Immer mehr Hamburger stammen aus dem Ausland – was bedeutet das?

Es ist ein Wortungetüm, das Mark Twain in seiner Sicht der deutschen Sprache bestätigt hätte. In seinem lustigen wie bösen Essay „Die schreckliche deutsche Sprache“ mokierte er sich über zusammengesetzte Wörter, die wie alphabetische Prozessionen anmuteten. Einige seien so lang, dass sie eine Perspektive aufwiesen, spottete Twain. Für das noch junge Wort „Migrationshintergrund“ gilt das zweifellos.

Nun hat das Statistikamt Nord berechnet, wie viele Menschen mit ­Migrationshintergrund in Hamburg leben. Von Ende 2009 bis Ende 2017 stieg dieser Anteil von 28 auf 35 Prozent. Die Zahl elektrisiert Freunde offener Grenzen genauso wie Ausländerfeinde: Die einen wähnen sich mit Siebenmeilenstiefeln auf dem Weg ins multikulturelle Paradies, die anderen auf einer Höllenfahrt in den Abgrund.

Matthias Iken
Matthias Iken © Reto Klar | Reto Klar

Dabei sagt die Zahl viel weniger, als manche argwöhnen. So hässlich wie das Wort Migrationshintergrund ist, so vage bleibt es. So muss man wissen, dass die Definition des Begriffes mehrfach geändert wurde. Im Allgemeinen beschreibt er alle Personen, die selbst oder bei denen mindestens ein Elternteil mit anderer Staatsangehörigkeit geboren wurde. So vererbt sich Migrationsgeschichte – und so wächst mit der Zeit der Migrantenanteil automatisch. In Deutschland bekommen geborene und sozialisierte Aussiedlerkinder genauso den Stempel verliehen wie gerade zugewanderte Asylbewerber. Dies allein zeigt, dass der Migrationshintergrund grob verallgemeinert. Viele Menschen verbinden mit diesem Hintergrund ein Problem oder konstruieren daraus einen Betreuungsbedarf – auch das führt in die Irre.

Es gibt assimilierte Einwanderer, deren Wurzeln nur noch statistisch messbar sind, daneben konsequente Integrationsverweigerer, die sich im vormodernen Milieu abschotten. Ihre Gemeinsamkeiten gehen gegen null, statistisch sind sie eine Einheit. Die Großstadt mit dem höchsten Migrantenanteil ist Frankfurt am Main mit 42,7 Prozent – auch wegen vieler internationaler Unternehmen. Dresden hingegen kommt auf nur 7,5 Prozent – hat die Stadt deshalb weniger Probleme? Die gefeierten katholischen Schulen in Hamburg weisen den höchsten Migrantenanteil auf, die Waldorfschulen den geringsten – sagt das etwas über die Qualität des Unterrichts aus?

Der Migrationshintergrund belegt, wie klein Hamburg ohne Zuwanderung wäre. Erkenntnisse zur Integration oder dem Stand der multikulturellen Stadtgesellschaft lassen sich aus den Daten kaum ableiten. Viel wichtiger wäre die genaue Analyse, was sich hinter welchem Hintergrund verbirgt. Woher kommen die Menschen? Welche Religion bringen sie mit? Wie leben sie? Wie weit geht ihre Integration? Das wären Statistiken und Analysen, die dahin gehen, wo es wehtun kann, die für eine funktionierende Stadtgesellschaft aber relevant sind. Warum etwa ist die Integration der 76.000 Zuwanderer aus Polen in Hamburg nie ein Thema, die der 93.000 Türken hingegen oft? Warum schneiden Zuwandererkinder aus
Vietnam in Bildungsstudien besser ab als Deutsche, warum hinken Kinder aus dem Nahen Osten weit hinterher? In welchen Milieus häufen sich Probleme wie Arbeitslosigkeit, Segregation, Diskriminierung von Frauen?

Die multikulturelle Stadt bleibt erstrebenswert und ist in Hamburg längst Realität. Sie muss sich aber für die Menschen interessieren, sie fördern wie fordern und darf durchaus kritische Fragen stellen. Je bunter eine Stadt wird, desto wichtiger wird das gemeinsame Fundament: Die Grundwerte der Aufklärung gelten für alle.