Marseille. Den Besuch zum Nationalfeiertag nutzte Hamburgs Bürgermeister, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Marseille voranzutreiben.
Zu den Pflichten eines Hamburger Bürgermeisters gehört es, auch skurrile Situationen stoisch und würdevoll über sich ergehen zu lassen. Zum Beispiel am Sonnabend in Marseille. Da findet sich Peter Tschentscher in der sengenden Sonne auf einem Plastikstuhl am Rande eines eher schmucklosen Boulevards in einem Vorort von Marseille wieder, der Partnerstadt Hamburgs.
Neben ihm: sein Amtskollege Jean-Claude Gaudin sowie weitere Honorationen der Region. Zwei Stunden lang defiliert vor ihnen der gesamte Sicherheitsapparat des französischen Staates mit großer Geste auf und ab: städtische Polizisten, die Nationalgendarmerie auf Motorrädern, Feuerwehrleute mit goldglänzenden Helmen, Reiter der Nationalgarde, schwer bewaffnete Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett, hochdekorierte Fremdenlegionäre, die Kavallerie mit ihren Radpanzern, und selbst für eine kleine Flugstaffel mit vier Maschinen ist gesorgt. Orden werden verliehen, das Orchester schmettert französische und deutsche Marschmusik und natürlich die Marseillaise – die Nationalhymne darf nicht fehlen am 14. Juli.
Warum Tschentschers Einladung eine Ehre ist
Der Nationalfeiertag wird in Frankreich noch wörtlich genommen: Die Nation feiert sich selbst, versichert sich ihrer Größe und glorreichen Geschichte, zeigt, was sie hat. Kurz: Die Franzosen machen genau das, was in Deutschland völlig verpönt ist.
Sollte Peter Tschentscher solche Gedanken gehabt haben, hat er sie natürlich verborgen. Denn als deutscher Politiker Ehrengast bei den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag zu sein, noch dazu in einer Stadt, in der die Nazis schlimm gewütet haben – das ist genau das: eine Ehre.
Als zum Ende der Zeremonie nach Aussagen der Gastgeber erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder die deutsche Nationalhymne in Marseille gespielt wird, ist man auf beiden Seiten bewegt.
Tschentscher betont Verantwortung beider Staaten
Es gab viele solcher Momente in den zwei Tagen, die Tschentscher in der Metropole am Mittelmeer verbracht hat. 60 Jahre nach Begründung der Städtepartnerschaft wollte Bürgermeister Gaudin, eine seit 23 Jahren regierende Institution, mit dieser Einladung auch ein bewusstes Zeichen setzen: für die deutsch-französische Freundschaft, auf die es in unruhigen Zeiten wie diesen noch mehr ankomme, so der 78 Jahre alte Republikaner.
„Man hat sehr gespürt, dass es von französischer Seite gerade jetzt ein großes Interesse gibt, die Partnerschaft fortzuführen“, sagte Tschentscher. Er teile die Auffassung seines Amtskollegen: „Frankreich und Deutschland, die großen Nationen der Europäischen Union, haben eine große Verantwortung“, so Tschentscher.
Die Städtepartnerschaft zeige konkret, wie diese Verantwortung ausgestaltet werden könne: „Wir bringen Menschen zusammen und sind begeistert, wie positiv und offen wir hier aufgenommen wurden. Daraus lässt sich viel machen.“
Beteiligung von Reederei im Hamburger Hafen?
In der Tat brachte der Besuch auch einige handfeste Fortschritte. So kam der Bürgermeister aus einem vertraulichen Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden der Reederei CMA CGM, Rodolphe Saadé, mit der Nachricht, das Unternehmen aus Marseille habe Interesse, sich in Hamburg an einem Containerterminal zu beteiligen.
Das wäre ein Novum: Bislang ist nur die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd mit 25 Prozent am Containerterminal Altenwerder beteiligt. Während es in fast allen großen Häfen der Welt inzwischen üblich ist, dass große Reedereien dort Terminalbeteiligungen halten, wurde in Hamburg ausländischen Unternehmen dieser Schritt bislang verwehrt: Nur an Unikai ist die italienische Grimaldi-Gruppe beteiligt, dort werden aber keine Container umgeschlagen.
Aus Tschentschers Sicht ist es Zeit umzudenken. „CMA CGM ist die drittgrößte Rederei weltweit, ist also ein globaler Player und deshalb auch für unseren Hafen von großer Bedeutung“, sagte er dem Abendblatt. Eine Beteiligung würde „natürlich“ auch zusätzliche Ladung nach Hamburg bringen: „Das bedeutet Wertschöpfung, das bedeutet Arbeitsplätze in Hamburg“, betonte der Bürgermeister. „Deswegen ist das eine sehr gute Entwicklung.“
Wie aus Senatskreisen verlautete, kommen für eine Beteiligung die HHLA-Terminals Tollerort und Burchardkai infrage. Ob es dazu kommt – und wenn ja, in welcher Größenordnung –, müssten die Gespräche zeigen.
Delegation aus Marseille kommt nach Hamburg
Bei den Bürgerschaftsabgeordneten in der Delegation kam die Nachricht unterschiedlich an. „Hamburg bindet damit eine der großen vier Redereien an den Hamburger Hafen“, sagte Michael Westenberger (CDU). „Damit werden erhebliche Margen des Güterumschlags mit CMA für die Zukunft im Hafen gesichert.“
Norbert Hackbusch (Linkspartei) sieht den Vorgang hingegen kritisch: „Die Reederei wird diese Beteiligung zu ihrem Vorteil machen, die wohl einen Nachteil für das Terminalunternehmen und damit für die Stadt ergibt.“ Erfahrungsgemäß würden die Reedereien einen überproportionalen Anteil am Terminalgewinn einfordern. Hackbusch verwies zudem darauf, dass auch Hapag-Lloyd sich eine weitere Terminalbeteiligung vorstellen könne.
Möglicherweise gibt es bis September schon Fortschritte bei dem Thema – dann kommt eine Delegation aus Marseille nach Hamburg. Eine Parade wird es dann zwar nicht geben. Aber der Bürgermeister räumte ein, dass er dem Ereignis durchaus Positives abgewinnen konnte: „Mein Eindruck war: Marseille würdigt mit der Parade nicht nur den Nationalfeiertag Frankreichs, sondern auch die eigene Stadt.“
Denn neben den militärischen Einheiten seien ja auch Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste stark vertreten gewesen. Gefallen habe ihm, dass auch Jugendliche einer städtischen Qualifizierungsmaßnahme durch die Teilnahme an der Parade besonders gewürdigt wurden, sagte Tschentscher – und klang dabei so, als könne er sich etwas Ähnliches für Hamburg auch vorstellen.