Hamburg . Das Hamburger Unternehmen wächst rasant, auch dank Dauerpräsenz in den sozialen Medien. Erster Laden in der Hansestadt eröffnet

Stefan Lemcke ist noch nicht mit allen Sinnen wieder da. Gerade noch hat er bei einer Reise durch Kambodscha seine Nase in die aktuelle Pfefferernte gesteckt. Riechen, schmecken, fühlen. Eine Woche lang. Das wirkt auch Tausende Kilometer entfernt in der Ankerkraut-Zentrale in Hamburg-Sinstorf nach. Aus einem Paket holt er kleine Tüten mit rötlich schimmernden Körnern aus der Region Kampot. „Schauen Sie mal“, sagt der Unternehmer mit dem feinen Gespür für edle Gewürze und schüttet sich einige in die Hand, „das ist echter roter Pfeffer. Eine seltene Sorte.“ Rot, schwarz, weiß oder rosa. Die meisten sind schon froh, wenn sie wissen, wo die Pfeffermühle in der Küche steht. Geschmackliche Nuancen, Fehlanzeige! Bei Stefan Lemcke ist das etwas anders. Er verdient sein Geld in der Welt der Gewürze.

Seit fünf Jahren betreiben er und seine Frau Anne die Geschmacksmanufaktur Ankerkraut – mit rasanten Wachstumszahlen. Vorbei die Zeiten, in denen es in deutschen Küchen ausreichte, mit Salz, Pfeffer – und als Aperçu eventuell noch mit Paprika, Oregano oder Curry abzuschmecken. Ankerkraut hat inzwischen 262 Produkte im Sortiment. Gewürze, Mischungen, Tees und Trockenmarinaden, sogenannte Rubs, von A wie Apfelkuchengewürz bis Z wie Zwiebelgranulat.

Jeden Monat fünf weitere Artikel

Jeden Monat kommen fünf weitere Artikel dazu. In 3000 Supermärkten stehen die charakteristischen Korkengläschen mit Preisen ab fünf Euro inzwischen, oft mit einem lebensgroßen Pappaufsteller mit dem Konterfei der Gründer in der Nähe. Mehrfach täglich posten sie neue Nachrichten aus dem Ankerkraut-Universum über Facebook & Co. in die wachsende Fan-Gemeinde. Man liegt nicht falsch, wenn man sagt, dass die Lemckes gerade den Gewürzmarkt aufmischen. Zudem sind sie im Finale des Deutschen Gründerpreises, der am 11. September vergeben wird.

Neuster Coup des umtriebigen Unternehmerpaars ist die Eröffnung eines eigenen Ankerkraut-Ladens am heutigen Freitag. Wer durch die Eingangstür am Ballindamm tritt, kann sich in einem olfaktorischen Eldorado fühlen. Im Zentrum des puristisch eingerichteten Raums steht eine selbst gezimmerte Gewürzpyramide mit allen Produkten der Manufaktur – von süß bis salzig, von pfeffrig bis sanft. „Wir wollen zeigen, was Ankerkraut ausmacht“, sagt Anne Lemcke.

Konkurrenz ein Schnippchen schlagen

Riechen, schmecken, fühlen. Wichtig ist dem Gründer-Duo, dass die Kunden – anders als im Onlineshop – alles probieren können. Das Ladendesign haben sie selbst entwickelt, etwa 100.000 Euro stecken in dem 70-Quadratmeter-Experiment. Natürlich wollen die Lemckes in dem Geschäft auch verkaufen. Aber, sagen sie offen, die stationäre Präsenz ist auch eine Investition in die Markenbekanntheit.

Die Hamburger Gewürzspezialisten, die es 2016 in die TV-Gründershow „Die Höhle der Löwen“ schafften und einen 300.000-Euro-Deal mit Investor Frank Thelen an Land zogen, haben sich aufgemacht, der Konkurrenz ein Schnippchen zu schlagen. Es geht um nicht mehr oder weniger, als die Vormachtstellung des Marktführers Fuchs aus dem niedersächsischen Dissen anzugreifen. Patriach Dieter Fuchs hat mit Übernahmen von Wettbewerbern wie Ostmann, Ubena, Wagner oder Kattus nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit in seiner Holding DF World of Spices ein Imperium geschaffen – und beherrscht mit seinen Marken die Gewürzregale der bundesweit gut 37.000 Lebensmittelgeschäfte.

Ankerkraut-Macher sind selbstbewusst

Auch die Linie, für die Fuchs’ Freund und Geschäftspartner, der Sternekoch Alfons Schuhbeck, seinen Namen gab, gehört dazu. Selbst Traditionsfirmen wie der Ahrensburger Hersteller Hela spielen nur eine untergeordnete Rolle. Den knappen Platz daneben erobern inzwischen Start-ups wie Ankerkraut aus Hamburg oder Just Spices aus München.

Trotz der Übermacht sind die Ankerkraut-Macher selbstbewusst. „Wir merken, dass sich etwas ändert“, sagt Stefan Lemcke, der in seiner Kindheit in Tansania die Liebe zu Gewürzen entdeckte und 2013 sein Hobby zum Beruf machte. Dabei spielt den Neuen in die Hände, dass die Deutschen ihre Liebe zu Gewürzen entdeckt haben. Laut Fachverband der Gewürzindustrie werden 660 Millionen Euro auf dem Gewürzmarkt im Einzelhandel umgesetzt. Tendenz leicht steigend. „Besonders Gewürzmischungen liegen im Trend“, sagt Hauptgeschäftsführer Dirk Rademacher. Den frischen Wind in den Sortimenten, für den die Start-ups in der Branche sorgen, findet er gut. „Das belebt den Markt.“

Sorten wie Safransalz oder Limettenpfeffer

Genau in dem Segment punktet Ankerkraut mit Sorten wie Safransalz, Limettenpfeffer, Texas Chicken oder dem Bestseller Bolognese. Am Standort in Sinstorf arbeiten inzwischen 70 Beschäftigte auf einer Fläche von 3000 Quadratmetern. Gerade haben die Lemckes weitere 800 Quadratmeter dazugemietet. Man wird sehen, wie lange das reicht. Im Untergeschoss lagern große Säcke mit Selleriesaat, Rosmarin oder Fenchel. In Produktionsräumen daneben stehen Frauen in weißen Kitteln und mit Haarnetz, mahlen, mischen und verpacken die Gewürze. „Bei uns ist das noch echte Handarbeit“, sagt Anne Lemcke, während sie parallel eine Nachricht auf dem Mobiltelefon liest.

So sieht der neue Ankerkraut­-Laden am Ballindamm aus
So sieht der neue Ankerkraut­-Laden am Ballindamm aus © HA | Michael Rauhe

Drei Millionen Gewürzgläschen werden im Jahr in Sinstorf abgefüllt. Seit Anfang 2018 gibt es eine Vertriebskooperation mit einem Großhändler, der weitere drei Millionen Ankerkraut-Produkte abfüllt, der auch für die Verhandlungen mit den großen Händlern wie Edeka oder Rewe zuständig ist. „Das war angesichts des Wachstums betriebswirtschaftlich notwendig“, sagt Stefan Lemcke. 2018 streben Lemckes einen Umsatz von 15 Millionen Euro an.

Und obwohl Ankerkraut inzwischen längst zu einem mittelständischen Unternehmen herangewachsen ist, ist immer noch die Gründungsatmosphäre zu spüren. „Emotional sind wir noch ein Start-up“, sagt Anne Lemcke und nimmt ein Gläschen aus dem Regal. „Endlich ist es da“, sagt die ehemalige PR-Managerin, die auch mal die Musikband Scooter managte. Das Pulver aus gefriergetrockneten Früchten ist ganz neu im Sortiment und ab 4,99 Euro zu haben. Man kann es für Süßspeisen verwenden, aber auch als kontrastreiche Geschmacksnote auf einem Steak.

Nächstes Jahr in den US-Markt einsteigen

Und so geht es weiter: Anfang September kommen die Ankerkraut-Adventskalender mit einer Vorproduktion von 20.000 Stück in die Regale. Die Lemckes machen Kooperationen wie gerade mit der Bäckerei Weiss aus dem Landkreis Harburg, die für die Grillsaison ein Ankerkraut-Brot entwickelt hat. Für nächstes Jahr ist die Zusammenarbeit mit einer großen Molkerei verabredet. Mitte September startet Ankerkraut auf dem zweitgrößten Teleshopping-Kanal HSE. Für 2019 ist die Expansion auf den US-Markt geplant. Demnächst fährt Anne Lemcke zu einem der größten Grill-events nach Montana, um schon mal die Werbetrommel zu rühren.

Darin ist das Geschäftsführer-Gespann unschlagbar, als wichtigste Testimonials ihrer Produkte. Sie drehen auf Reisen YouTube-Videos über Länder, Küche und Gewürze. „Wir lassen unsere Kunden Teil der Ankerkraut-Familie sein“, sagt Anne Lemcke. Über die sozialen Medien lassen sie über neue Produkte und deren Namen abstimmen. Auf Messen treffen sie auf die Liebhaber ihrer Gewürze, man kennt sich, man duzt sich. Manchmal ist das auch anstrengend. „Aber meistens macht es uns glücklich“, sagt Anne Lemcke. Inzwischen hat sich sogar ein Fanclub unter dem Namen Ankerkraut Family gebildet. Eine Frau hat sich das Logo tätowieren lassen. Ankerkraut, sagt Stefan Lemcke immer wieder gern, ist mehr als Gewürze. „Es ist eine Frage des guten Geschmacks.“