Hamburg. Am Donnerstag wurde im Hamburger Rathaus der 70. Geburtstag des Magazins gefeiert. Der Ex-Minister hat eine besondere Bitte.
Das Bekenntnis Hunderter Frauen zum Schwangerschaftsabbruch, die Kinder vom Bahnhof Zoo, Sigmar Gabriels Verzicht auf die Kanzlerkandidatur. Und, ja, die Hitler-Tagebücher. Im Hamburger Rathaus wurde am Donnerstag viel über die großen publizistischen Erfolge und den einen bis heute unglaublichen Misserfolg des „Stern“ gesprochen. Vor allem ging es beim Senatsempfang zum 70. Geburtstag des Magazins aber um den Zustand der Pressefreiheit und die Zukunft des deutschen Journalismus.
„Wenn heute selbst in europäischen Nachbarländern schwarze Listen mit unliebsamen Medien und Redaktionen geschrieben werden, wenn ein US-Präsident im Tagesrhythmus recherchierende und kommentierende Journalisten angreift, dann müssen wir uns in Deutschland bewusst und öffentlich zur Bedeutung eines politischen, eines unabhängigen, kritischen und investigativen Journalismus bekennen“, sagte Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher.
"Journalismus weltweit unter Druck"
Julia Jäkel, die Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, wurde noch deutlicher, vielleicht so deutlich wie selten bei einem ihrer öffentlichen Auftritte. „Der Journalismus stand weltweit nie so unter Druck wie heute“, sagte sie. Medial werde von ihm erwartet, sich dauernd neu zu erfinden. Moralisch würden neue Autoritäten – „von Erdogan, Putin über die AfD bis Donald Trump“ – die Legitimität von Zeitschriften und Zeitungen grundlegend in Frage stellen. „Und finanziell graben uns Unternehmen wie Facebook das Wasser ab. Die Zeiten der ökonomischen Sorglosigkeit im Journalismus sind leider vorbei“, sagte Jäkel.
Und, direkt zu den „Stern“-Mitarbeitern und anderen Medienschaffenden im Rathaus: „Viele von ihnen haben die goldenen Jahre erlebt.“ Aber die seien ein für allemal vorbei. „Alte Sentimentalitäten oder romantische Hoffnungen werden uns nicht dabei helfen, den neuen Journalismus für neue Generationen zu finden.“ Und es werde auch nicht die eine große Antwort geben, die alle Probleme löst, „sondern viele tausend kleine: Die zu finden ist unsere Pflicht!“
"Eine Herzensangelegenheit“
Eine große Antwort hatte Jäkel aber auch: „Meiner Meinung nach gab es selten einen Moment, in dem Demokratie und Journalismus einander so gebraucht haben wie jetzt“, sagte sie. Deshalb sei der „Stern“, der „die Entwicklung des Nachkriegsdeutschlands entscheidend mitgeprägt hat“ (Zitat Tschentscher), für Gruner + Jahr nicht nur eine Aufgabe: „Er ist uns eine Herzensangelegenheit“, so Jäkel.
Das gilt auch für den Mann, dessen Rede so etwas wie eine Liebeserklärung an den „Stern“ war, an jenes Magazin, „dem ich mich persönlich immer gern anvertraut habe“: Zuletzt war das, als Sigmar Gabriel via „Stern“-Interview seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur und den SPD-Parteivorsitz erklärte. Am Donnerstag war der ehemalige Außenminister nach Hamburg gekommen, um über sein Leben mit dem „Stern“ zu reden. Das habe in jungen Jahren begonnen, als das Heft aus Hamburg zum ersten Mal ins Haus Gabriel kam, und der Sohn der Familie mal etwas anderes zu lesen hatte als „Bravo“ oder „Praline“: „Es war ein bisschen so wie die erste Liebe“, sagte Gabriel, und dass diese Liebe nicht erkaltet sei.
Was vielleicht auch daran läge, dass der „Stern“ immer „etwas anderes war als die beiden anderen berühmten wöchentlich erscheinenden Periodika aus dieser Stadt“. Der Politiker meinte natürlich den „Spiegel“ und die „Zeit“, denen er, wie man in Hamburg sagen würde, gleich einen mitgab: „Der ‘Stern’ verstand sich nie als gediegen hanseatische Wochenzeitung im Tageszeitungsformat und schon gar nicht als selbst ernanntes Sturmgeschütz der Demokratie.“
Stimme für Pressefreiheit
Auch Sigmar Gabriel erhob seine Stimme für Pressefreiheit und einen funktionierenden Journalismus: „Natürlich schimpfen wir Politiker wie die Rohrspatzen und verfluchen gelegentlich die uns gegenüber stehenden Medienvertreter“, sagte er, der sich legendäre Duelle mit Reportern lieferte. „Aber in jeder nachdenklichen Minute wissen wir sehr genau, dass es ohne diesen manchmal nervenaufreibenden Vollkontakt zwischen Journalisten und demokratischen Politikern ein schlechteres und gefährliches Land wäre, in dem wir leben. Für jeden von uns.“
In diesem Sinne wünsche er dem „Stern“ für die Zukunft nur das Allerbeste. Und sich selbst wünschte er auch etwas: „Bitte schicken sie mir in den nächsten zehn Jahren niemanden aus der Nachfragerubrik der vorletzten Seite, wo es immer lautet: Was macht eigentlich? Das würde ich als bösen Angriff auf meine persönliche Integrität auffassen . . .“
Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher
Ob Christian Krug ihm diese Bitte erfüllen kann? Der „Stern“-Chefredakteur ging in seiner Rede auch auf den Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher ein, die am 15. September der Öffentlichkeit gezeigt werden sollen: „Es war ein Überlebenskampf. Bis heute ringen wir oft mit uns, oft kämpfen wir auch. Weil uns der ‘Stern’ so am Herzen liegt. Er ist für uns nicht nur ein Stück Pressegeschichte, sondern auch Pressezukunft.“ Wie diese Zukunft aussieht? Krug sagte: „Es ist nach wie vor Reporterleistung, die Wahrheit ans Licht zu bringen, über Missstände aufzuklären und den Mächtigen auf die Finger zu schauen. Das werden auch in Zukunft keine Blogger übernehmen, die für ihre Posts von der Industrie oder Lobbyverbänden bezahlt werden.“