Hamburg. SPD-Politikerin will Zweckentfremdung von Wohnraum nicht länger hinnehmen. Wie sie über Mietpreisbremse und Nabu-Initiative denkt.

Der Blick reicht an klaren Tagen bis weit in den Norden der Stadt. Dorothee Stapelfeldt, seit April 2015 Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, mag ihr Büro in der Behörde an der Neuenfelder Straße in Wilhelmsburg. Von ihrem Amtsgeschick hängt viel für den Senat ab, immer mehr Mieter machen sich Sorgen, wie lange sie sich Wohnen in Hamburg noch leisten können.

Frau Senatorin, kennt eine Stadt Grenzen des Wachstums?

Dorothee Stapelfeldt: Hamburg hat als Stadtstaat natürliche Grenzen. Aber Sie spielen mit den Grenzen des Wachstums an auf das allgemeine Unbehagen, das Menschen mit dem Wachstum einer Stadt verbinden.

Woher rührt denn dieses Unbehagen?

Stapelfeldt : Zunächst einmal gilt, dass Menschen verstärkt in unsere Stadt kommen, weil sie hier ihr Glück suchen und weil sie gute Lebensbedingungen für sich erwarten. Das betrifft alle großen Städte. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Wir wollen dieses Wachstum qualitativ gestalten, wir wollen die Lebensqualität erhöhen.

Bleiben wir beim Unbehagen, das viele Bürger empfinden. Wie können Sie verhindern, dass aus der wachsenden Stadt eine wuchernde Stadt wird? Serieller Wohnungsbau und neue Stadtteile, am grünen Tisch geplant, schüren Ängste.

Stapelfeldt : Wuchern ist mir zu negativ belegt und für Hamburg auch falsch. Wir planen sehr genau, haben immer das Wohl der Menschen im Blick. Schauen Sie sich nur an, mit welcher Präzision wir z. B. die Mitte Altona gestalten oder den neuen Stadtteil Oberbillwerder entwickeln. Da kann von Wuchern keine Rede sein.

Aber Sie bewegen sich gleichsam in einem Hamsterrad. Sie sorgen zwar dafür, dass jedes Jahr 10.000 neue Wohnungen gebaut werden. Und doch wächst die Nachfrage nach Wohnraum stärker als das Angebot.

Stapelfeldt : Es stimmt, unser Wohnungsbauprogramm ist ambitioniert. Das liegt aber auch daran, dass wir Jahre des Stillstands überwinden mussten, in denen überhaupt nichts geschah. Wir wollen, dass Wachstum zu mehr Lebensqualität führt. Eine Stadt, die sich entwickelt, die verändert sich auch!

Die Initiative „Hamburgs Grün erhalten“ kämpft gegen Versiegelung und weiteres Wachstum. Und zwar mit großem Erfolg. Fürchten Sie die Initiative des Nabu?

Stapelfeldt : Nein, ich fürchte sie nicht.

Verstehen Sie sie?

Stapelfeldt : Ich verstehe das Anliegen, Hamburg als grüne Stadt zu erhalten. Das teile ich. Aber die Entwicklung zeigt doch: Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete, Parks und Wasser machen aktuell rund 50 Prozent der Landesfläche der Stadt aus. Dort, wo wir bauen, entstehen immer auch neue Grünflächen: der Lohsepark in der HafenCity, in der Mitte Altona oder auch beim Rückbau der Wilhelmsburger Reichsstraße. Und: Hamburg ist nicht so dicht besiedelt wie Städte wie Berlin, München, Kopenhagen oder Wien.

Drücken Sie eigentlich Horst Seehofer heimlich die Daumen?

Stapelfeldt : Wie meinen Sie denn das?

Er will den Zuzug von Flüchtlingen stark begrenzen. Das würde auch Ihnen in Hamburg helfen.

Stapelfeldt : Herrn Seehofer unterstütze ich nicht. Im Übrigen ist die Situation auf dem Wohnungsmarkt in Hamburg doch eine andere. Es kommen keineswegs nur Flüchtlinge in unsere Stadt. Hamburg ist seit Langem sehr attraktiv für viele Studenten, Berufsanfänger und für junge Familien, Menschen, die hier bleiben wollen, und darauf müssen wir uns einstellen.

Den meisten würde reichen, wenn sie überhaupt eine Wohnung finden würden. Große Kliniken erwägen den Bau von Wohn­heimen, damit sie noch Mitarbeiter nach Hamburg locken können.

Stapelfeldt : Es ist richtig, dass wir im Bereich des günstigen Wohnraums Engpässe haben. Daher begrüße ich solche Initiativen ausdrücklich. Damit beweisen die Unternehmen ihre gesellschaftliche Verantwortung. Dennoch ist auch hier die Lage besser als in vielen anderen Städten: Mit der Saga und den Genossenschaften haben wir große Vermieter, die für preiswerten Wohnraum sorgen.

Manche Stadtplaner fordern, dass in Hamburg keine Einfamilienhäuser mehr genehmigt werden dürfen. Wir bräuchten flächendeckend Geschossbau, um die Menschen unterzubringen.

Stapelfeldt : Wir müssen weiterhin das ganze Spektrum an Gebäudetypologien, mehrgeschossigem Wohnungsbau überwiegend, aber auch Stadthäuser und Einfamilienhäuser pflegen und entwickeln. Es wäre völlig falsch, dies aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes zu ändern. Das Zusammen­leben in einer Stadt hängt doch auch davon ab, dass wir unterschiedliche Erwartungen und Lebensentwürfe respektieren und lebbar machen. Deshalb wird es in unserem neuen Quartier in Oberbillwerder auch alle Möglichkeiten geben.

Gibt es in Hamburg eine Wohnungsnot?

Stapelfeldt : Ja, in bestimmten Bereichen haben wir eine Wohnungsnot, etwa bei den sogenannten vordringlich Wohnungssuchenden, also Menschen, die in schwierigen Lebenslagen sind und ganz schnell eine Wohnung brauchen. Da haben wir viele Haushalte, die wir nicht adäquat versorgen können. Deshalb werden wir jährlich 300 Sozialwohnungen genau für diese Menschen zur Verfügung stellen. Ängste, die Wohnung zu verlieren, sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern real. Deshalb brauchen wir auf dem Mietmarkt auch klare Regeln, um etwa einen explosiven Anstieg der Miete zu verhindern.

Mit der Mietpreisbremse haben Sie gerade eine Schlappe erlitten. Das Landgericht Hamburg hat das Instrument für rechtlich unwirksam erklärt, da Sie die notwendige Begründung nicht wie vorgeschrieben sofort veröffentlicht haben. Denken Sie darüber nach, den Klägern, die sich auf Ihre Verordnung verlassen haben, zumindest die Gerichtskosten zurückzuerstatten?

Stapelfeldt : Ich kann die Enttäuschung des betroffenen Mieters verstehen. Wir sind es auch. Aber für eine finanzielle Entschädigung seitens der Stadt gibt es gesetzliche Voraussetzungen, die in diesem Fall nicht erfüllt sind.

Die Opposition wirft Ihnen völliges Versagen vor. Selbst ein Jurastudent im ersten Semester hätte dieses Problem erkannt. Noch einmal: Wie konnte das passieren?

Stapelfeldt : Der Senat hatte die entsprechende Verordnung mit einer sehr ausführlichen Begründung im Juni 2015 verabschiedet. In der Begründung haben wir genau dargelegt, warum der Mietmarkt in Hamburg so angespannt ist. Wir sind davon ausgegangen, dass es reicht, wenn wir diese Begründung auf Anfrage herausgeben, etwa gegenüber Gerichten. Senatsdrucksachen sind grundsätzlich vertraulich. Wir haben sie dann aber trotzdem am 1. September 2017 im „Amtlichen Anzeiger“ veröffentlicht und ins Internet gestellt.

Der SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf hatte direkt nach dem Urteil versprochen, dass der Senat sofort eine neue Verordnung beschließen werde. Dies sollte am vergangenen Dienstag bereits geschehen. Passiert ist aber nichts. Ordentliches Regieren geht irgendwie anders.

Stapelfeldt : Als sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht das Urteil abzeichnete, haben wir sofort damit begonnen, uns mit einer Neufassung zu beschäftigen. Alles andere wäre ja auch fahrlässig gewesen. Wir erledigen das schnellstmöglich, aber es geht nicht innerhalb von wenigen Tagen, hier ist große Sorgfalt nötig, um für die Mieterinnen und Mieter maximale Rechtssicherheit zu erreichen.

Viele Bürger, aber auch die Hotellerie ärgern sich über die Zweckentfremdung von Wohnungen durch die Vermietung als Ferienwohnungen oder tageweise über Plattformen wie Airbnb. Was tun Sie dagegen?

Stapelfeldt : Der Wohnungsmarkt in Hamburg ist so angespannt, dass wir nicht länger akzeptieren können, wenn Wohnungen dem Markt auf diesem Weg entzogen werden. Wir werden daher den Wohnraumschutz verbessern, ein entsprechendes Gesetzesvorhaben ist auf dem Weg. Dazu gehört eine Regis­trierungspflicht für Anbieter dieser Wohnungen bei den Bezirken. Diese Nummer müssen dann auch auf der Plattform veröffentlicht werden.

Was planen Sie noch?

Stapelfeldt : Ich möchte dem Verfahren im Senat nicht vorgreifen, aber Sie können davon ausgehen, dass wir den Bußgeldrahmen erhöhen. Und derzeit ist es noch erlaubt, dass man eine Wohnung bis zu einem halben Jahr zweckentfremden kann. Diesen Zeitraum empfinde ich als deutlich zu lang, zwei Monate wären mir lieber.