Hamburg. Vier Wochen vor Schuljahresbeginn in Hamburg warten 78 künftige Erstklässler noch auf die Behördenentscheidung.

Für 14.666 Hamburger Kinder steht die Einschulung kurz bevor. Einen Grundschulplatz hat jeder der angehenden Erstklässler bekommen – doch nicht jeder an seiner Wunschschule. Auch der Sohn von Martin und Heike Wismar nicht. Drei Schulen können Eltern bei der Anmeldung ihrer Kinder angeben. Bei den Wismars wurde keiner der drei Wünsche berücksichtigt. Ihrem Sohn wurde ein Platz an der Grundschule St. Nikolai in Eppendorf zugewiesen. Die Familie wohnt in Winterhude.

„Wir haben keinerlei Bezug zu dieser Schule“, sagt Martin Wismar. Ihre Wunschschule, die Stadtteilschule Winterhude, habe ihrer Meinung nach ein besseres Konzept. „Das Lernen ist dort sehr viel freier“, sagt Wismar. Ein weiteres Problem: der Schulweg. 3,5 Kilometer betrage die Entfernung vom Haus der Familie bis zu der ihnen zugewiesenen Schule, so der Familienvater. Er habe es nachgemessen. Die Schulbehörde habe jedoch nur 2,1 Kilometer angegeben. „Wir wohnen in einer Einbahnstraße und müssen mit dem Auto in die entgegengesetzte Richtung fahren, um aus unserer Straße herauszukommen“, sagt Wismar.

333 Widersprüche

Durch diesen Umweg verlängere sich der Anfahrtsweg. Das sei bei der Vergabe nicht berücksichtigt worden. Die Wismars legten Widerspruch gegen die Schulzuweisung ein. Und damit sind sie nicht allein. Insgesamt gingen bei der Schulbehörde in diesem Jahr 333 Widersprüche (2,2 Prozent) gegen die Zuweisung der Grundschule ein. „Im Vergleich zum Vorjahr ist die Anzahl der Widersprüche leicht angestiegen“, sagt Claudia Pittelkow von der Schulbehörde. „Für das Schuljahr 2017/2018 haben die Eltern von 288 der insgesamt 14.253 Erstklässler Widerspruch gegen die zugewiesene Schule eingelegt, das sind zwei Prozent.“

255 der aktuellen Fälle (76,6 Prozent) sind entschieden. In 79 Fällen wurde zugunsten der Behörde, in 34 zugunsten der Eltern entschieden. 142 Fälle wurden entschieden, indem eine anderweitige Lösung gefunden wurde. „In diesen Fällen ist eine Familie beispielsweise umgezogen, oder es wurde sich auf eine andere Schule geeinigt“, erläutert Pittelkow. 78 Widerspruchsfälle sind allerdings noch offen.

Knapp 60 Widerspruchsverfahren

Einige der Familien, die Widerspruch eingelegt haben, vertritt Rechtsanwalt Frank Hansen. „In diesem Jahr gibt es extrem viele Fälle, in denen Familien keine ihrer drei Wunschschulen zugewiesen bekommen haben“, sagt der Fachanwalt für Verwaltungsrecht, der auch die Familie Wismar vertritt. Knapp 60 Widerspruchsverfahren betreut seine Kanzlei Hansen & Münch. „So viele wie noch nie.“ Woran könnte das liegen? „Die Stadt wächst, der Bedarf wird vor allem in zentralen Lagen größer, aber es gibt nicht mehr Plätze an den Schulen“, sagt Frank Hansen, der vermutet, dass das Problem weiter zunehmen wird.

Bei der Vergabe eines Grundschulplatzes geht es neben den drei angegebenen Wünschen hauptsächlich um die Länge des Schulwegs. Je näher der Wohnort an der Wunschschule liegt, desto besser stehen die Chancen, einen Platz zu bekommen. In diesem Jahr wurde die Verteilung der Erstklässler erstmals mithilfe eines Computerprogramms ermittelt. „Vorrang haben zudem Kinder, die sprachförderungswürdig sind, und diejenigen, die bereits ein Geschwisterkind auf der jeweiligen Schule haben“, erklärt Hansen.

Viele Widersprüche erledigen sich von selbst

„Die Hälfte der Widersprüche erledigt sich in der Regel von selbst“, sagt Hansen. Das geschieht im Nachrückerverfahren. Wird ein Platz an einer Schule frei, da ein dort angenommenes Schulkind beispielsweise mit der Familie um- oder wegzieht, rückt ein anderer Bewerber nach. Aber: nur wenn vorher Widerspruch eingelegt wurde. „Wir empfehlen daher immer, Widerspruch einzulegen, wenn man mit der zugewiesenen Schule nicht zu 100 Prozent einverstanden ist“, so Hansen. Erledigt sich ein Fall nicht durch das Nachrückerverfahren oder eine andere Einigung, kommt es zur Klage. Hansen: „Aktuell haben wir vor Gericht 30 laufende Verfahren.“

Dieses Jahr brauche die Behörde ungewöhnlich lange, um auf die Widersprüche zu reagieren. „In den vergangenen Jahren waren wir bis zum Ferienbeginn durch“, so Hansen. Doch bis zur Einschulung in knapp vier Wochen muss eine Entscheidung her. Bis dahin hoffen Martin und Heike Wismar weiter auf einen Platz an ihrer Wunschschule.