Hamburg. Der 22-Jährige war wegen Hausfriedensbruch angeklagt. Er lieferte eine Erklärung, die nicht zu widerlegen war.
Der Auftritt des Angeklagten irritiert ein wenig – zumindest, wenn man mit einem G-20-Gewalttäter der übelsten Sorte gerechnet hat. Doch Leo H. (22) trägt ein blaues Sakko, darunter ein weißes Shirt, die Haare hochgesteckt zum Dutt, braune, gewichste Lederschuhe. Auch sind weder im Gerichtssaal noch davor die sonst unvermeidlichen Jubel-Linken zu sehen. Dabei geht es um die zentralen Szenen der G-20-Krawallnacht am 7. Juli 2017, dem ersten Gipfeltag.
Im Mittelpunkt des Prozesses vor dem Amtsgericht steht das Haus Schulterblatt 1. Weil Randalierer auf dem Dach des Gebäudes einen Hinterhalt für die Polizei geplant hätten, hätten die Einheiten erst mit Verzögerung ins Viertel vorrücken können, so die nicht unumstrittene Darstellung der Polizei nach dem Gipfel. Stundenlang herrschte zuvor auf dem Schulterblatt Anarchie. Doch Leo H. steht nicht vor Gericht, weil er Steine, Stangen oder Molotowcocktails auf Beamte geworfen haben soll, wie es den Angreifern vom Dach zur Last gelegt wird. Es geht allein um Hausfriedensbruch.
Er wollte einen Film über das Spektakel drehen
Das Haus Schulterblatt 1 war bereits vor dem Gipfel komplett eingerüstet, der als Zeuge geladene Eigentümer berichtet am Mittwoch, Wochen zuvor sei zudem ein „ Überkletterungsschutz“ installiert¬ worden. An dieses Hindernis kann sich der Angeklagte indes nicht erinnern. Am 7. Juli habe er einen Film über das Spektakel drehen wollen, er sei Filmstudent. Als sich die Lage im Viertel zugespitzt und er Reizgas wahrgenommen habe, sei er „problemlos“ auf das Gerüst geflüchtet. „Ich wollte einfach keinen Stein an den Kopf bekommen.“
Etwa eine Stunde habe er den Tumult vom Gerüst aus beobachtet, dann hätten plötzlich drei rote Punkte auf seiner Brust aufgeleuchtet – Laserzielmarkierungen einer schwer bewaffneten Spezialeinheit. „Das war nicht angenehm.“ Obgleich er sich nicht gewehrt habe, hätten ihn die Beamten rüde zu Boden gedrückt. Auch der 24-stündige Aufenthalt in der Gefangenensammelstelle und eine spätere Hausdurchsuchung seien „mehr als unangenehm“ gewesen.
Das juristische Nachspiel hingegen geht am Mittwoch zugunsten von Leo H. aus – auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird er freigesprochen. Zwar habe der Angeklagte einen Hausfriedensbruch begangen, weil er ein „befriedetes Besitztum betreten“ habe. Er könne sich jedoch auf einen rechtfertigenden Notstand berufen, da er Schutz vor Steinen, Flaschen und Reizgas gesucht habe, so die Richterin. Seine Einlassung sei ihm jedenfalls nicht zu widerlegen. Das Haus Schulterblatt 1 wird die Gerichte auch künftig beschäftigen: Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen zwei Männer erhoben, die vom Gerüst des Gebäudes aus jeweils eine Flasche auf Polizisten geschleudert oder dies versucht haben sollen.