Hamburg. 35 Prozent mehr Zusammenstöße im vergangenen Jahr. CDU fordert Einführung des “holländischen Griffs“ in Fahrschulen.

Vor kaum etwas fürchten sich Radfahrer in Städten mehr als vor sich plötzlich und unerwartet öffnenden Autotüren. Dass diese Angst auch in Hamburg berechtigt ist, zeigen die jüngsten Daten des Senats zu dem Thema. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Fahrradunfälle durch Zusammenstöße mit Fahrzeugtüren um rund 35 Prozent angestiegen.

Registrierte die Polizei im Jahr 2016 noch 108 dieser neudeutsch als „Dooring“ (von englisch door = Tür) bezeichneten Unfälle, so waren es 2017 bereits 146. Das ist der zweithöchste Stand im laufenden Jahrzehnt nach 156 solcher Unglücke im Jahr 2014. Seit diesem Höchststand waren die Zahlen zwei Jahre in Folge deutlich gesunken.

77 Unfälle bereits im ersten Halbjahr 2018

Verletzt wurden im vergangenen Jahr insgesamt 133 Radfahrer, weil Autoinsassen beim Aussteigen ihre Türen öffneten, ohne auf den Radverkehr zu achten. Zehn davon erlitten schwere Verletzungen. Besserung scheint auch im laufenden Jahr nicht in Sicht. Bis Ende Juni 2018 gab es bereits wieder 77 „Dooring“-Unfälle mit 67 Verletzten. Zwei davon trugen schwere Verletzungen davon. Diese aktuellen Daten ergeben sich aus der Antwort des Senates auf eine Kleine Anfrage des CDU-Verkehrspolitikers Dennis Thering, die dem Abendblatt vorliegt.

Der erneute Anstieg der Zahlen hat eine Diskussion über einen besseren Schutz der Radfahrer von den bisweilen sogar lebensbedrohlichen Unachtsamkeiten von Autoinsassen ausgelöst. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) hat jetzt darauf hingewiesen, wie gefährlich Zusammenstöße mit Türen für Radfahrer seien. Gerade erst sei in Dresden eine Frau nach einem solchen Unfall verstorben, sagte ADFC-Sprecher Dirk Lau dem Abendblatt.

„Markierte Sicherheitsabstände zwischen Parkständen und Radweg bzw. Radfahrstreifen werden leider auch in Hamburg von vielen Autofahrern beim Parken nicht eingehalten“, so Lau. „Meist ist dieser Abstand der Bereich zwischen linkem Bordstein des Parkstands und der rechten Seitenlinie des Radfahrstreifens. Ausreichende Überwachung des ruhenden Verkehrs durch die Polizei gibt es in Hamburg bei Weitem nicht. Bei neueren Planungen wird deshalb nun teilweise ganz auf das Markieren des Abstands verzichtet, weil sich ohnehin zu wenige Autofahrer daranhalten.“

Hilft der "holländische Griff"?

Radfahrern empfehle der ADFC, „zu geparkten Autos immer mindestens einen Meter Sicherheitsabstand zu halten“, so Lau. Viele, vor allem auch ungeübte Radfahrende, ließen sich „zu leicht an den rechten Fahrbahnrand abdrängen, nicht zuletzt weil sie immer wieder von Autofahrer und -innen mit nicht ausreichendem Abstand überholt werden“, so der ADFC-Sprecher. Es fehle „sowohl bei Rad- als auch bei Autofahrern das Bewusstsein für die Gefahr der Dooring-Zone“.

CDU-Verkehrspolitiker Thering forderte, der Senat müsse „endlich alles unternehmen, um alle Verkehrsteilnehmer bestmöglich vor Unfällen zu schützen“. Die „wenigen vom Senat bisher ergriffenen Maßnahmen, wie die Verlegung von Radwegen auf Hauptverkehrsstraßen“, hätten die Dooring-Unfälle nicht reduziert. „Wir fordern den Senat auf, Präventionsmaßnahmen zur Reduzierung von Dooring-Unfällen einzuführen und aktiv darauf hinzuwirken, dass bei der Ausbildung von Fahrschülern der sogenannte ,holländische Griff‘ zum Standard wird.“

Als „holländischen Griff“ bezeichnet man die Technik von Autoinsassen, die Außentür mit der weiter entfernten Hand zu öffnen. Wenn der Fahrer die Tür nicht mit der linken, sondern mit der rechten Hand öffnet, führt die so erzwungene Drehung des Oberkörpers automatisch zu einem Schulterblick – und sich nähernde Radfahrer werden noch vor dem Öffnen der Tür gesehen. Wenn alle Fahrer ihre Türen so öffneten, könnten vermutlich viele Dooring-Unfälle vermieden werden.

Radverkehrskoordinatorin fordert mehr Rücksichtnahme

Radverkehrskoordinatorin Kirsten Pfaue plädierte angesichts der aktuellen Zahlen für mehr Achtsamkeit. „Die Mobilität in Hamburg wächst, der Anteil der Radfahrenden nimmt zu und neue Infrastruktur stellt neue Anforderungen an alle“, sagte Pfaue. „Damit alle sicher an ihr Ziel kommen, ist gegenseitige Rücksichtnahme zentral, also dass Autofahrer beim Türöffnen an den Schulterblick denken und Radfahrer vorausschauend agieren.“

Die Polizei sieht eine Ursache der gestiegenen Zahlen im „insgesamt zunehmenden Radverkehr“, so Sprecher Rene Schönhardt. „Nicht erkennbar ist ein negativer Einfluss durch die Einrichtung von Radfahr- und Schutzstreifen. Auch bei der Benutzung dieser Anlagen wurden zwar Dooring-Unfälle registriert, jedoch in vergleichsweise geringer Zahl. Von den 77 Verkehrsunfällen des aktuellen Jahres waren es 17 auf Radwegen und fünf auf Radfahr- oder Schutzstreifen.“ Bei der Planung von neuen Radverkehrsanlagen sei die Polizei beteiligt und achte „strikt auf die Einhaltung der Vorgaben zum Sicherheitstrennstreifen“.