Hamburg . Vor 50 Jahren gab der Senat der Brücke den Vorzug vor einem Tunnel. Nun steht die Frage über die Köhlbrandbrücke erneut an.
Die Frage ist schwierig, die Entscheidung fundiert, die Fertigstellung pünktlich und der Wirtschaftssenator glücklich. Denn das neue Bauwerk räumt 1974 endlich eine Barriere ab, die Hamburgs Hafen bis dahin wie ein Axthieb durchtrennt: den Köhlbrand zwischen Waltershof und Neuhof.
50 Jahre nach der Entscheidung des Senats für die Brücke und 44 Jahre nach ihrer Eröffnung aber ist das Problem wieder da, und immer noch mit der gleichen Frage wie damals: Soll künftig eine neue Brücke oder nun besser doch ein Tunnel den 320 Meter breiten Mündungsarm der Süderelbe queren?
Damals erklärte Senator Helmuth Kern, eine Brücke sei wesentlich billiger, und man könne sie später auch erweitern, was bei einem Tunnel nicht möglich sei.
Heute wartet Senator Frank Horch auf eine Konzeptstudie der Hamburg Port Authority. Klar ist aber schon jetzt: Noch immer wäre eine neue Brücke billiger. Sie müsste jetzt aber um rund 20 Meter höher sein. Und für den Tunnel gibt es neue Argumente.
Fähren stoßen an Grenzen
Vogel oder Maulwurf? Ursprünglich läuft der Transit nach der Methode Fisch. 1910 erklärt der Senat die Halbinsel Waltershof zum Hafenerweiterungsgebiet, und ab 1912 schwimmen dort zwei Trajektfähren mit Eisenbahnwaggons von Ufer zu Ufer. 1956 und 1960 kommen zwei Autofähren dazu. Dann aber stößt der Übersetzverkehr an seine Grenzen. Denn 1967 steht am Burchardkai auf Waltershof Hamburgs erste Containerbrücke. Fortan machen immer größere Pötte mit immer mehr Fracht fest. Ein Autobahnanschluss muss her, und die Hafenbahn braucht dringend eine kreuzungsfreie Durchfahrt.
Der Senat rechnet nach Kaufmannsart: Brücke 120 Millionen DM, Tunnel 270 Millionen DM. Außerdem wäre der Tiefbau deutlich später fertig und der Betrieb wesentlich teurer.
Die Ausschreibung gewinnt 1968 ein Mann mit ungewöhnlichen Fähigkeiten: Egon Jux, 41 Jahre alt, hat in der Meisterklasse des großen Stadtplaners Werner Hebebrand studiert. Der Lehrer stellt die Büroburgen der City Nord auf die Wiesen zwischen Stadtpark und Alster. Der Schüler entwirft Überseezentrum, Polizeihochhaus, den Südteil des neuen Elbtunnels und die große Elbbrücke für die Umgehungsbahn.
Jux ist eine schillernde Persönlichkeit: Existenzialist, Idealist, Zeuge Jehovas. Seine Kinder heißen Inka, Ben, Pari, Manon und Thabita, seine Häuser „Buchenblätter“, „Schnecken“, „Krabben“ oder „Raupen“. Sein Credo: „Der Klang der Namen ist Gestaltung.“ Für die eher biedere Bezeichnung „Köhlbrand“ – im 15. Jahrhundert wurde dort Holzkohle produziert – kann Jux nichts, und auch nicht für die spätere Verbalhornung seiner Brücke als „Ködel am Band“.
Nach wenigen Jahren zeigen sich Rostschäden an den Seilen
Zuletzt hat der noch junge Architekt für Hollywoodstar Hardy Krüger die legendäre Momella Game Lodge in die ostafrikanische Wildnis gezaubert. Jetzt spannt Jux ein „Little Golden Gate“ als neues Wahrzeichen in den Luftraum der Freien und Hansestadt. Kongenialer Co-Erbauer ist der Stahlbauingenieur Paul Boué. Die Dimensionen sind gigantisch: 81.000 Kubikmeter Beton, 4300 Tonnen Stahl. Die 88 Trageseile wiegen 400 Tonnen. Das Gewicht drückt über 65 Pfeiler auf 900 Betonrammpfähle, 500 Großbohrpfähle und 200 stählerne Tragpfähle. Ein 1000-Tonnen-Autokran hievt zwei 136 Meter hohe Pylonen auf ihre Fundamente. Der Schwimmkran „Magnus XII“ setzt in 53 Metern Höhe aus 32 Stahlbetonkörpern die Fahrbahn zusammen.
Am 8. Mai 1970 löst Senator Kern mit einem kräftigen Zug an der Leine den ersten Rammschlag aus. 41 Monate später, am 25. Oktober 1973, schweißt der Politiker die zwei letzten Stahlteile mit der symbolischen „Goldenen Naht“ zusammen. Am 20. September 1974 zitiert Bundespräsident Walter Scheel, wie stets auf Volksnähe bedacht, zur Eröffnungsfeier den Sachsenkönig Friedrich August: „Nu, dann latschen mier mal nieber!“
Doch als die Ehrengäste rübergemacht haben, sind schon die ersten Steuerzahler am Meckern: Vielen ist der pittoreske Pfahlbau zu protzig und vor allem zu teuer. Zweieinhalb Jahre später weicht auch die Euphorie der Erbauer einer ersten Enttäuschung: Acht der 88 Stahlseile rosten, und in einer 70-Meter-Trosse sind bereits neun der 240 Einzeldrähte gebrochen.
„Pfusch an Deutschlands höchstem Brückenbauwerk!“ schimpft die Presse. Materialprüfer der Technischen Hochschule Zürich diagnostizieren eine Wasserstoffrisskorrosion: Feuchtigkeit dringt in die Seile ein und nimmt ihnen die Festigkeit. Die Generalüberholung kostet 12,5 Millionen Mark. Zum Glück hat Baudirektor Hans-Dieter Höft aufgepasst und im Vertrag mit dem Stahlkonzern Thyssen eine lange Gewährleistungsfrist sowie eine hohe Sicherungssumme eingebaut.
1998 stößt ein holländischer Frachter oben an
Heute rollen jeden Werktag 37.000 Kraftwagen über die vier Fahrstreifen. Am Wochenende entkommen Ausflügler in luftiger Höhe den vielen Staus auf der Autobahn und genießen dabei auch noch einen berauschenden Blick auf Hamburgs Skyline zwischen Michel und Elbphilharmonie. Leider nur aus dem fahrenden Auto. Spaziergänger, Wanderer und Radfahrer müssen unten bleiben.
„Ich denke immer noch, dass es schön wäre, wenn man auch zu Fuß drübergehen könnte“, sagt Jux 1984 dem Hamburger Abendblatt. Seit 2011 gibt es an jedem 3. Oktober einen Köhlbrandbrückenlauf. Pedaltreter passieren die luftige Brücke bei den Vattenfall Cyclassics oder der Fahrraddemo zum Autofreien Tag.
Größere Schiffe
Als 1998 ein holländischer Schwimmkran die stählernen Hohlkörper unter den Fahrbahnen rammt, wird die Durchfahrthöhe plötzlich zum Thema. Bald zeigen immer größere Containerschiffe, dass die 53 Meter nicht mehr lange reichen werden. Im Juni 2012 macht Bürgermeister Olaf Scholz klar, dass ein Neubau mindestens 73,5 Meter hoch sein müsste. Da kommt auch der Tunnel wieder ins Spiel. Sein Bau wäre teurer, sein Betrieb aber billiger, die Kapazität deutlich größer, der herrliche Vogelblick allerdings für immer dahin.