Hamburg. Der 75 Jahre alte Angeklagte hat einen Studenten geschlagen – und das Urteil gegen ihn durch Sturheit vor Gericht erzwungen.

Das, was Reinhold O. seine „kurze Version“ nennt, dauert etwa zwanzig Minuten. So lange braucht der Mann für seine Darstellung als Angeklagter, dem Körperverletzung vorgeworfen wird. Doch für den 75-Jährigen ist es mehr eine Geschichte vom „einsamen Wolf“, von einem Mann, der „seit einem halben Jahrhundert ein Abwehrprogramm gespeichert“ habe und schließlich „in eine Falle“ geraten sei.

So sieht das der weißhaarige Mann, der zur Reichsbürgerszene zählt, einer losen Gruppierung von Menschen, die die Existenz der Bundesrepublik als souveräner Staat bestreiten und sich deshalb unter anderem weigern, Steuern zu zahlen; für sie besteht das Deutsche Reich weiter fort. Mehrere Leute, offenbar Gesinnungsgenossen, hat der Angeklagte im Schlepptau. Auch ein Mann aus der Hamburger NPD-Spitze sitzt mit im Gerichtssaal.

Drohungen "im Tonfall des Jüngsten Gerichts"

Die Staatsanwaltschaft wirft Reinhold O. vor, im Dezember vergangenen Jahres im AStA Infocafé einem Mann, der ihn wegen seiner Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung angesprochen und ihm gesagt hatte, er sei dort nicht erwünscht, einen Faustschlag gegen das Kinn versetzt zu haben.

Er habe schon immer viel Zeitung gelesen, betont der Angeklagte, der schon in rechtsextremen Publikationen Texte veröffentlichte. Deshalb habe er auch das AStA-Infocafé besucht. Dort hätten ihn zwei junge Männer im „Tonfall des Jüngsten Gerichts“ auf seine Identität angesprochen. Einer der beiden habe sich dann „in aggressiver Weise vor mir aufgebaut“ und habe ihm gedroht, wenn er noch einmal komme, „werden Sie so zusammengeschlagen, dass Sie das bis zum Rest Ihres Lebens nicht vergessen werden“.

Drei Stunden lang Schmerzen nach Faustschlag

Daraufhin habe er den Mann „Würstchen“ genannt und schließlich nach dem „Instinktschema“ wie „ein einsamer Wolf“ reagiert und dem Kontrahenten „die Faust unters Kinn gehalten. Das macht ein Berufsboxer auch so.“ Dass er den Jüngeren auch geschlagen habe, schließe er aus, sagt der Mann. Er sei schon mal bedroht worden, vor 50 Jahren. „Wenn 50 Jahre lang ein Gespenst hinter Ihnen herläuft, dann wird das irgendwann Fleisch und Person.“

Der Mann, der von dem 75-Jährigen laut Anklage verletzt wurde, schildert als Zeuge, dass Reinhold O. schon früher „durch Redebeiträge gestört“ habe. Wie andere Menschen, die politisch so weit rechts seien, sei der Angeklagte beim AStA „nicht erwünscht“. Und das habe er dem Rentner auch mitgeteilt. „Da beleidigte er mich als ‘Sie Gewürm’. Er schlug mir mit der Faust ins Gesicht“, erzählt der Zeuge weiter. Etwa drei Stunden lang habe er davon leichte Schmerzen gehabt. Ob er denn dem 75-Jährigen massive Schläge angedroht habe, wie dieser behauptet, möchte der Richter vom Zeugen wissen. Der versichert: „Das ist gelogen.“ Ein weiterer Student stützt seine Schilderung.

"Mikroterrorismus" durch den AStA

Weil Reinhold O. nicht vorbestraft ist und die Körperverletzung vergleichsweise eher gering, möchte der Richter das Verfahren einstellen. Vorausgesetzt, der Angeklagte zeigt Einsicht, dass er falsch reagiert habe. „Nein, ich habe verständlich reagiert“, braust der 75-Jährige auf und spricht vom „Mikroterrorismus“, der vom AStA ausgehe.

Am Ende wird der Angeklagte schuldig gesprochen und verwarnt, eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu zehn Euro bleibt vorbehalten – eine sogenannte Geldstrafe auf Bewährung. Dass O. Prügel angedroht worden seien, sieht der Vorsitzende als Schutzbehauptung. Auf dem Flur vorm Gerichtssaal steht Reinhold O. später noch mit seinen Bekannten zusammen, man diskutiert aufgebracht über das Urteil.