Hamburg. Flugzeugbauer hat erst Orders über 111 Jets. Nun könnten die Europäer vom Handelsstreit zwischen Washington und Peking profitieren.

In jedem der zurückliegenden fünf Jahre hatte Airbus im Wettbewerb mit Boeing um Ziviljet-Aufträge die Nase vorn – und in jedem einzelnen dieser Jahre verbuchten die Europäer deutlich mehr als 1000 Bestellungen. Ein umso ungewohnteres Bild zeigt der Blick auf die aktuelle Order-Situation: Bis Ende Mai konnte Airbus nach Abzug von Stornierungen gerade einmal 111 Flugzeuge verkaufen, während der US-Konkurrent im gleichen Zeitraum netto immerhin 306 Neubestellungen erhielt.

Hinzu kommt: Im Abendblatt-Interview hatte Guillaume Faury, Chef der Airbus-Ziviljetsparte, vor wenigen Tagen gesagt, ein Auftrag aus dem Iran über knapp 100 Maschinen müsse wegen der US-Handelssanktionen gegen Teheran „sehr wahrscheinlich“ abgeschrieben werden. Airbus ist von den Sanktionen betroffen, weil Teile von US-Zulieferern in den Jets stecken.

Und doch sorgt der amerikanische Präsident Donald Trump womöglich ungewollt dafür, dass Airbus ausgerechnet auf dem zweitgrößten Luftfahrtmarkt der Welt in eine vorteilhafte Position gegenüber Boeing kommt: In China. Mit der Begründung, Airbus könnte als europäischer Anbieter von einem Handelskrieg zwischen China und den USA profitieren, setzte David Perry, Analyst der Investmentbank JPMorgan, das Kursziel der Airbus-Aktie von 122 Euro auf 133 Euro hoch. Boeing würde hingegen wohl überdurchschnittlich unter Strafzöllen leiden, so Perry.

Montagewerk in Tianjin vor einigen Jahren eröffnet

Ähnlich sieht es der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg: „Gerade in einem Land wie China, in dem über Großaufträge regierungsnah entschieden wird, können Flugzeugbestellungen zu einem politischen Instrument werden – und das wäre in diesem Fall schmerzlich für die Amerikaner.“

Ohnehin habe Airbus den Vorteil, schon vor einigen Jahren ein Montagewerk in Tianjin eröffnet zu haben: „Airbus wird von der Regierung in Peking als Bestandteil der chinesischen Hightech-Strategie gesehen.“ Zusammen mit dem aktuellen politischen Hintergrund ergebe das eine „gute Kombination“ im Ringen um Flugzeugaufträge aus China. Ganz konkret geht es um eine Bestellung von mehr als 180 Jets der A320-Familie.

Von einem solchen Auftrag, der nach Listenpreisen einen Wert von rund 15,5 Milliarden Euro hätte, würde der Airbus-Standort Hamburg sehr stark profitieren: Mehr als die Hälfte der Kurz- und Mittelstreckenflieger des Unternehmens werden auf Finkenwerder gebaut, die Komponenten für die in Tianjin endmontierten Jets werden in Hamburg vorgefertigt.

Macron hat Verkauf von 184 Flugzeugen an China eingefädelt

Bereits im Januar hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den Verkauf der 184 Flugzeuge an China eingefädelt, die Unterzeichnung eines offiziellen Kaufvertrags steht aber noch aus. Manche Branchenbeobachter erwarteten, dass sie während des aktuellen Besuchs des französischen Ministerpräsidenten Édouard Philippe in China erfolgt.

Sein chinesischer Amtskollege Li Keqiang sagte dazu am Montag jedoch lediglich, China wolle in diesem Jahr viele Flugzeuge kaufen. Darum würden die Gespräche mit Airbus fortgesetzt. Der Bedarf ist zweifellos groß: Für Chinas Luftverkehr wird ein Wachstum von elf Prozent in diesem Jahr erwartet und den Prognosen von Experten zufolge wird der asiatische Staat im Jahr 2022 die USA, den bisher größten Luftfahrtmarkt der Welt, überholen.

Derzeit sind China, die USA und Europa allerdings in einen Handelskonflikt verwickelt. Zunächst hatte Präsident Trump unter anderem die EU-Länder und China mit Strafzöllen belegt. Brüssel und Peking reagierten zwar mit entsprechenden Gegenmaßnahmen, sprachen sich aber grundsätzlich klar für den Freihandel aus. Auch Airbus-Konzernchef Tom Enders hatte sich in die Diskussion eingeschaltet.

Die Airline Emi­rates orderte 20 der Mega-Flieger A380

Bereits im Januar kritisierte er Trump scharf. Dieser ziele darauf ab, „den US-amerikanischen Markt für ausländische Unternehmen und Wettbewerber zu verschließen“, so Enders – und das zum Nutzen Boeings. Vorübergehend könnten solche Maßnahmen zwar einen Vorteil für Boeing bedeuten, am Ende werde der Schuss aber nach hinten losgehen: „Man greift keine Kunden an.“

Enders bezog sich konkret auf die auch von US-Airlines zu zahlenden Importzölle, mit denen das Handelsministerium in Washington die Flugzeuge der C-Serie des kanadischen Herstellers Bombardier belegt hatte. Airbus steht derzeit vor dem Abschluss des Erwerbs der C-Serie von den Kanadiern. Damit bauen die Europäer ihre Marktführung bei Kurz- und Mittelstreckenjets noch weiter aus. Boeing dagegen hatte zuletzt bei den Verkäufen von Langstreckenmaschinen die Nase vorn.

Doch in den gerade einmal 111 Bestellungen, die Airbus in den ersten fünf Monaten des Jahres 2018 erhielt, ist ein äußerst wichtiger Auftrag für den A380, das größte Verkehrsflugzeug der Welt, enthalten: Die arabische Airline Emi­rates orderte 20 der Mega-Flieger und sicherte dem Programm, das unter einer bedenklichen Nachfrageschwäche litt, damit die Zukunft. So erhält Airbus die Chance, auch in China weitere Kunden für den A380 zu suchen. Dabei, sagt Schellenberg, „könnte ja vielleicht Präsident Trump mit seiner Politik helfen.“