Hamburg. Innensenator Grote kündigt überraschend Einführung an – auch als Lehre aus G 20. Gewerkschaften sprechen von Wortbruch.

Es ist ein innenpolitischer Paukenschlag: Alle Hamburger Polizisten werden in Zukunft individuell mit einer Nummer gekennzeichnet, um eindeutig identifizierbar zu sein. Das hat Innensenator Andy Grote (SPD) überraschend verkündet. Die Kennzeichnungspflicht soll eindeutig in einem Gesetz festgeschrieben werden. Parlamentarier und Polizeigewerkschafter fühlen sich übergangen – sie üben massive Kritik an der Entscheidung.

Unter der Überschrift „Modernisierung“ verkündete Grote die geplante Kennzeichnungspflicht bei einem Pressegespräch. Er wisse, dass es darum eine „hoch emotionale Debatte“ gebe. Zuletzt waren individuelle „Nummernschilder“ für Beamte im Zusammenhang mit möglicher strafbarer Polizeigewalt beim G-20-Gipfel im Gespräch – ohne eine entsprechende Kennzeichnung konnten elf verdächtige Beamte von den internen Ermittlern bisher nicht identifiziert werden.

Nach der bisherigen Regelung tragen zwar 80 Prozent der Beamten auf freiwilliger Basis ein Namensschild im alltäglichen Dienst, bei Demonstrationen bleiben die Polizisten aber in der Regel anonym.

Individuelle Kennzeichnung zeitgemäß

Grote verweist darauf, dass eine individuelle Kennzeichnung zeitgemäß sei. „Eine Bereitschaftspolizei, die modern, transparent, offen und Bürger zugewandt auftritt, kann auch bei geschlossenen Einsätzen individuell gekennzeichnet sein“, sagt der Innensenator. Es gebe zwar viele Gründe, die gegen eine Kennzeichnungspflicht sprächen. Man könne es aber auch als „gute Idee“ ansehen.

Grote beruft sich bei seiner Einschätzung auf die „geänderte gesellschaftliche Erwartung“ an die Polizei. „Dort wo einem die Staatsmacht gegenüber steht und auch in Grundrechte eingegriffen wird, da will man auch den Beamten erkennen können“, sagt Grote. Das habe nichts mit Misstrauen gegenüber den Beamten zu tun, als dessen Ausdruck die Polizeigewerkschaften seit Jahren eine individuelle Kennzeichnung sehen. „Das ist ein Selbstverständnis und das Selbstbild, das wir haben.“

Flankiert von Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und Schutzpolizei-Chef Hartmut Dudde sagte Grote, Man habe sich „zu dritt“ vor Augen geführt, wie sich der politische Streit darüber in den kommenden Monaten weiter entwickeln würde.

Zuletzt war das Thema auf Bürgerschaftsebene behandelt worden. Als Justizsenator Till Steffen (Grüne) im Gespräch mit dem Abendblatt für eine Kennzeichnung eintrat, wurde er daraufhin scharf von seiner Parteifreundin Antje Möller in die Schranken gewiesen. Nach einer entsprechenden Expertenanhörung im Rathaus hatte die SPD ursprünglich bis zum Spätsommer über ihre Haltung entscheiden wollen. Dem kam Grote nun zuvor.

Es sei besser, „nach vorn zu gehen und das Thema ein Stück weit abzuräumen“, rechtfertigte der Innensenator den Zeitpunkt der Entscheidung. Man wolle nicht den Eindruck erwecken, die Polizei würde sich gegen die Kennzeichnungspflicht wehren, von der Grote glaubt, dass ein Großteil der Bevölkerung sie befürwortet.

Scharfe Kritik folgte jedoch sofort.„Das ist ein unglaubliches Verhalten“, sagt ein hörbar verärgerter Dennis Gladiator (CDU). Man habe die völlig falsche Lehren aus den gewalttätigen Ausschreitungen gezogen. Während die Rote Flora völlig unbehelligt weiter agieren könne, würde der Polizei die gerade aus deren Umfeld propagierte Kennzeichnungspflicht aufgedrückt. „Hier fällt der Senator der Polizei aus politischen Gründen in den Rücken“, sagt der Innenpolitische Sprecher der CDU. Joachim Lenders, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) ist nach eigenem Bekunden „maßlos enttäuscht“.

Grüne feiern Einführung als eigenen Erfolg

Unterstützung bekam Grote von Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. Er geht davon aus, dass gegen das „Trugbild“ angegangen würde, dass eine fehlende Kennzeichnung auch die Aufklärung von polizeilichem Verhalten behindern würde. Wie die jüngste Expertenanhörung im Rathaus ergab, gibt es durch individuelle Nummern auf Brust oder Rücken der Beamten in anderen Bundesländern weder einen signifikanten Vorteil für die internen Ermittler, noch negative Erfahrungen – etwa in Form von vermehrten Falschanzeigen.

Die Einführung in Hamburg ist vor allem ein politischer Erfolg für die Grünen. „Wir haben diese Kennzeichnungspflicht in den rot-grünen Koalitionsvertrag hineinverhandelt“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Fraktion, Antje Möller. Eine Kennzeichnung sei auch im Lichte der G-20-Aufklärung „richtig und wichtig“. Auch die Linke und die FDP traten für die Nummernschilder auf Uniformen ein.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist wütend und schrieb einen offenen Brief an Grote. Erst habe er mit einer „offensichtlichen Fehlentscheidung“ den G-20-Gipfel nach Hamburg geholt und die Polizisten in einen extremen Einsatz geschickt – „und das ist nun ihr Dank“. Die GdP wünscht sich den ehemaligen Bürgermeister zurück – auf das Wort von Olaf Scholz habe man sich „wenigstens noch verlassen“ können.

Neue Abteilung

Mit der Kennzeichnungspflicht verkündete der Senator auch einen Ausbau der Bereitschaftspolizei. Sie soll in zwei Abteilungen, in die klassische Bereitschaftspolizei und den Teil mit speziellen Befähigungen unterteilt werden. Kern der neuen zweiten Abteilungen wird eine Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft sein. Dafür werden 40 zusätzliche speziell geschulte Beamte in einem sogenannten Zug zusammengefasst, die durch gewalttätige Demonstranten von Dächern holen können.