Hamburg. Teil der Mehrausgaben für Pensionslasten oder für öffentliche Infrastruktur. CDU wirft Senator Wortbruch vor. Was diese Woche ansteht.

Zufälle gibt’s. Als kürzlich der langjährige Chef der städtischen Firmen-Holding HGV, Rainer Klemmt-Nissen, verabschiedet wurde, kamen natürlich auch Finanzsenator Andreas Dressel (SPD), sein politischer Gegenspieler in der Bürgerschaft, der CDU-Finanzexperte Thilo Kleibauer, sowie Rechnungshofpräsident Stefan Schulz ins Rathaus. Die vier Männer vereint über das Interesse an Finanzpolitik hinaus auch der für Hamburger Verhältnisse eher ländliche Wohnort: Volksdorf.

Daraus zu schließen, dass die finanziellen Weichen für die Hansestadt in den beschaulichen Walddörfern gestellt werden, wäre jedoch falsch – das geschieht immer noch in der Finanz­behörde und im Rathaus. Und dort werden sich die Herren – außer Klemmt-Nissen, der ab sofort den verdienten Ruhestand genießen darf – in dieser Woche recht häufig treffen. Heute stellt der Rechnungshof einen Bericht zur Einhaltung der Schuldenbremse vor, am Dienstag präsentiert Dressel den Geschäftsbericht des „Unternehmens“ Hamburg, am Mittwoch debattiert die Bürgerschaft erstmals den Haushalt 2019/2020, und am Freitag steigt dann auch der Haushaltsausschuss in die Beratungen ein.

Fünf Milliarden Euro Mehrausgaben

Und obwohl Dressel am Dienstag auch für 2017 den größten Überschuss der Stadt aller Zeiten verkünden wird, werden im Laufe der Woche nicht nur freundliche Worte gewechselt. Das hat vor allem mit einem anderen Rekord zu tun: Denn Dressel steigert auch wie kaum ein Finanzsenator vor ihm die Ausgaben der Stadt. Kurz nach Amtsantritt im April verkündete er, dass man dem Wachstum der Stadt Rechnung tragen und rund eine Milliarde Euro mehr ausgeben wolle – pro Jahr.

„Insgesamt will Rot-Grün in dieser Wahlperiode mehr als fünf Milliarden Euro mehr ausgeben als bei Abschluss der Koalition vereinbart“, hat CDU-Finanzexperte Kleibauer ausgerechnet. Doch selbst mancher Kritiker äußerte dezent Mitleid mit Dressel, dass er sein Amt gleich mit so einer Botschaft antreten musste – nachdem sich sein Vorgänger, der heutige Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), als strenger Hüter der Finanzen profiliert hatte. Denn die Entscheidung, die Ausgaben langfristig den wachsenden Herausforderungen – mehr Einwohner, mehr Kita-Kinder, mehr Schüler, mehr Studenten, mehr ÖPNV-Nutzer – anzupassen, war schon zu Tschentschers Zeiten in der Finanzbehörde von langer Hand vorbereitet worden. Dass Dressel sie dann zu verkünden hatte, war nur den zeitlichen Abläufen der Personalwechsel im Senat geschuldet.

Dressels Wortbruch

Ein inhaltliches Problem hat der neue Finanzsenator mit diesem Kurs indes nicht, im Gegenteil. In gewisser Hinsicht schloss sich damit sogar der Kreis. Denn es war die – damals von Dressel geführte – SPD-Bürgerschaftsfraktion, die zusammen mit den Grünen den Senat aufgefordert hatte, das Wachstum der Stadt stärker im Haushalt abzubilden. Und Dressel sieht sich auch als Finanz- und Bezirkssenator nicht nur als strenger Kassenwart, sondern auch als „Ermöglicher“, etwa wenn es darum geht, neue Stellen für den Wohnraumschutz in den Bezirken zu schaffen.

Zu Auseinandersetzungen in den Haushaltsberatungen dürfte auch weniger die Steigerung der Ausgaben an sich führen, sondern eher die Dimension und einige Besonderheiten – etwa die Sache mit dem Vorsichtsabschlag. Zu Tschentschers Zeiten wurde bei der Aufstellung des Haushalts eine meist dreistellige Millionensumme von den Steuerschätzungen abgezogen und so quasi dem Zugriff der Politik entzogen – das trug mit dazu bei, dass seit 2014 am Jahresende immer ein kräftiger Überschuss stand.

Auch Dressel hatte schnell versprochen, er wolle mit „weiter hohen Vorsichtsabschlägen“ planen. Umso größer war die Überraschung, als in seinem Entwurf für den Haushalt 2019/2020 von diesen Abschlägen „überhaupt nichts zu erkennen“ war, wie nicht nur Kleibauer auffiel.

„Hier begeht Senator Dressel nach nur wenigen Monaten im Amt einen klaren Wortbruch“, sagt der CDU-Politiker. Auch die neue Strategie des Senats, von deutlich höheren Einnahmen auszugehen und die Ausgaben entsprechend anzuheben, sieht er sehr kritisch: „Natürlich gibt es in manchen Bereichen Mehrbedarfe, aber wenn der Finanzsenator in guten Haushaltsjahren das Vorsichtsprinzip komplett über Bord wirft, denkt er erkennbar nur bis zum nächsten Wahltermin.“ Der ist Anfang 2020.

Die Finanzbehörde kontert diese Kritik mit dem Verweis auf eine neue Position im Haushalt: „konjunkturelle Risiken“. Als Ersatz für den Vorsichtsabschlag würden nun ähnlich große Summen für schlechte Zeiten zurückgelegt: 150 Millionen im Jahr 2020, 200 Millionen 2021 und sogar 300 Millionen im Jahr darauf. Das sei in gewisser Hinsicht sogar „noch restriktiver“ als die alte Regelung, heißt es.

Allerdings unterliegt der neue Risikopuffer anderen Regeln: Denn während Geld, das auf der Einnahmeseite im Haushalt gar nicht erst eingeplant wurde, auch nicht ausgegeben werden kann, steht der Posten „konjunkturelle Risiken“ auf der Ausgabeseite. Mit anderen Worten: Dieses Geld ist zwar nicht fest verplant, könnte aber theoretisch ausgegeben werden. Nicht nur die Opposition, sondern auch der unabhängige Rechnungshof sieht dieses Vorgehen daher mit Skepsis – ebenso wie die ziemlich auf Kante genähte Veranschlagung der Ausgaben.

Dressel betont, seine Politik sei vorsichtig

Dressel hingegen wird nicht müde zu betonen, dass die Haushaltspolitik ebenso vorsichtig sei wie unter seinem Vorgänger. Und er hat durchaus Argumente: So wurden in den guten letzten Jahren Rückstellungen über fast vier Milliarden Euro gebildet (die sogenannte Konjunkturposition), und außerdem seien von 2019 an jedes Jahr 450 Millionen Euro für Tilgung von Krediten oder Hilfen für öffentliche Unternehmen vorgesehen – was dort die Kreditaufnahme reduzieren würde. Von „geöffneten Schleusen“, wie die FDP meint, könne daher keine Rede sein.

Im Übrigen werde ein erheblicher Teil der Mehrausgaben für Pensionslasten zurückgestellt oder in die öffentliche Infrastruktur investiert: Dies rechtzeitig zu erhalten, anstatt sie verfallen zu lassen und später mit umso mehr Aufwand sanieren oder neu beschaffen zu müssen, senke die „graue Verschuldung“, so Dressel.

Bevor die großen Haushaltsdebatten beginnen, sicherte er aber erst einmal die Einnahmen der Zukunft: Am Freitag begrüßte der Finanzsenator erst 75 Steueranwärterinnen und Steueranwärter, die ihre zweijährige Berufsausbildung in Hamburg beginnen, und kurz darauf gratulierte er 72 fertigen Absolventen.

Danach eröffnete er als Bezirks­senator ein Stadtteilfest – natürlich in Volksdorf.