Hamburg. Aufnahme der Ex-Grünen Güçlü sorgt für Kritik. Sie war bei Radikalen aufgetreten. Islamvertragspartner betreiben Israelhetze.

Eigentlich hätte er es ganz genau wissen können. Schließlich arbeitet Mithat Capar hauptberuflich als Vizesprecher des Hamburger Verfassungsschutzes. Und der beobachtet die Umtriebe türkischer Nationalisten seit Jahren. Dabei beschäftigt er sich auch mit der extremistischen Organisation „Graue Wölfe“, die für viele politische Morde in der Türkei verantwortlich gemacht wird. In seinem jüngsten Bericht wies der Verfassungsschutz erneut explizit auf Verbindungen türkischer Nationalisten ins Rockermilieu hin.

All das hat Capar, der auch Vorsitzender des SPD-Distriktes Ottensen ist, wohl nicht beeindruckt. Kürzlich jedenfalls nahm sein Distrikt die fraktionslose Bürgerschaftsabgeordnete Nebahat Güçlü als Gastmitglied in die SPD auf. Diese war 2015 im Unfrieden bei den Grünen ausgeschieden – nachdem sie bei der vom Verfassungsschutz beobachteten Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland aufgetreten war. Diese gilt als Plattform der „Grauen Wölfe“.

Merkwürdige Milieus

Trotz der bei ihrem Auftritt gut sichtbar ausgestellten Symbole und des im Publikum gezeigten „Wolfsgrußes“ beteuerte die Politologin damals, sie habe nicht gewusst, bei wem sie da gesprochen habe. Die Grünen nahmen ihr das nicht ab, forderten Güçlü zum Verzicht auf ihre Bürgerschaftskandidatur auf und strengten ein Parteiausschlussverfahren an. Das Verfahren scheiterte, Güçlü trat zur Wahl an, zog mit deutlich mehr als 5000 Personenstimmen wieder in die Bürgerschaft ein und erklärte wenig später ihren Austritt bei den Grünen. Seither sitzt sie als fraktionslose Abgeordnete im Landesparlament.

Wer Güçlü abnahm, sie habe sich in merkwürdige Milieus versehentlich verlaufen, dessen Vertrauen wurde wenig später erneut auf die Probe gestellt. Denn nun tauchten u.a. bei Facebook Fotos der Ex-Grünen in trauter Umarmung oder beim Essen mit dem Hamburger Chef der „Osmanen Germania“ auf. Die bundesweit agierende Gruppe gilt als gewalttätig. SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka sprach in der „Welt“ von „bandenartigen Struktur“ und dem „kriminellen Arm des türkischen Präsidenten Erdogan in der Bundesrepublik“. Vor wenigen Wochen verbot Bundesinnenminister Horst Seehofer den Verein, da von ihm „eine schwerwiegende Gefährdung für individuelle Rechtsgüter und die Allgemeinheit ausgeht“. Offenbar wegen interner Kritik trat Güçlü 2017 nicht wieder für das Amt der Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde Hamburg an.

Kopfschütteln beim Koalitionspartner

Obwohl diese Hintergründe stutzig machen könnten, sah die SPD offenbar kein Problem, Güçlü aufzunehmen. Im Gegenteil: Dass sie zunächst nur für ein Jahr als Gastmitglied mitwirke, sei auf Güçlüs Wunsch geschehen, hieß es. Mithin: Sie hätte wohl auch Vollmitglied werden können. Distriktschef Capar sagte, er könne sich aus Datenschutzgründen nicht zum Thema äußern. Vom Sprecher der Landes-SPD gab es lediglich eine Bestätigung der Gastmitgliedschaft Güçlüs -- aber keine weiteren Erläuterungen.

Beim Koalitionspartner von den Grünen sorgt das Ganze für Kopfschütteln – zumal man sich aus guten Gründen mit Güçlü überworfen habe. Ihre Aufnahme auch in die Bürgerschaftsfraktion brächte die SPD zudem einer absoluten Mehrheit näher. Nur ein Sitz würde danach noch fehlen, um die Grünen als Partner überflüssig zu machen. Dass die SPD-Fraktion das derzeit (noch) nicht offen erwägt, dürfte mit grünen Befindlichkeiten zu tun haben.

Laute Kritik von der CDU

Laute Kritik kommt derweil von der CDU. „Offensichtlich hat die SPD in Hamburg ihren Wertekompass im Umgang mit türkischen Faschisten und Fundamentalisten verloren“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries. „Diese Leute haben in demokratischen Parteien genauso wenig zu suchen wie Rechtsradikale und Linksextremisten. Wie kann die SPD Frau Güclü in voller Kenntnis ihrer Vorgeschichte als Mitglied aufnehmen? Dies ist für eine staatstragende Partei ein bemerkenswerter Vorgang.“ Er erwarte, dass SPD-Chefin Melanie Leonhard dazu offiziell Stellung nehme.

„Der Eindruck verfestigt sich, dass der SPD jedes Mittel recht ist, um in der türkischen Community auf Stimmenfang zu gehen. Ich finde das abscheulich.“ Dabei sieht de Vries, der in der Bundestagsfraktion auch Religionsgemeinschaften zuständig ist, auch Parallelen zum aus seiner Sicht zu „laxen Umgang“ mit den islamischen Verbänden in den vom SPD-Senat geschlossenen Verträgen.

Gegen den Geist des Abkommens verstoßen

Bekanntlich haben einige der Partner immer wieder gegen den Geist des Abkommens verstoßen, das für Toleranz und gegenseitigen Respekt stehen soll und den islamischen Glaubengemeinschaften besondere Rechte einräumt. Anfang 2017 waren aus der türkisch-islamischen Religionsanstalt Ditib Zeichnungen verbreitet worden, in denen der Märtyrertod verherrlicht und das Weihnachtsfest verächtlich gemacht wurden. Später bejubelten Ditib-Gruppen und der Chef des Rates der islamischen Gemeinschaften (Schura) den türkischen Militäreinsatz gegen Kurden mit martialischen Worten und Bildern.

Und wie das notorisch grüßende Murmeltier schickte das aus dem Iran gesteuerte Islamische Zentrum Hamburg (IZH) von seiner Blauen Moschee an der Alster aus Jahr für Jahr Funktionäre zur israelfeindlichen Al- Quds-Demonstration nach Berlin. Immer wieder bat der Senat das IZH, nicht teilzunehmen – da es nicht recht zu Toleranz und Grundgesetz passe, die Vernichtung Israels zu fordern. Ergebnis: Auch in diesem Sommer marschierten IZH-Vertreter wieder mit durch Berlin. Offene Konsequenzen: keine.

Globale Probleme

„Der Senat reagiert beim Thema Staatsvertrag sehr naiv“, konstatiert Buchautor und Islamismus-Experte Ahmad Mansour. „Es kann nicht sein, dass er im Namen der Toleranz an den Verträgen festhält, während muslimische Partner ihre intolerante Ideologie offen ausleben.“ Mansour fragt: „Wieso wird aus Hamburg der antisemitische al- Quds-Tag mit organisiert? Warum darf Ditib die Moscheen für Erdogan-Propaganda benutzen?“ Die Verträge seien „ein Schlag ins Gesicht aller muslimischen Demokraten, die jenseits dieser Verbände ihre Religion praktizieren. Sie bekommen mit dieser Politik keine Beachtung“. Es gehe nicht um „Ausländer gegen Deutsche, sondern um Demokraten gegen Feinde der Demokratie“.

Auch SPD-Integrationspolitiker Kazim Abaci fordert von Politik und Parteien, genauer hinzusehen. „Rassismus, Nationalismus und Rechtsradikalität sind globale Probleme, die nicht nur uns in Deutschland umtreiben“, sagt Abaci. „Viele Migrantinnen und Migranten vertreten radikale Ansichten. Diese sind ebenfalls innerhalb der politischen Parteien in Deutschland zu finden. Dies muss politisch offener und sachlicher thematisiert werden. Falsch verstandene Toleranz gegenüber radikalen Ansichten ist kein guter Ratgeber.“

Parteien sollten genau hinsehen

Diese Abgrenzung ist auch deswegen so wichtig, weil die Mitarbeit in Parteien und Parlamenten Teil vieler gelungener Integrationsgeschichten ist: Wer sich politisch für diese Gesellschaft engagiert und an ihr mitwirkt, identifiziert sich schneller als jemand, der nur zuschaut. Und er wird (hoffentlich!) auch schneller als gleichberechtigtes Mitglied dieser Gesellschaft anerkannt.

Nein, sagt der erste Sprecher des Verfassungsschutzes, Marco Hasse, augenzwinkernd – die SPD werde nach der Güçlü-Aufnahme nun nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Grundsätzlich hätten die „alteingesessenen demokratischen bundesdeutschen Parteien kein Problem mit Extremisten“, so Haase. Es gebe bei SPD, CDU, Grünen oder FDP zahllose erfolgreiche Integrationsgeschichten, gerade in Hamburg. Es komme aber darauf an, „wie die Parteien mit Einzelpersonen umgehen, die Schwierigkeiten mit den Werten unseres Grundgesetzes haben und sich etwa für Identitäre, Roten Aufbau, Interventionistische Linke, Islamisten oder Graue Wölfe engagieren“. Dafür gebe es „genügend offene Quellen, in denen man mal gucken kann, wer das eigentlich ist, der da Mitglied werden möchte“, so Haase. „Oft reicht ein Blick ins Internet. Oder in den Verfassungsschutzbericht.“