Hamburg. Sie träumen von glorreichem Deutschtum oder wollen Staatschefs sein: Reichsbürger sind extrem, aber nicht immer rechtsextrem.

Das Gesamtpotenzial der Szene um die sogenannten Reichsbürger liegt in Hamburg bei rund 130 Personen. Das erklärte das Landesamt für Verfassungsschutz. Die Zahl hat sich damit Amtsleiter Torsten Voß zwar seit Januar nicht mehr erhöht, lag aber vor einem Jahr erst bei 90. Die Szene der soganannten Reichsbürger und "Selbstverwalter" gewinne auch über das Internet neue Anhänger.

Deutschlandweit gibt rund 18.000 Reichsbürger, 1500 mehr als Ende des Jahres. Die Szene sei sehr heterogen, auch in Hamburg. Als Rechtsextremisten stuft das Landesamt für Verfassungsschutz nur rund ein Dutzend von ihnen ein. Geprägt sei die Szene in weiten Teilen von "lebensälteren Männern", hieß es. Damit unterscheide sie sich strukturell deutlich von anderen Bereichen des Extremismus.

Zwei gleichnamige Reichsbürgergruppen bekämpfen sich

Laut Verfassungsschutzbericht 2017 sind in Hamburg zwei Bewegungen besonders aktiv. Beide firmieren unter dem Namen «Bundesstaat Freie und Hansestadt Hamburg», lehnen sich aber untereinander ab. Die eine Gruppe biete Hilfe und Formulare für die Feststellung der reichsdeutschen Staatsangehörigkeit an. Ausweise der Bundesrepublik Deutschland würden dagegen als «Sklavenkärtchen» abgelehnt.

Die zweite Gruppe glaubt, bis zur Etablierung des Bundesstaates Freie und Hansestadt Hamburg gelte allein die Verfassung des Freistaats Preußen von 1920. Sogar ein eigenes Auswärtiges Amt unterhalte die Bewegung - zumindest als Internetauftritt. Mit der Autorität dieser Gruppen innerhalb der Szene scheint es jedoch nicht weit her zu sein. Andere Reichsbürger oder Gruppen wiederum werden bei Behörden als «Reichspräsident», «Kommissarische Reichsregierung» oder als «Reichsland Freie und Hansestadt Hamburg» vorstellig.

Mehr Wirrköpfe als Rechtsextreme

Während die einen der Ansicht sind, dass das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937, 1917, 1914 oder auch 1871 nie untergegangen sei, erklären "Selbstverwalter", sie seien aus der Bundesrepublik Deutschland ausgetreten und ihr Grundstück sei nun ein souveränes Staatsgebiet, auf dem die Gesetze der Bundesrepublik nicht gälten. Wieder andere gründen gleich ein eigenes Fürstentum oder Königreich.

Der Verfassungsschutz beobachtet die Reichsbürger seit Herbst 2016. Sein Fazit: "Die Angehörigen dieser Szene bilden ein krudes Gemisch aus widerständigen Querköpfen, Verschwörungstheoretikern, Betrügern, Steuerflüchtigen und anderen Gegnern staatlicher Abgaben und Maßnahmen." Hinzu kämen auch Rechtsextremisten.

Fünf Waffenscheine von Reichsbürgern eingezogen

Gleichwohl nehmen die Behörden die Sonderlinge ernst. Wer derartig fundamental die freiheitlich demokratische Grundordnung ablehne, sei eindeutig ein Verfassungsfeind, erklärten Senatsvertreter kürzlich im Innenausschuss der Bürgerschaft. Wenn solche Leute einen Waffenschein hätten, bemühten sich die Behörden, ihnen diese Erlaubnis zu entziehen. In Hamburg wurde das bislang fünfmal gemacht, vier Verfahren laufen noch. In anderen Bundesländern ist es schon vorgekommen, dass Reichsbürger auf Polizisten geschossen haben.

Bei der Einschätzung, ob jemand Reichsbürger sei, will der Verfassungsschutz nicht leichtfertig vorgehen. Wenn jemand angebe, er bezahle sein Park-Knöllchen nicht, weil für ihn als Reichsbürger die Gesetze nicht gelten würden, werde er nicht automatisch beim Verfassungsschutz gespeichert. "Denn vielleicht handle es sich nur um eine vorgeschobene Behauptung, um die Rechnung nicht bezahlen zu müssen", erläuterte der Senat im Innenausschuss.