für eine Verlängerung der Laufzeit um ein oder zwei Jahre holen, hieß es am Dienstag in Senatskreisen.

    CDU, FDP, AfD und Steuerzahlerbund kritisierten die Entscheidung, die der Senat formal am kommenden Dienstag treffen will. „Wenn die Politik so lange Gutachten in Auftrag gibt, bis das gewünschte Ergebnis dabei herauskommt, verkommen Gesetze wie die Landeshaushaltsordnung zum Papiertiger“, sagte Sabine Glawe vom Steuerzahlerbund. CDU-Fraktionschef André Trepoll sagte, die Steuerzahler müssten 300 Millionen Euro zu viel zahlen, „weil die SPD das Thema aus dem Wahlkampf heraushalten will“. FDP-Fraktionschef Michael Kruse sprach von einem „ökonomischen und ökologischen Desaster“.

    BUND und Linke begrüßten die Entscheidung. Es sei „ein wirklich guter Tag für die direkte Demokratie, den Klimaschutz und den notwendigen Kohleausstieg“, so BUND-Chef Manfred Braasch.