Hamburg. Europäisches Urteil fordert: Beamte im Einsatz müssen identifizierbar sein. Koalition ringt um eine Lösung.
Gut vier Monate nach dem größten Hamburger Sicherheitseinsatz aller Zeiten beim G-20-Gipfel ist die Diskussion über eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte neu entflammt. Anlass ist ein aktuelles Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Darin stellen die Richter fest, dass Polizisten, wenn sie Gewalt einsetzen, nachträglich identifizierbar sein müssen.
Verhandelt hatten die EGMR-Richter die Klage von zwei Münchner Fußballfans, die sich 2007 grundlos von Polizisten verprügelt sahen. Sie hatten durch alle Instanzen geklagt, die verantwortlichen Beamten wurden aber nie ermittelt. Das rügten die Richter scharf. Sie forderten zwar nicht direkt eine Kennzeichnungspflicht, stellten aber fest, dass es nicht sein dürfe, dass Beamte nicht identifizierbar seien und bei Übergriffen straffrei ausgingen.
Rot-Grün will eine Kennzeichnung
In Hamburg gibt es keine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte im Einsatz. Die Grünen fordern diese, die SPD ist eher zurückhaltend. Im Koalitionsvertrag einigte man sich 2015 auf die Ankündigung, „Gespräche mit den Polizeigewerkschaften aufzunehmen, um zu prüfen, ob und wie eine Kennzeichnungspflicht auch bei der Hamburger Bereitschaftspolizei eingeführt werden kann“. Bisher hat sich in dieser Sache allerdings nichts getan – das könnte sich durch das Urteil ändern.
„Das Urteil hat eine klare Botschaft: Zum rechtsstaatlichen Handeln gehört auch dessen Überprüfbarkeit“, sagte Grünen-Innenpolitikerin Antje Möller dem Abendblatt. „Dafür müssen die grundlegenden Voraussetzungen vorhanden sein, und die individuelle Erkennbarkeit der Polizeikräfte gehört dazu.“ Das Urteil gebe „für diesen nicht immer einfachen Prozess neuen Anschub und könnte den Entscheidungsprozess innerhalb der Koalition beschleunigen“, so Möller. „Denn es stärkt das Argument, dass das Allgemeininteresse an der Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns nicht als ungerechtfertigter Generalverdacht gegen die Polizei zu werten ist.“
SPD-Innenpolitiker Sören Schumacher sagte, man werde sich den Richterspruch jetzt sorgfältig ansehen und in die Meinungsbildung einfließen lassen. In der Innenbehörde von Senator Andy Grote (SPD) gibt man sich ähnlich zurückhaltend. „Die Entscheidung des Gerichts stellt nach derzeitiger Einschätzung erst mal nur eine Empfehlung dar“, sagte Grotes Sprecher Frank Reschreiter. „Die inhaltliche Argumentation ist aber nicht neu. Klar ist, dass sich auch Polizisten für ihr Verhalten verantworten müssen. Die Identifizierbarkeit der Beamten muss natürlich gewährleistet sein. Das ist uns in Hamburg bisher auch immer gelungen. Deswegen können wir die Debatte um die Kennzeichnungspflicht auch ganz unaufgeregt führen.“
Polizeigewerkschaften wehren sich
Die Polizeigewerkschaften dagegen wehren sich nach wie vor energisch gegen eine individuelle Kennzeichnung von behelmten Beamten. Wie es von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) heißt, könnte die „Berufsmotivation“ der Beamten unter einer Kennzeichnung leiden. „Bei einer Demonstration mit gewaltbereiten Teilnehmern würden sich die Polizisten vermutlich eher zurückhaltend verhalten – weil sie verhindern wollen, dass sie grundlos für etwas beschuldigt werden“, sagte der DPolG-Landeschef Joachim Lenders. Polizisten seien häufiger falschen Anschuldigungen ausgesetzt. Zudem dürfe man die Rollen im Einsatz nicht verdrehen: Die Polizei sei nicht der Ursprung von Krawall, sondern sichere Demonstrationen ab.
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Gerhard Kirsch, zeigt ebenfalls eine harte Haltung: „Eine Kennzeichnungspflicht hat keinen praktischen Nutzen, sie drückt nur ein grundlegendes Misstrauen gegenüber Polizisten aus. Das ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen.“ Man sei trotzdem gesprächsbereit.
Der Bundesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, André Schulz, schrieb bei Facebook, das Urteil komme nicht überraschend. „Ehrlich gesagt spricht meiner Meinung nach nichts gegen eine Kennzeichnung mit Namensschild oder individueller Nummer. Die meisten Kolleginnen und Kollegen haben auch nichts dagegen, wenn man sie direkt befragt.“ Auch Kripobeamte würden ihren Namen zu jeder Zeit nennen.
Kaum valide Daten
Während die Staatsanwaltschaft bereits vor mehreren Jahren durchblicken ließ, kein grundsätzliches Problem mit einer Kennzeichnung zu haben, spielt sie beim Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) in der Praxis offenbar keine herausragende Rolle. Anhand von Videoaufnahmen und Befragungen ließen sich bestimmte Beamte in aller Regel identifizieren, sagte der DIE-Chef Georg Krüger bereits im Sommer. „Größere Mühe bereitet uns häufig, die Opfer von möglichen Straftaten durch Beamte zu identifizieren“, sagte Krüger damals – dabei sei dies elementar für die Aufklärung der Vorwürfe.
Bislang gilt in acht von 16 Bundesländern eine Kennzeichnungspflicht, darunter Schleswig-Holstein. In Berlin haben sich Befürchtungen vor Einführung der Kennzeichnung nicht bestätigt – andersherum gibt es kaum valide Daten darüber, dass eine Kennzeichnung einen messbaren positiven Effekt hat. In Hessen etwa gab es nur wenige Anzeigen mit Bezug auf die Beamtennummer, insgesamt ging die Zahl der Anzeigen gegen Polizisten seit der Einführung im Jahr 2014 zurück.