Hamburg. Fraktionschefs Jörn Kruse und Alexander Wolf sowie Parteichef Dirk Nockemann können nicht miteinander, brauchen sich aber.

Ein unscheinbares Frühstück auf einer sonnenbeschienenen Terrasse in der südfranzösischen Provence steht am Anfang der aktuellen Krise, die die AfD seit dieser Woche erschüttert. Zwar bemühen sich alle Protagonisten, das Wort zu vermeiden, und betonen den normalen Geschäftsgang.

Tatsächlich haben sich die Gräben zwischen den Spitzen von Partei und Fraktion aber noch weiter vertieft. Die beiden AfD-Fraktionsvorsitzenden in der Bürgerschaft, Jörn Kruse und Alexander Wolf, sowie AfD-Landeschef und Fraktionsvize Dirk Nockemann haben zu unterschiedliche Überzeugungen, zu unterschiedliche Temperamente und zu unterschiedliche Ansätze in der Partei, als dass sie wirklich miteinander könnten. Aber sie können auch nicht ohne ­einander. Sie sind aufeinander angewiesen. Doch dazu später.

Der Reihe nach: Als Kruse in der Nähe des Mittelmeers mit seiner Frau frühstückte, sah er auf seinem Smartphone eine Nachricht, die ihn zutiefst empörte. Lars Steinke, der niedersächsische Vorsitzende der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative, hatte in einem Chat den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg als „Verräter“ bezeichnet. Nun ist Kruse als emeritierter Wirtschaftswissenschaftler an der Helmut-Schmidt-Universität zwar ein Mann des Geistes. Aber er kann auch sehr emotional sein, zumal dann, wenn es um Rechtsextremismus und Geschichtsrevisionismus geht, vorzugsweise in seiner Partei.

Landesvorstand will Fraktionschef abmahnen

Ohne zu zögern, noch am Frühstückstisch, schrieb Kruse seine Wut in einer E-Mail an Parteifreunde buchstäblich aus sich heraus. Kruse bezeichnete Steinke als „dummes kleines Nazi-A...loch“ und stellte ihn in eine Reihe mit „Höckes rechter Dummschwätzerei und Gaulands Vogelschiss-Filmriss“. Björn Höcke ist AfD-Rechtsausleger und Frontmann des nationalistischen „Flügels“, Alexander Gauland Partei- und Bundestagsfraktionschef.

Kruse unterstellte Gauland und dem Co-Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, sich nicht klar und deutlich genug von Steinke zu distanzieren. Das sei ebenso parteischädigend wie die Äußerung selbst. Er habe es satt, so Kruse, „dass der Rest der Partei von der braunen Kloake einiger Idioten mit bespritzt wird, obwohl der größere Teil der Partei aus seriösen Konservativen besteht“.

Das war an sich gut gebrüllt, hatte nur den entscheidenden Nachteil, dass Gauland und Meuthen in diesem Fall tatsächlich sehr schnell reagierten und gegen den Niedersachsen mittlerweile ein Parteiausschlussverfahren läuft. Insofern lief Kruses Vorwurf des parteischädigenden Verhaltens der Parteispitze ziemlich ins Leere.

Kruse ist im Landesverband ziemlich isoliert

Kruse – er war Spitzenkandidat der AfD bei der Bürgerschaftswahl 2015 – ist im Landesverband mittlerweile ziemlich isoliert. Das liegt an seinen gelegentlichen Alleingängen, aber auch daran, dass er sehr stark betont, dass er ein Liberaler sei, was in der AfD nicht gerade mehrheitsfähig ist. So war es vielleicht ein bisschen so, dass manche auf die Gelegenheit gewartet haben, die sich ihnen mit Kruses E-Mail nun bot.

Jedenfalls beschloss der Landesvorstand der Partei einstimmig, gegen den Wirtschaftsprofessor ein Parteiordnungsverfahren mit dem Ziel einer Abmahnung einzuleiten. „Prof. Kruse erweckt durch seine Äußerungen regelmäßig den Eindruck, die AfD wehre sich aus Gründen der Parteiräson nicht gegen verfassungsfeindliche Tendenzen und sei auf dem Weg zu einer rechts­extremen Partei“, schrieb Parteichef Nockemann seinen Vorstandskollegen. Damit schade Kruse dem Ansehen der Partei „wiederholt und nachhaltig“.

Pikant: Kruses Co-Fraktionschef Wolf ist auch stellvertretender Landesvorsitzender und stimmte ebenfalls für Kruses Abmahnung. Kruse wird sich in den nächsten Wochen vor der Parteispitze rechtfertigen müssen, hat aber schon angekündigt, dass er sich nicht den Mund verbieten lassen wird.

Konsequent zu Ende gedacht, müssten Wolf und Nockemann, der ja ebenfalls in der Bürgerschaft sitzt, Kruses Abwahl als Fraktionvorsitzender betreiben. Denn wie kann man mit jemandem, dem man parteischädigendes Verhalten vorwirft, vertrauensvoll in einer Fraktion zusammenarbeiten? Wahrscheinlich würde ein Abwahlantrag in der siebenköpfigen AfD-Fraktion sogar eine Mehrheit finden.

Austritt würde Fraktionsstatus gefährden

Doch dazu wird es nicht kommen. Kruses Kritiker rechnen damit, dass er im Falle eines Sturzes aus Protest die Fraktion verlassen würde. Als wahrscheinlich gilt auch, dass Detlef Ehlebracht, Bürgerschafts-Vizepräsident, dann auch aussteigen würde. Die verbleibenden fünf AfD-Abgeordneten würden allerdings ihren Fraktionsstatus und damit viel Geld verlieren.

Laut Fraktionsgesetz erhält jede Fraktion einen Grundbetrag von 49.374 Euro monatlich plus 1440 Euro für jeden Abgeordneten. Hinzu kommt für die AfD ein Oppositionszuschlag in Höhe von 482 Euro pro Abgeordneten. Mit diesem Geld sollen in erster Linie Mitarbeiter bezahlt und Büros angemietet werden. Davon unabhängig sind die monatlichen Diäten der Parlamentarier, in Hamburg Entgelte genannt.

Fünf Abgeordnete können sich nur noch zu einer Gruppe zusammenschließen, was zur Halbierung des Grundbetrags führen würde. Aber eine Gruppe erhält auch bedeutend weniger Sitze in den Parlamentsausschüssen. Die politische Arbeit wäre also materiell und inhaltlich stark eingeschränkt. „Dann ertragen wir den Kruse lieber noch eineinhalb Jahre bis zur Bürgerschaftswahl“, sagt ein AfDler.

Nockemann setzte sich als Parteichef durch

Nicht ganz zufällig hat Jörn Kruse in dieser Woche in Interviews erklärt, dass er 2020 aufhören und nicht erneut für die Bürgerschaft kandidieren werde. Seine innerparteilichen Chancen dürften ohnehin dramatisch gesunken sein. Damit läuft die Frage nach der Spitzenkandidatur auf ein Duell zwischen Nockemann und Wolf hinaus, zumal Ex-Fraktions- und Landeschef Bernd Baumann in den Bundestag gewechselt ist.

Nockemann und Wolf verbindet mindestens so wenig, wie beide wiederum mit Kruse verbindet. Nockemann, Ex-Schillianer und Kurzzeit-Innensenator, ist ein gewiefter Parteistratege, der seine Machtbasis innerhalb der AfD konsequent ausgebaut hat. Nockemanns Thema ist die innere Sicherheit, er gilt als Law-and-Order-Mann.

Wolf denkt eher in nationalen Kategorien und hat hin und wieder mit seiner Vergangenheit zu tun. Er ist Mitglied der Altherrenschaft der Burschenschaft Danubia. Die Aktivitas der Danubia, die von den Studenten gebildet wird, wird dem rechtsextremen Spektrum zugerechnet. Im November 2017 verlor Wolf deutlich gegen Nockemann bei der Wahl zum Landesvorsitzenden. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass der Jurist als Student und Mitglied der Danubia vor mehr als 20 Jahren ein Liederbuch mit dem Titel „Schlachtruf“ herausgegeben hatte. Darin war auch ein Lied des NS-Reichsjugendführers Baldur von Schirach mit dem Titel „Unsere Fahne“ abgedruckt. Ein Schelm, der dabei an Zufälle glaubt.