Hamburg. Guillaume Faury, der die Ziviljet-Sparte lenkt, über den Milliarden-Deal, den A380 und elektrische Lufttaxis, die Hamburg erobern.
Kurz vor der offiziellen Inbetriebnahme der vierten Hamburger Fertigungslinie für die wichtige A320-Familie nimmt Guillaume Faury sich eine gute Stunde Zeit für das Abendblatt. Der 50-jährige Franzose leitet das wichtige Zivilfluggeschäft mit gut 77.000 Beschäftigten und gilt als Favorit für die Nachfolge von Tom Enders an der Spitze des Gesamtkonzerns 2019. Faury empfängt das Abendblatt in einem Besprechungsraum im A380-Auslieferungszentrum auf Finkenwerder: uneitel, charmant und um überraschende Antworten nicht verlegen. Voilà!
Monsieur Faury, wie häufig sind Sie schon am zweitgrößten Airbus-Standort in Hamburg gewesen, und wie gut kennen Sie die Hansestadt?
Guillaume Faury: Ich bin erst seit wenigen Monaten der Leiter der Zivilflugzeug-Sparte und ich reise derzeit sehr viel, um mich mit den verschiedenen Standorten dieses Unternehmensbereichs und mit den bedeutenden Zulieferern vertraut zu machen. Im Hamburger Werk bin ich bisher dreimal in drei Monaten gewesen. In der Innenstadt habe ich erst einen Abend verbracht. Es liegt also noch vor mir, Hamburg zu entdecken. Eine Verbindung gibt es allerdings auf jeden Fall: Hamburg ist eine Stadt der Segler. Ich stamme aus der Normandie und bin ebenfalls Segler.
Wie wettbewerbsfähig ist das Werk in Hamburg, verglichen mit anderen Standorten des Ziviljet-Bereichs?
Das ist schwer zu vergleichen, weil die Werke einen unterschiedlichen Zuschnitt haben. Hamburg ist der wichtigste Standort für den Bau der Kurz- und Mittelstreckenjets von Airbus – und der sehr große Auftragsbestand für die Flugzeuge der A320-Familie deutet auf eine hohe Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu unserem Hauptkonkurrenten hin. Ich habe aber auch gelernt, dass Momentaufnahmen nicht das Wichtigste sind. Wir liefern uns ein Rennen mit unserem Wettbewerber über eine lange Distanz, und das Marktumfeld kann sich schnell wandeln. Darauf müssen wir uns immer wieder neu einstellen.
Airbus hat derzeit 12.700 fest angestellte Mitarbeiter in Hamburg. Wird die Zahl in diesem oder im nächsten Jahr steigen?
Sie wird weitgehend stabil bleiben, obwohl die Produktion wächst. Wir sind uns sicher, dass die Luftfahrt auch auf längere Sicht eine Wachstumsbranche bleibt. Um diesen Aufwärtstrend herum gibt es aber immer wieder Schwankungen. Hamburg als Kompetenzzentrum für unsere Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge profitiert derzeit vom Aufschwung dieses Marktsegments.
Aber gerade hier gibt es ein Problem: Beide Hersteller der Triebwerke für die A320neo-Jets haben technische Schwierigkeiten und können die Motoren nur mit langen Verzögerungen liefern. Schon rund 100 fertig gebaute Flugzeuge parken in den Airbus-Werken, weil die Triebwerke fehlen. Wie viele werden es am Jahresende sein?
Sie sprechen damit unsere derzeit vielleicht größte Herausforderung an. Denn wir sind gerade dabei, die monatliche Fertigungsrate der A320-Familie von 50 Maschinen im vorigen Jahr auf 60 Flugzeuge ab Mitte 2019 anzuheben. Die Eröffnung der vierten Hamburger Endmontagelinie ist ein wichtiger Hebel für diese Produktionsausweitung. Wir haben uns entschieden, den Hochlauf nicht zu stoppen, obwohl nicht genügend Triebwerke angeliefert werden. Deren Hersteller machen Fortschritte bei der Lösung der technischen Schwierigkeiten – und sie haben mit uns über Aufholpläne gesprochen. Auf dieser Basis erwarte ich, dass zum Jahresende die Zahl der Flugzeuge ohne Motoren fast bei null liegt.
US-Präsident Donald Trump hat das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt. Wird Airbus deshalb den Milliardenauftrag von Iran Air über 100 Flugzeuge verlieren, weil die Jets diverse Komponenten von Zulieferern aus den USA enthalten?
Das stimmt. Und wir werden die neuen Regulierungen befolgen. Zwar warten wir noch auf die Details zu den neuen Sanktionen, sehr wahrscheinlich werden wir aber nicht in der Lage sein, die aus dem Auftrag noch ausstehenden 97 Flugzeuge auszuliefern. Das ist sehr bedauerlich, auch weil Iran Air die Jets jeden Tag dringender braucht, um ältere Maschinen in der Flotte zu ersetzen.
Präsident Trump hat außerdem Importzölle auf Stahl und Aluminium aus Europa verhängt und lässt darüber hinaus solche Zölle auf Autos prüfen. Befürchten Sie, dass US-Kunden künftig auch Zölle auf Airbus-Flugzeuge zahlen müssen, zumal man sich mit Boeing vor der Welthandelsorganisation über Subventionen streitet?
Von möglichen Zöllen auf Flugzeuge habe ich noch nichts gehört. Die Luftfahrt ist naturgemäß eine globale Branche, und wir treten für freien Handel ein. Bisher sehe ich keinen merklichen Einfluss von protektionistischen Maßnahmen auf unsere Branche.
Bis Ende Mai hat Airbus nach Abzug von Stornierungen erst Aufträge über 111 Flugzeuge erhalten; im Gesamtjahr 2017 waren es 1109 Bestellungen. Kündigt sich ein Abschwung in der Branchenkonjunktur an?
Der Auftragseingang in den ersten fünf Monaten war zwar gering. Aber die Zahl liegt höher als zur gleichen Zeit im vorigen Jahr – und 2017 ist dann noch ein gutes Jahr geworden. Wir sind uns sicher, dass der Markt weiter wachsen wird. Der Luftverkehr dürfte sich in den nächsten 15 Jahren verdoppeln.
Wie viele Jahre wird es nach Ihrer Einschätzung noch dauern, bis man in einem Elektro-Flugzeug von Hamburg nach Mallorca reist?
Zweifellos wird sich der Wandel hin zu erneuerbaren Energien auch auf den Luftverkehr auswirken. Die Herausforderungen sind aber größer als bei Straßenfahrzeugen. Ich kann mir vorstellen, dass in zehn Jahren, vielleicht auch etwas später, elektrisch angetriebene Flugzeuge mit bis zu 50 Passagierplätzen auf Kurzstrecken unterwegs sein werden. Für Langstrecken wird man wohl auf Hybridtechnologie setzen, aber diese Entwicklung kommt später.
Und wann fliegt das erste Elektro-Lufttaxi durch Hamburg?
Ich bin mir sicher, dass es noch in unserer Lebenszeit in einigen Städten Elektro-Lufttaxis geben wird. Sehr wahrscheinlich wird Hamburg als Luftfahrtstandort da mit dabei sein.
Und wie lange wird es noch dauern, bis man ganz ohne Piloten im Cockpit nach Mallorca fliegt?
Dazu gibt es eine Zahl, die ich als sehr wichtig ansehe: Bisher sind in der Geschichte des Luftverkehrs 200.000 Piloten ausgebildet worden, für die nächsten 20 Jahren wird man aber 600.000 weitere benötigen. Es dürfte nicht einfach sein, diesen Personalbedarf zu decken. Schon daher wird man in den nächsten Jahrzehnten auf Cockpits mit nur noch einem Piloten – bisher sind es in Passagierjets immer zwei – übergehen. Dieser Pilot wird dann nur noch die Automatik überwachen. Wann es rein automatisch gesteuerte Flüge geben wird, ist auch eine Frage der Akzeptanz in der Öffentlichkeit. In zehn Jahren werden sich die Menschen vielleicht schon daran gewöhnt haben, von autonomen Autos gefahren zu werden.
Der erste A380 wird demnächst nach nur zehn Jahren im Liniendienst verschrottet, die Nachfrage nach dem doppelstöckigen Mega-Flieger war sehr viel geringer als ursprünglich erwartet. War das A380-Programm also ein Fehlschlag?
Nein. Zwar war der wirtschaftliche Erfolg nicht so groß, wie man sich erhoffte. Dennoch glauben wir weiter daran, dass dies ein großartiges Flugzeug ist. Es ist ja auch bei den Passagieren sehr beliebt. Wir sind außerdem sicher, dass eines Tages der eigentliche Vorteil dieses Jets noch zum Tragen kommen wird: Wenn immer mehr der großen Luftverkehrs-Drehkreuze an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, werden Flugzeuge, die 500 oder mehr Passagiere mit einem einzigen Start befördern, gefragt sein. Darum war es so wichtig, dem A380-Programm durch den Emirates-Auftrag vom Februar die Zukunft zu sichern.
Sie haben von 2010 bis 2013 als Top-Manager für den Autobauer Peugeot gearbeitet. Wie viel von dem, was Sie dort gelernt haben, lässt sich auf Airbus übertragen?
Das sind viele Dinge. In der Autobranche herrscht ein extrem hoher Wettbewerb, und das Tempo, in dem Verbesserungen in die Verfahren und Produkte einfließen, hat mich beeindruckt. Natürlich lassen sich die Produktionsverfahren wegen der sehr unterschiedlichen Stückzahlen nicht direkt aus der Autoindustrie auf den Flugzeugbau übertragen. Doch wie man gerade hier in Hamburg in der neu eröffneten Endmontagelinie sieht, ist auch bei Airbus ein höherer Grad an Automatisierung und ein verstärkter Einsatz von Robotern möglich.
Viele Branchenkenner erwarten, dass Sie im nächsten Jahr zum Nachfolger von Tom Enders als Chef der Airbus-Gruppe aufsteigen werden. Was sind Ihre Pläne?
Für mich geht es darum, die jetzige Aufgabe gut zu erfüllen. Herausforderungen gibt es aktuell genug, und ich widme mich diesen mit ganzem Einsatz. Ich habe vor 20 Jahren angefangen, bei Airbus zu arbeiten – damals in der Hubschrauber-Sparte –, und ich mag dieses Unternehmen sehr. Es ist für mich wichtig, den Zivilflugzeugbau sehr gut kennenzulernen. Es dauert ja auch noch eine Weile, bis die Entscheidung über die Nachfolge von Tom Enders fällt. Aber wenn es so weit ist und wenn der Verwaltungsrat denkt, dass ich einen Beitrag leisten kann, dann weiß er, wo ich zu finden bin.