Hamburg. Serie:„Der Soundtrack meines Lebens“. Teil drei: der Bestsellerautor über seine Liebe zum gepflegten Saxofonsolo.
Für unsere Serie „Der Soundtrack meines Lebens“ haben wir mit prominenten Hamburgern Musik gehört. Ihre erste selbst gekaufte Platte, Songs, die sie in ihrer Jugend begleitet haben, bisweilen auch Musik, die ihrem Leben eine ganz neue Richtung gab. Heute: Heinz Strunk
Die Jugendjahre des Heinz Strunk sind klar abgesteckt, nicht nur geografisch. Der Harburger Teenager, er hieß noch nicht Strunk, sondern Mathias Halfpape, hörte zwischen zehn und 14 praktisch nur Deep Purple. Und von 14 bis 18 dann ausschließlich Jethro Tull, so erzählt es der Bestsellerautor („Fleisch ist mein Gemüse“, „Der Goldene Handschuh“), während er einen nicht wirklich herausfordernd, aber durchaus gespannt anschaut. Als würden diese frühen Vorlieben vielleicht doch eine Pointe sein. Als würde hier eine der oft einsamen, aber immer auch ein wenig trotzigen Figuren eines Strunk-Romans sprechen. Strunks Protagonisten sind nie, unter gar keinen Umständen, cool.
Später wird Strunk sagen: „Ich habe mich, im Gegensatz zu meinen Studio-Braun-Kollegen beispielsweise, nicht unbedingt durch einen exquisiten Musikgeschmack ausgezeichnet.“
Gibt es das überhaupt jenseits von behaupteten Hipness-Hierarchien und Kritikerkategorien: guten oder schlechten Geschmack? Es sei lieber an den immer jungen und treffenden Satz verwiesen, dass sich über Geschmack nicht streiten lässt.
Musik war ihm als Teenager am wichtigsten
Ein Treffen bei Heinz Strunk genau da, wo man immer gerne zum Interview trifft: in seiner Wohnung am Rande der Schanze, direkt unterm Dach eines fünfstöckigen Hauses. Der Soundtrack seines Lebens sticht einem hier nicht ins Auge, denn Strunk, Jahrgang 1962, ist kein großer Sammler. Nie gewesen, „früher konnte ich mir sechs, sieben LPs im Jahr leisten“, erzählt er und sagt dabei richtig schön englisch „El-Pieeees“ – die guten, alten Longplayer, Strunk vermisst sie dennoch nicht.
Zur Person Heinz Strunk
Wer, wie Strunk, Platten und CDs nie gehortet hat, für den ist die Playlistifizierung des Musikkonsums ganz selbstverständlich. Strunk setzt sich an seinen PC, wenn er etwas auflegen will, und er setzt sich auch an seinen PC, wenn er sich an die Künstler und die Songs erinnern will, die ihn sein Leben lang begleitet haben.
Es ist nun aber auch so, dass wir es im Falle dieses vielgelesenen und hochgelobten Schriftstellers mit einem Mann zu tun haben, der die Musik, wenn man so will, in seinem Leben bereits zweimal hinter sich gelassen hat. Zum einen nach seiner Adoleszenz. „Musik war mir im Teenageralter am wichtigsten“, sagt Strunk.
„Fleisch ist mein Gemüse“
Zum anderen ist aus dem professionellen Musiker Strunk, der einst in Michy Reinckes Band spielte und anschließend in der literarisch berühmt gewordenen Tanzband Tiffany’s, der als Studiomusiker unter anderem für Howard Carpendale arbeitete und auf der Bühne mit Blumfeld, Revolverheld und Fettes Brot stand, in erster Linie ein Schriftsteller geworden. Er sei, erklärt er, sehr, sehr froh, kein hauptberuflicher Musiker mehr zu sein. Wer den Roman „Fleisch ist mein Gemüse“ gelesen hat, den überrascht diese Aussage, na klar, überhaupt gar nicht. Jene glänzende Horrorkomödie über die tiefe Verzweiflung eines Schützenfest-Bespaßers ist die totale Absage an den Beruf des Musikers.
Wenn (ehemalige) professionelle Musiker eine unter Umständen andere Beziehung zur Musik haben als Nichtmusiker, dann ist Strunk dafür ein Paradebeispiel. Er tut sich schwer mit dem Begriff Fan, aber wenn er von seinen neuesten Anschaffungen auf MP3 – Kamasi Washington, DJ Koze – spricht oder einen Marvin-Gaye-Song auf YouTube anklickt, dann ist er eben doch der zwischen alten Helden und dem heißen Kram von heute recht begeistert und frei flottierende Musikliebhaber.
Strunk hört und mag Jazz – John Coltrane, Charlie Parker, Jan Garbarek. Aber er sagt auch, dass er heute eigentlich und in erster Linie Pophörer sei, „wohlgemerkt Pop, nicht Rock“.
Strunk macht wieder mehr Musik
Wo der Junge, der er war, so Strunk, „ein völlig unkritischer Bewunderer“ von Jethro Tull war („Die waren die Größten für mich“), so ist der Mann, der er wurde, ein Connaisseur, der auf den analytischen Blickwinkel nicht verzichtet. Es ist ihm, der von der Block- zur Querflöte und von der Klarinette zum Saxofon kam, aufgefallen, dass letztgenanntes Saxofon in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten in der Popmusik rehabilitiert wurde. Nachdem vorher so lange ein Saxofonsolo beinah „das Allerletzte“ war. So sagt es Strunk, und man sekundiert sofort. Saxofon, das war Musik für Softpornos. Im Klischee.
Wäre es nicht toll, Strunk jetzt in seiner Wohnung beim Saxofonspielen zuzuhören? Er macht ja wieder mehr Musik jetzt. Berichtet er, verspricht er, in Strunks stets sprudelnder Kreativplanung (zwei Alben will er machen, Titel: „Aufstand der dünnen Hipsterärmchen“, „Debilo“) nimmt das Musikding wieder etwas mehr Raum ein.
Strunk findet, dass das Sax-Solo in Foreigners „Urgent“ eines der fünf besten Soli der Popgeschichte ist. Leider ist ihm Clarence Clemons’ epischer Auftritt in Springsteens „Jungleland“ nicht sofort ein Begriff, aber er vermisst ein neues „Baker Street“, ein neues „Careless Whisper“. Das heilige Saxofon, es sei gepriesen!
Auch eine Elvis-Phase gab es
Fürs Auto hat sich Strunk letztens eine CD gebrannt, „da ist viel Supertramp drauf, deren Songs schicken mich an tief liegende Erinnerungsschichten, obwohl ich insgesamt gar nicht nostalgisch veranlagt bin“, erzählt er. Dann erwähnt er Yes, einen weiteren seiner Favoriten aus den 70er-Jahren, und Pink Floyd. Pathos war sein Ding. Bombastrock. Progressive- oder Art-Rock-Zeug also, das Punks wie Rocko Schamoni nur heimlich hörten.
Alles sehr ehrenwerte Referenzen, aber meist doch zielgenau vorbei an dem, was in die Ruhmeshalle der Pop-Pioniere gehört. Aber eine Elvis-Phase hatte er dann doch noch, eher spät als früh; und Strunk kennt natürlich den Musikeradel in seiner Heimatstadt Hamburg. Bei Revolverheld hat er mal Flöte gespielt auf der Bühne, hört die Band aber eher nicht so privat. Niels Frevert, den verdienstvollen Singer/Songwriter, findet er allerdings „super“.
Der Schriftsteller Strunk legt Wert auf gute Songtexte, die Toten Hosen sind für ihn deshalb „ganz, ganz schrecklich“, und man könnte damit jetzt endlos weitermachen, seine Meinung zu allen Mainstreamkünstlern mal abfragen. Einmal im Monat schaut Strunk sich die iTunes-Charts an, er will wissen, was gehört wird. Und morgens, bei einer Kanne Grüntee, schaut er MTV.
Erste Platte: Single von The Lords
Man darf bezweifeln, dass er dabei auf ein Video von Prince stößt, einen anderen alten Helden von ihm. Und schon gar nicht auf „Rock Your Baby“, den Discoklassiker George McCraes. Wenn er den hört, sagt Strunk, geht ihm das Herz auf. Seine allererste Platte war übrigens eine Single von der deutschen Beatband The Lords.
An den Titel kann Strunk sich nicht mehr erinnern. Heinz Strunk, der weder beim Joggen im Park („Dabei will ich ohne Ablenkung auf Ideen kommen“) und beim Schreiben Musik hört, kann übrigens auch Ruhe ganz gut ab. Seine jüngere Lebenspartnerin arbeitet als Bookerin, sie wolle, sagt Strunk, am liebsten immer Musik hören.
Dabei ist Stille doch auch ein ganz passabler Sound.
Heinz Strunks neuer Erzählungsband „Das Teemännchen“ erscheint am 21. August. Am 2. November stellt er ihn im Schauspielhaus vor.