Hamburg. Vor 150 Jahren ließ Martin Haller eine temporäre Insel vor dem Jungfernstieg errichten. Dann kam überraschend der König.
Die Kulisse ist die City einer Weltstadt, der Auftraggeber ein hochberühmter Architekt, der Stargast ein künftiger Kaiser: Vor 150 Jahren, im September 1868, wird eine künstliche Insel auf der Binnenalster zur Bühne für ein Spektakel von historischem Rang.
Doch die Realisation des grandiosen Projekts übernimmt kein genialer Künstler, brillanter Techniker oder hoch bezahlter Spezialist, sondern ein gewöhnlicher Hamburger Zimmermann. Zwei Wochen lang sägt, hämmert, hackt und bohrt der wackere Holzverarbeiter, dessen Namen die Chronik nicht überliefert, auf den Wassern vor dem Jungfernstieg an seinem Meisterwerk.
Am 1. September 1868 lädt ein 1200 Quadratmeter großer Pfahlbau 2000 Gäste in einen großen und vier kleine Pavillons. Die Besucher reisen zur 15. Versammlung deutscher Architekten und Ingenieure an. Sie möchten in der Freien und Hansestadt Grundsätze für Ausschreibungen von Staatsbauten beschließen. Denn bei solchen lukrativen Projekten herrschen damals noch Willkür und Korruption.
Architekt Haller will noch ein bisschen mehr
Der erst 32 Jahre alte Architekt Martin Haller will noch ein bisschen mehr. Nach Studien in Potsdam, Berlin und Paris hat sich der Sohn eines Hamburger Bürgermeisters 1861 in seiner Heimatstadt niedergelassen. Doch die Aufträge sind bisher eher mau: Haller hat ein Gutshaus, zwei Villen sowie einen Konzertsaal umgebaut. Jetzt plant der ehrgeizige Newcomer im Auftrag des Hamburger Architektenvereins ein besonders eindrucksvolles Exempel hanseatischer Feierkunst.
Die Herausforderung ist nicht ohne, denn die Binnenalster ist schon seit Jahrhunderten für bombastische Feste berühmt. Im September 1650 etwa illuminiert ein Feuerwerk zum vertraglich besiegelten Ende des Dreißigjährigen Kriegs ein schwimmendes Standbild, auf dem sich Gerechtigkeit und Frieden küssen. Der Dichter Johannes Rist feiert „mit großem Wortaufwand“ die majestätische Szenerie an der damals noch hölzernen Lombardsbrücke.
Die frühneuzeitliche Jubelarie begründet eine lange Tradition. „Die Binnenalster erschien als der gegebene Ort für solche Lustfeuer“, berichtet der Kulturhistoriker Ernst Finder. „Sie wurden von Offizieren der hamburgischen Artillerie auf Schiffen, Flößen und Gerüsten, nicht selten auch auf dem Eise hergestellt und sogar bei strenger Kälte unter Pauken- und Trompetenschall sowie unter dem Donner der Geschütze auf den Wällen abgebrannt.“
Zur Kaiserkrönung gibt es die ersten Raketen
Das Publikum bekommt dabei immer wieder Sensationelles geboten: Finder nennt „allerlei mythologisch-allegorisches Beiwerk“, dazu „auch Wappen, Triumphbögen, Pyramiden, Spitzsäulen, Bogengänge und Ehrentempel“. Die Feuerwerker schießen „Sternschnuppen, Brillantschwärmer, Pfauenschwänze, Wassertöpfe und Raketen“ in den Himmel.
Zur Kaiserkrönung Karls VI. 1711 in Frankfurt lassen die Hamburger erstmals bunte Raketen – blaue und grüne – leuchten. „Zur Sicherheit hatte der Rat die Alster etwas aufeisen lassen“, schreibt Finder, denn vier Jahre zuvor waren bei einem solchen Feuerzauber drei Frauen und zwei Kinder in der Alster ertrunken.
1868 knüpft die Haller-Insel gekonnt an die große Tradition an. Unter der Flagge der Freien und Hansestadt wehen bunte Fahnen im Wind, Gäste in Festgewändern setzen auf Barkassen vom Jungfernstieg über, und zur Abschiedsfeier am Schlusstag, so ein Chronist, „erstrahlt die künstliche Insel in vollster Lichterpracht“.
Dem märchenhaft auf der Alster schwebenden Festtempel ist allerdings nur ein kurzes Leben vergönnt: Gleich nach der Architektentagung soll er abgebrochen worden. Doch plötzlich kündigt sich hoher Besuch an: König Wilhelm I. von Preußen geruht, anlässlich einer Reise durch seine neue Provinz Schleswig-Holstein auch Hamburg die Ehre seines Aufenthalts zu gewähren.
Eine romantische Idylle wird geschaffen
Senat und Bürgerschaft sind alarmiert. Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg im Sommer 1866 sind mit den Herzogtümern Schleswig und Holstein auch Hamburgs Nachbarstädte Altona und Wandsbek an Preußen gefallen. Und am 15. Mai 1867 hat Hamburg nach langem Kampf seine Selbstständigkeit faktisch aufgeben müssen. Souveränität, Post, Militär: alles weg. Jetzt kämpft die Handelsstadt mit aller Kraft um die überlebenswichtige Zollfreiheit.
Um den Herrn der Pickelhauben günstig zu stimmen, gehen ihm Rat und Senat tüchtig um den weißen Bart. Die Feierinsel auf der Binnenalster spielt dabei eine wichtige Rolle. Eilends werden an ihren Rändern Schuten und Flöße verankert. Auf der nun deutlich größeren Fläche errichtet der tüchtige Zimmermann, jetzt durch Zunftgenossen unterstützt, in Windeseile eine maßstabsgetreue Nachbildung des Schlosses Babelsberg.
Gärtner machen aus der malerischen Kulisse mit Grassoden, Büschen und kleinen Bäumen eine romantische Idylle. Die Idee ist klug: In dem Potsdamer Sommerschloss hat der König einst als Prinz mit seiner jungen Ehefrau Augusta von Sachsen-Weimar glückliche Tage genossen.
Monarch ist beeindruckt vom Feuerwerk
Am 20. September 1868 verfolgt der 71 Jahre alte Monarch im festlich geschmückten Haus des Kaufmanns, Ratsherrn und gebürtigen Preußen Max Theodor Hayn am Alsterdamm gerührt und nach dem Zeugnis aufmerksamer Beobachtung „sichtlich beeindruckt“ die spätsommerliche Illumination des Bretterschlösschens durch ein überaus farbenprächtiges Feuerwerk.
Zwei Jahre und vier Monate später lässt sich Wilhelm I. in Schloss Versailles zum Deutschen Kaiser proklamieren. Auch Architekt Martin Haller macht Karriere: 1876 wird er Vorsitzender des Architekten- und Ingenieurvereins, 1885 Mitglied der Hamburger Bürgerschaft, und 1896 baut er mit Kollegen das Hamburger Rathaus.
Die jüdische Familie Haller
Die jüdische Familie Haller stammte aus Wien. 1814 ließ sich Mendel Joseph Haller in Altona auf den Namen Martin Joseph taufen. Später wurde er Richter und gründete das Bankhaus Haller, Söhle & Co. Sohn Nicolaus Ferdinand Haller (1805–1876) wurde Jurist und 1863 Hamburger Bürgermeister.
Enkel Martin Emil Ferdinand Haller (1835–1925) wurde Architekt und entwarf Pläne für bedeutende Bauten wie das Rathaus und die Musikhalle. Die Hallerstraße zwischen Harvestehude und Rotherbaum ist nicht nach dem Architekten, sondern nach dem Bürgermeister benannt. In der Nazi-Zeit hieß sie wegen der jüdischen Abkunft der Familie „Ostmarkstraße“.