Hamburg. Immer neue Anklagen und Prozesse. Krawalle lassen die Hamburgs Gerichte an ihre Grenzen stoßen. Andere Verfahren leider darunter.
Prozesse, die zwölf Verhandlungstage und mehr dauern: Die juristische Aufarbeitung der G-20-Krawalle stellt für das Amtsgericht einen erheblichen Kraftakt dar. In Einzelfällen sind die mit jeweils einem Richter besetzten Abteilungen durch G-20-Verfahren über Wochen oder sogar Monate nahezu blockiert; andere Fälle können in diesem Zeitraum nur noch in sehr reduziertem Maß verhandelt werden. So ging beispielsweise ein G-20-Prozess über 18 Hauptverhandlungstage, ein anderer dauerte 19 Tage. Ein Verfahren lief über zwölf Termine, bis es ausgesetzt wurde, weil die Richterin in Mutterschutz ging. In einem weiteren Prozess sind bisher zwölf Verhandlungstage vergangen, weitere sieben sind anberaumt.
Wie außergewöhnlich zeitaufwendig diese einzelnen Prozesse sind, zeigt ein Vergleich: Typischerweise gibt es in einer amtsgerichtlichen Abteilung zwei Sitzungstage pro Woche, an denen jeweils mehrere Strafsachen verhandelt und abgeschlossen werden. Weitere Tage werden für die Vorbereitung der Verfahren sowie für das Abfassen der Urteile benötigt. Ein Strafrichter hat im Schnitt rund 500 Verfahren im Jahr zu bearbeiten. Darunter sind rund 220 sogenannte Einzelrichtersachen und 15 Schöffensachen.
Hinzu kommen Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten (rund 120 im Jahr) und Anträge auf Erlass eines Strafbefehls (rund 250 pro Jahr). Insgesamt werden an den Hamburger Amtsgerichten im Jahr rund 16.000 Strafverfahren bearbeitet, davon sind etwa 13.000 Hauptverhandlungen.
Viele Verfahren ziehen sich über Monate hin
Vergleicht man die Anzahl der Verfahren mit G-20-Bezug mit den amtsgerichtlichen Strafverfahren insgesamt, fallen die G-20-Verfahren zwar zahlenmäßig nicht erheblich ins Gewicht. „Inhaltlich aber bedeuten die G-20-Prozesse häufig einen weit überdurchschnittlichen Aufwand“, erläutert Amtsgerichtspräsident Hans-Dietrich Rzadtki auf Abendblatt-Anfrage. Es handele sich nicht nur häufig um Schöffensachen, in denen ein Berufsrichter mit zwei Schöffen entscheiden muss. „Wir beobachten zudem eine wachsende Zahl von G-20-Verfahren, die von den Verfahrensbeteiligten hoch streitig und teils politisierend ausgetragen werden. Solche Verfahren erfordern zahlreiche Hauptverhandlungstermine und können sich über mehrere Monate hinziehen.“
Bei rund 235 Strafverfahren, die ein Richter im Schnitt pro Jahr zu erledigen hat, stoße man schnell die Grenze des Machbaren, wenn sich ein Prozess über Monate hinziehe. „Das verlangt den betroffenen Kollegen, die sich dieser Mehrarbeit mit gleichbleibend hoher Sorgfalt und großem Einsatz stellen, einiges ab“, so Rzadtki. Da bleibe es nicht aus, dass in Abteilungen mit besonders ausufernden Verfahren andere Sachen vorübergehend liegen bleiben müssen.
Ausdrücklich formuliert hatte dies die Richterin, die den Fall um die Laserattacke auf den Polizeihubschrauber „Libelle“ zu verhandeln hatte – ein Verfahren, das mit einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe für den Angeklagten endete. Die Vorsitzende hatte von einem „ganz außergewöhnlichen, extrem langen und aufwendigen Prozess“ mit insgesamt 19 Hauptverhandlungstagen gesprochen. „Der Prozess war anstrengend für alle, auch für den Angeklagten, auch für diese Abteilung“, so die Richtern am Ende der Urteilsbegründung. „Etwa 30 Verfahren konnten in der Zeit nicht verhandelt werden.“
Nach einem Jahr noch rund 90 offene Verfahren
Gut ein Jahr nach den Krawallen um den Gipfel gibt es rund 90 offene Verfahren mit G-20-Bezug. Weitere 76 Verfahren beim Amtsgericht sind abgeschlossen worden, viele davon sind rechtskräftig. Aber auch die Berufungsverhandlungen, die vor Kleinen Strafkammern am Landgericht, ebenfalls mit einem Berufsrichter besetzt, verhandelt werden, sind teilweise extrem zeitaufwendig. In einem Verfahren wurde bislang an 27 Terminen verhandelt, weitere sind noch nötig. Der Angeklagte wurde jüngst aus der Untersuchungshaft entlassen.
Schon vor und während G 20 sei der Gipfel wie für viele andere städtische Einrichtungen auch für das Amtsgericht mit großen Herausforderungen verbunden gewesen, sagt Amtsgerichtspräsident Rzadtki. In einer Nebenstelle in unmittelbarer Nachbarschaft zur Gefangenensammelstelle der Polizei standen vom 29. Juni bis zum 9. Juli 2017 rund um die Uhr jeweils acht Richter im Dreischichtbetrieb für Entscheidungen über Haftbefehle und Ingewahrsamnahmen zur Verfügung.
Zahl der Verfahren steigt wegen neuer Anklagen
Der Aufbau dieses Gerichtsstandorts habe „auf einer fast einjährigen Vorbereitung mit einem enormen organisatorischen, logistischen und personellen Aufwand beruht. Diesen neben all unseren laufenden Aufgaben zu bewältigen war ein einmaliger, nie dagewesener Kraftakt für das Amtsgericht“, sagte Rzadtki. Insgesamt hätten sich mehr als 130 Richterinnen und Richter, auch aus anderen Gerichtsbarkeiten, freiwillig und neben ihren üblichen Aufgaben an dem sogenannten Eildienst beteiligt. „Das ist Ausdruck eines hohen Berufsethos und großer Leistungsbereitschaft.“
Wie geht es mit den G-20-Prozessen weiter? „Gegenwärtig kann man nur sagen, dass die Zahl der Verfahren stetig steigt, weil immer neue Anklagen dazukommen“, sagt Gerichtssprecher Kai Wantzen. „Angesichts der von Polizei und Staatsanwaltschaft mitgeteilten Zahlen zu laufenden Ermittlungsverfahren kann man davon ausgehen, dass das auch noch eine Weile lang so bleiben wird.“
Wie viele Strafverfahren im Zusammenhang mit G 20 es am Ende werden, wird vom Verlauf der Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft abhängen.