Hamburg. Hamburgs Bürgermeister spricht unter anderem über dicke Luft an den Straßen, das Wachstum der Stadt und den Fernwärme-Streit.
Seit Ende März ist Peter Tschentscher (SPD) Bürgermeister. Nach knapp vier Monaten im Amt wird er demnächst erstmals ein paar Tage Urlaub in Österreich machen. Vorher traf ihn das Abendblatt noch zum Sommer-Interview im Rathaus.
Herr Bürgermeister, Sie waren gerade drei Tage in Marseille. Was hat die Stadt, was Hamburg nicht hat?
Peter Tschentscher: Es gibt dort Badebuchten im Zentrum und fast das ganze Jahr Sonne. Wir sind zwar auch eine Stadt am Wasser, aber nicht mit diesem Mittelmeer-Flair. Marseille wirkt stärker als Touristenstadt.
Sie haben dort die Parade zum Nationalfeiertag erlebt. Sollte es so etwas auch in Hamburg geben?
Tschentscher: Mit der Parade begeht Marseille nicht nur den Nationalfeiertag, sondern feiert sich auch selbst. Die städtische Polizei, die Feuerwehr und andere Einsatzkräfte präsentieren sich stolz in der Öffentlichkeit. Auch Jugendliche eines Qualifizierungsprojekts werden dabei integriert – das finde ich sympathisch. In Hamburg feiern wir zum Beispiel einmal im Jahr den Hafen, aber es gibt keine Veranstaltung dieser Art. Wenn man eine solche Parade bei uns einführen wollte, müsste sie einen eigenständigen Hamburger Charakter haben.
Hamburg hat gerade mit dem Triathlon, dem Schlagermove und dem Helene-Fischer-Konzert ein Wochenende der Superlative erlebt. Warum muss das alles an einem Wochenende passieren?
Tschentscher: Das Interesse an solchen Veranstaltungen ist groß, das sieht man zum Beispiel an den vielen Zuschauern entlang der Triathlon-Strecke. Die Koordination ist nicht leicht, weil es gerade in den Sommermonaten viele Anfragen gibt.
Helene Fischer in Hamburg:
Helene Fischer in Hamburg – was für eine Show!
Würden Sie denn trotzdem für eine Entzerrung plädieren? Es geht ja um weite Teile der Innenstadt, die in Beschlag genommen werden.
Tschentscher: Das wird in einem extra dafür eingerichteten „Eventausschuss“ der Behörden, der Bezirksämter Mitte und Altona und der Handelskammer beraten. Das Verfahren hat sich bewährt, weil dort alle Interessen eingebunden werden. Die Zahl der Großveranstaltungen auf öffentlichen Plätzen und freie Zeiten sollen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Das Zentrum Hamburgs ist aber letztlich kein Kurort. Viele Hamburgerinnen und Hamburger kommen dorthin, um etwas zu sehen und zu erleben.
Die CDU hat mit der Alsterpromenade an der Binnenalster einen Vorschlag zur Belebung der Innenstadt gemacht. Was halten Sie davon?
Tschentscher: Ich finde es gut, wenn sich alle daran beteiligen, unsere Stadt attraktiver zu machen. Es gibt seit Längerem Planungen, den Ballindamm neu zu gestalten. Dabei können auch Ideen zu den Uferbereichen einbezogen werden. Mit dem historischen Stadtbild am Jungfernstieg muss man aber behutsam umgehen. Der Charakter Hamburgs darf sich dabei nicht ändern.
Grünen-Bürgerschafts-Fraktionschef Anjes Tjarks hat als Zielvorgabe für die Koalition ausgegeben, dass der Anteil des Radfahrens, des Zu-Fuß-Gehens und des ÖPNV in den kommenden zehn Jahren von 64 auf 75 Prozent ansteigen soll. Ist das realistisch?
Tschentscher: Wir schreiben niemandem vor, wie er sich fortzubewegen hat. Aber wir machen das Radfahren attraktiver, weil es eine gesunde und umweltschonende Fortbewegungsart ist. Es gibt allerdings auch viele, die nicht mit dem Rad fahren wollen oder können. Denen müssen wir gute Bus-, S-Bahn- und U-Bahn-Verbindungen anbieten. Je mehr Bürger diese gerne nutzen, umso mehr Platz ist für diejenigen, die dann noch mit dem Auto fahren wollen oder darauf angewiesen sind. Der Anteil des Radverkehrs und der Bus- und Bahnfahrten am Gesamtverkehr ist zuletzt gestiegen. Wenn wir die Kapazität, die Zuverlässigkeit und den Komfort dieser Verkehrsträger weiter steigern, wird es auch mehr Menschen geben, die sie nutzen.
Ist das Auto ein Auslaufmodell für die Stadt?
Tschentscher: Nein, wir haben nicht vor, das Auto zu verdrängen, denn viele sehen darin einen besonderen Komfort und wollen es benutzen. Aber der oberirdische Straßenraum ist begrenzt. Je mehr Menschen Busse und Bahnen nutzen, umso mehr Platz ist für Autofahrer, Fahrradfahrer und Fußgänger.
Für die Nutzer ist das Auto komfortabel. Aber für die Stadt hat es durch die Abgas- und Lärmbelastung gravierende Nachteile.
Tschentscher: Ja, deshalb fördern wir die Elektromobilität. Aber es ist unrealistisch, dass wir von heute auf morgen nur noch mit E-Autos unterwegs sind. Es ist auch in Ordnung, konventionell Auto zu fahren, wenn bei Dieselfahrzeugen moderne Motoren mit geringem Schadstoffausstoß zum Einsatz kommen.
Rechnen Sie mit einer Ausweitung der Dieselfahrverbote?
Tschentscher: Nein, in Hamburg definitiv nicht. Wir haben einen Luftreinhalteplan, der den rechtlichen Anforderungen entspricht. Die beiden Durchfahrtsbeschränkungen an der Stresemannstraße und der Max-Brauer-Allee waren nötig, um diese Rechtssicherheit zu bekommen. Damit verhindern wir flächendeckende Fahrverbote, wie sie andere Städte, wie zum Beispiel Stuttgart, nun einführen müssen. Zwar gibt es Forderungen nach weitergehenden Fahrverboten, aber die Antwort des Senats lautet: nein.
Das Fahrverbot führt dazu, dass nun andere Strecken stärker belastet werden.
Tschentscher: Es ging an diesen beiden Stellen darum, sehr hohe Konzentrationen von Schadstoffen zu senken, weil gerade diese Spitzen besonders gesundheitsschädlich sind. Die Durchfahrtsbeschränkungen sind deshalb an diesen Stellen sinnvoll, auch wenn sich ein Teil der Belastung nur anders verteilt. Die vielen anderen Maßnahmen des Luftreinhalteplans sind aber viel wichtiger, weil sie die Schadstoffbelastung der Luft insgesamt deutlich verringern.
Noch wächst die Zahl der Autos in Hamburg, und es gibt viele Baustellen. Müssen wir uns darauf einstellen, dass es nach wie vor viele Staus geben wird?
Tschentscher: Wir haben eben einen großen Sanierungsstau aus früheren Jahren zu bewältigen und müssen deshalb auch weiterhin Baustellen einrichten. Dafür sind die Straßen dann aber auch langfristig in einem besseren Zustand. Gleichzeitig bauen wir neue S- und U-Bahn-Strecken, um den Straßenverkehr langfristig und nachhaltig zu entlasten. Auch durch den Wohnungsbau verringern wir das Verkehrsaufkommen. Nehmen wir etwa die 300.000 Einpendler: Viele davon fahren jeden Tag lange Strecken, weil sie in Hamburg arbeiten, aber dort keine Wohnung finden – obwohl sie gerne in Hamburg leben würden. Wer hier arbeitet, aber dennoch in Schleswig-Holstein wohnen möchte, profitiert von besseren S-Bahn-Verbindungen ins Umland, wie zum Beispiel von einer neuen S4 zwischen Hamburg und Bad Oldesloe.
Wo Wohnungen gebaut werden, geht Grün verloren. Haben Sie Verständnis für das Anliegen der Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“?
Tschentscher: Für das Anliegen habe ich Verständnis. Aber die Annahme der Initiative, dass es immer weniger Grün in Hamburg gibt, stimmt nicht. Wenn wir neue Stadträume entwickeln, schaffen wir gleichzeitig neue Grünanlagen. Ehemalige Kasernen- und Bahngelände oder Gewerbeflächen werden dafür umgewandelt. So etwa in der Mitte Altona, auf dem Grasbrook oder in Neugraben-Fischbek. Im Zuge großer Projekte entstehen sogar völlig neue Grünflächen wie der Inselpark in Wilhelmsburg oder der Park im Baakenhafen in der HafenCity.
Die Behauptung der Initiative, dass Grün verloren geht, ist bislang nicht widerlegt ...
Tschentscher: Tatsache ist, dass wir mehr Naturschutzgebiete und Grünanlagen haben als früher. Kein anderes Bundesland stellt so viele Flächen unter Naturschutz wie Hamburg. Rund neun Prozent unserer Fläche bestehen aus Naturschutzgebieten, in Bremen sind es fünf, in München weniger als drei Prozent. Unsere Landschaftsschutzgebiete machen einen Anteil von rund 20 Prozent aus.
Muss man nicht ein System finden, mit dem man exakt nachweisen kann, wie viel Grün Hamburg hat und wie sich der Anteil im Laufe der Jahre entwickelt hat?
Tschentscher: Ja, wir können unsere Parkflächen gern vermessen. Das alles muss man vernünftig erfassen, bevor man solche Behauptungen aufstellt. Klar ist aber: Wenn wir den Wohnungsbau einstellen, würden die Mieten weiter drastisch steigen und Menschen mit geringerem Einkommen aus der Stadt gedrängt. Wenn wir das Wachstum aktiv gestalten, können wir die Stadt dagegen für alle attraktiver machen. Mit dem A-7-Deckel zum Beispiel verbinden wir bisher getrennte Stadträume, schaffen mehr Grünflächen, verringern den Verkehrslärm und gewinnen Platz für neue Wohnungen.
Was sind für Sie Tabubereiche, die für den Wohnungsbau und das Wachstum der Stadt nicht geopfert werden dürfen?
Tschentscher: Das kann man so allgemein nicht sagen. Wenn wir Naturschutzgebiete ausweisen – drei sind in den letzten Jahren hinzugekommen – entscheiden wir uns bewusst, die Stadt dort baulich nicht weiterzuentwickeln. Neue Wohnungsbau- und Gewerbeflächen schaffen wir in erster Linie an Stellen, wo bereits Verkehrsanbindungen bestehen. Dort müssen wir die Flächen dann besser nutzen und auch mehr in die Höhe bauen.
Und Konversionsflächen, also etwa ehemalige Kasernengelände, sind auch endlich.
Tschentscher: Alles ist endlich. Auch das Wachstum der Stadt wird nicht ewig weitergehen. Es gab schon Zeiten, in denen Städte geschrumpft sind – auch Hamburg. Derzeit leben wir aber in einer Phase der Urbanisierung, das heißt, viele Menschen zieht es in die Städte. Darauf müssen wir uns einstellen, wenn niemand verdrängt werden soll. Wir haben in Hamburg auch genug Potenzial an Wohnungsbau- und Gewerbeflächen, um neue Einwohner und Unternehmen aufzunehmen. Die damit verbundene Wertschöpfung gibt uns die wirtschaftliche und finanzielle Kraft, die Stadt zugleich für alle attraktiver zu machen und vieles zu ermöglichen, was in Deutschland einmalig ist.
Für Sie ist das Thema Leben im Alter ein Schwerpunkt. Lässt sich der Ausbau altersgerechter Wohnungen politisch verordnen?
Tschentscher: Nicht gut. Ich möchte aber ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir eine Stadt sind, in der man auch im Alter gut leben kann. Es gibt schon jetzt interessante Projekte für altersgerechtes Wohnen und Leben in der Großstadt. Wohnungsbauinvestoren müssen erkennen, dass es für seniorengerechte Wohnformen einen großen Bedarf gibt. Die Stadt unterstützt solche Projekte durch Investitionszuschüsse und Fördermaßnahmen.
Was wird Ihrer Meinung nach das wahlentscheidende Thema aus Sicht der Bürger für die Bürgerschaftswahl 2020 sein?
Tschentscher: Wohnungsbau für günstige Mieten und Verkehrsthemen sind in Hamburg wichtig. Aufgrund des Wohnungsbaus der letzten Jahre ist der Mietenanstieg bei uns schon jetzt geringer als in anderen großen Städten wie Berlin oder München. Durch bessere Bus- und Bahnangebote entlasten wir den Straßenraum, verringern Staus und schaffen bessere Bedingungen für alle Verkehrsteilnehmer. Im Grunde wollen die Bürgerinnen und Bürger in Hamburg, dass ihre Stadt gut regiert wird und die Politik keine Show veranstaltet. Das haben wir in den vergangenen Wochen leider in Berlin erlebt. Da wurden Scheinprobleme aufgeworfen und Lösungen diskutiert, die uns eigentlich nicht voranbringen. Das machen wir in Hamburg anders.
Werden Sie als Spitzenkandidat der SPD zur Bürgerschaftswahl antreten?
Tschentscher: Ja.
Wird es eine klare Koalitionsaussage zugunsten der Grünen geben?
Tschentscher: Wir sind noch nicht im Wahlkampf. Mein Ziel ist, dass die SPD auch in Zukunft als die Hamburg-Partei wahrgenommen wird, der man die Stadt gut anvertrauen kann. Wir kümmern uns um die Wirtschaft, Sicherheit und Ordnung, um Bildung und Wissenschaft und achten darauf, dass alle an der Attraktivität unserer Stadt teilhaben können. Wenn wir dafür eine Koalition brauchen, sind die Grünen unser erster Ansprechpartner.
Spaltmaterial enthält aber der Streit über die Fernwärme.
Tschentscher: Nicht bei uns im Senat. Es gibt Verhandlungen zwischen der Stadt und Vattenfall. Wir sind im Senat einig, dass wir eine möglichst ökologische Fernwärmeversorgung zu vernünftigen Preisen wollen. Fernwärmekunden dürfen nicht mehr bezahlen als für eine andere Wärmeversorgung. Das ist mein Maßstab.
Aber Sie müssen Vattenfall dazu bewegen, von dem vereinbarten Mindestpreis für den Rückkauf des Fernwärmenetzes in Höhe von 950 Millionen Euro herunterzukommen. Das Netz ist heute viel weniger wert.
Tschentscher: Wir stehen mitten in den Verhandlungen. Der Volksentscheid hatte drei Ziele: Rückkauf der Energienetze, klimaschonende Energieversorgung und sozialverträgliche Preise. Das Strom- und das Gasnetz haben wir bereits vollständig zurückgekauft. Auch bei der Fernwärme versuchen wir das bestmögliche Ergebnis im Sinne des Volksentscheids zu erreichen. Dass sich eine Seite zu 100 Prozent durchsetzt, ist nicht wahrscheinlich.
Ist der Anschluss des Kohlekraftwerks Moorburg an das Fernwärmenetz für Sie ein Tabu, wie es das für die Grünen ist?
Tschentscher: Der Senat möchte eine möglichst umweltschonende Fernwärmeversorgung. In welcher technischen Ausgestaltung das am besten erfolgen kann, wird derzeit verhandelt.
Die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank ist schwanger. Stellen Sie im Senatsgehege jetzt einen Wickeltisch auf?
Tschentscher: Meinetwegen gerne. Ich bin sehr sicher, dass Frau Fegebank die Doppelaufgabe als Mutter und Senatorin gut hinbekommen wird. Wir werden das im Senat alle unterstützen.
Wird es für die Zeit der Abwesenheit von Frau Fegebank einen anderen Zweiten Bürgermeister geben?
Tschentscher: Das ist nicht nötig. Es gibt eine Vertretungsregelung im Senat, die gut funktioniert.
Sie gehen Ende der Woche in Urlaub. Sind Sie nach knapp vier Monaten im Amt als Bürgermeister urlaubsreif?
Tschentscher: (Lacht) Es ist jedenfalls ganz schön, für einige Tage Abstand zu haben. Aber ich werde nach wie vor erreichbar sein.
Was haben Sie sich vorgenommen?
Tschentscher: Ich möchte ein paar Briefe schreiben und lesen, wozu ich in Hamburg nicht komme. Zum Beispiel einen historischen Hamburg-Krimi, den ich geschenkt bekommen habe.