Hamburg. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen – doch was bedeutet der Begriff Migrationshintergrund eigentlich?

Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg ist stark gestiegen: von rund 28 Prozent Ende 2009 auf 35 Prozent Ende 2017. Das gab das Statistikamt Nord am Donnerstag bekannt. Demnach lebten Ende vergangenen Jahres gut 650.000 Menschen mit ausländischen Wurzeln in Hamburg, 170.000 mehr als noch vor acht Jahren.

Innerhalb der Hansestadt gibt es große regionale Unterschiede: Im Bezirk Mitte liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung bei fast 50 Prozent, so die Statistiker. Auch in den Bezirken Harburg (45,3 Prozent) und Bergedorf (38) ist er überdurchschnittlich hoch, in Hamburg-Nord (27,2 Prozent), Eimsbüttel (27,9), Wandsbek (31) und Altona (32,6) dagegen niedriger.

Auch zwischen den Stadtteilen haben die Experten große Unterschiede ermittelt: So haben in Billbrook 85 Prozent der Bewohner einen Migrationshintergrund, in Billwerder 73 Prozent und auf der Veddel 72 Prozent – in den Stadtteilen der Vier- und Marschlande liegen diese Werte dagegen bei weniger als 15 Prozent.

Viel mehr junge als alte Hamburger mit Migrationshintergrund

Auffallend ist: Während mehr als die Hälfte der unter 18-jährigen Hamburger einen Migrationshintergrund hat, sind es bei den Über-65-Jährigen nur 19 Prozent der Männer und 16 Prozent der Frauen. Hier fällt allerdings eine Besonderheit der Statistik ins Gewicht: Wer in Deutschland als Deutscher zur Welt kommt und mindestens einen ausländischen Elternteil hat, wird bis zum 18. Lebensjahr in die Spalte „Migrationshintergrund“ eingeordnet, danach aber nicht mehr. Ohnehin bedeutet das Wort „Migrationshintergrund“ nicht zwangsläufig, dass es sich um Ausländer handelt: Mehr als die Hälfte dieser 650.000 Menschen besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die in Hamburg lebenden Menschen mit Migrationshintergrund kämen zwar „aus fast allen Ländern der Welt“, so das Statistikamt. An der Spitze liegen aber die Türkei und Polen: 93.000 Hamburger haben türkische Wurzeln, 76.000 stammen aus Polen, 43.000 aus Afghanistan und 34.000 aus Russland. Dahinter folgen Iran (23.000), Kasachstan (20.000), Syrien (16.000) und Rumänien (14.000).

Was bedeutet Migrationshintergrund – und hat man ihn auf ewig?

„In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es ein verzerrtes Bild darüber, wer einen Migrationshintergrund hat und wer nicht“, sagte die Migrationsforscherin Sandra Göttsche von der Helmut-Schmidt-Universität dem Abendblatt. Menschen, die aus Ländern außerhalb der EU immigrieren, würden eher als Migranten wahrgenommen als EU-Bürger.

Manchmal verlieren Hamburger ihren Migrationshintergrund über Nacht – und zwar an ihrem 18. Geburtstag. Andere behalten ihn ihr Leben lang. Es kann sogar Geschwistern passieren, dass der eine in der amtlichen Statistik als „Deutscher mit Migrationshintergrund“ geführt wird, während der Bruder oder die Schwester diesen Status mit der Volljährigkeit ablegt.

Die Definition ist kompliziert

Das klingt nicht nur kompliziert, das ist es auch. Migrationshintergrund ist eben eine Frage der Definition. Dazu gehören für die Statistikämter alle, die ohne deutschen Pass in Hamburg leben, also Ausländer sind. Ebenso alle Menschen, die nach 1950 aus dem Ausland nach Hamburg gekommen sind (auch wenn sie einen deutschen Pass haben). Auch wer in Deutschland geboren wurde, aber nicht von Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit hatte, wird statistisch in dieser Gruppe geführt. Und dann gibt es eben noch diejenigen, die als Deutsche in Deutschland auf die Welt kommen, aber bei denen mindestens ein Elternteil Ausländer war oder ist – die haben, bis sie 18 Jahre alt werden, Migrationshintergrund und als Erwachsene nicht mehr.

Über Vor- und Nachteile dieser Definition ließe sich natürlich streiten. Doch seine Aussagekraft gewinnt die Statistik vor allem im Vergleich mit den Vorjahren. Seit 2009 ist die Zahl der Hamburger mit Migrationshintergrund um knapp 170.000 gestiegen – ihr Anteil an der Bevölkerung wuchs von 28 auf 35 Prozent. Das geht aus einer Auswertung des Statistikamts Nord hervor.

Wer in die Statistik miteinbezogen wird

„Generell ist es wichtig, darauf zu achten, wer in die Statistik miteinbezogen wird“, sagt Sandra Göttsche, die an der Helmut-Schmidt-Universität zum Thema Migration forscht. So würden auch Studenten, die beispielsweise ein Auslandssemester machen und sich in Hamburg wohnhaft melden, in der Statistik berücksichtigt. Gleiches gilt für Arbeiter, die nur für eine bestimmte Zeit nach Hamburg kommen. „In vielen Biografien wird der Migrationshintergrund vergessen“, sagt Göttsche. „Es wird häufiger über Afghanen, Syrer oder Türken geredet als über Franzosen, Engländer oder Polen, die eben auch in die Statistik einbezogen werden.“

In Stadtteilen, in denen es einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund gibt, müssten zur Integrationsförderung genügend kulturelle und soziale Angebote geschaffen werden. „Im bundesweiten Vergleich steht Hamburg diesbezüglich nicht schlecht da“, so Migrationsforscherin Göttsche. Dennoch gebe es Ausbaupotential – zum Beispiel beim Thema Bildung.

Die Zahlen weisen einige Besonderheiten auf

Die Zahlen des Statistikamts weisen einige Besonderheiten auf. Nur einige Beispiele: Die Bevölkerung mit syrischem Migrationshintergrund ist zu zwei Dritteln männlich, die mit ukrainischen und russischen Wurzeln dagegen überwiegend weiblich. Hamburger mit Wurzeln in Kasachstan oder Russland sind zum größten Teil Deutsche, die aus Syrien Stammenden sind dagegen zu über 90 Prozent syrische Staatsangehörige. Auffällig ist auch die Ballung in einigen Stadtteilen: So leben allein in Wilhelmsburg 11.000 Menschen mit türkischen Wurzeln, während im Bezirk Bergedorf ein Großteil der Hamburger mit polnischen Wurzeln lebt: Allein in den Stadtteilen Bergedorf, Lohbrügge und Neuallermöhe trifft das auf 8700 Menschen zu.

Sandra Göttsche nennt das Netzwerk-Migration: „Menschen immigrieren eher dorthin, wo sie Menschen kennen, und mit denen sie in ihrer Muttersprache kommunizieren können.“ Aber auch das Angebot an günstigem Wohnraum, was zwischen den Stadtteilen stark variiert, spiele eine wichtige Rolle.

Warum die Zahlen seit Jahren steigen

Die seit vielen Jahren steigenden Zahlen haben mehrere Gründe. Einer war die große Flüchtlingswelle – auf deren Höhepunkt allein 2015 mehr als 40.000 Menschen nach Hamburg kamen, von denen gut die Hälfte zunächst auch in der Stadt blieben. Seitdem sind die Zahlen stark zurückgegangen. 2017 flüchteten nur noch rund 9000 Menschen nach Hamburg, von denen gut 5000 in der Stadt blieben.

Hinzu kommt: Von den etwa 653.000 Menschen mit Migrationshintergrund, die zurzeit in Hamburg leben, haben 48,1 Prozent keinen deutschen Pass. Das bedeutet, dass deren Kinder ebenfalls ein Leben lang diesen statistischen Status haben – die Zahlen wachsen also automatisch. Und da in manchen Kulturkreisen die Frauen früher und mehr Kinder bekommen als im Hamburger Durchschnitt, verstärkt sich dieser Effekt. Über Erfolg oder Misserfolg von Integrationsbemühungen sagen diese Daten allerdings nichts aus.