Hamburg. Aleix Martínez agiert erstmals in einer Hauptrolle in der Staatsoper. Ein Mann, der Ballett fühlt und jetzt in der ersten Reihe tanzt.

Auch wer eher selten den Weg ins Hamburg Ballett findet, dem ist Aleix Martínez sicher schon aufgefallen. Ein drahtiger Tänzer mit klugem offenen Blick, sichtlichem Bewegungstemperament und längerem Blondschopf, der angesichts der beachtlichen Sprungkraft des Spaniers mächtig in Bewegung gerät.

Martínez hat sich über etliche größere und Nebenrollen zuletzt in „Turangalila“ und „Don Quijote“ bis ganz nach vorn getanzt. In die erste Reihe. Er verkörperte bereits einen eigenwilligen, zwischen sensibel und selbstverliebt schwankenden Nijinsky in John Neumeiers gleichnamigem Ballett, überzeugte außerdem in „Liliom“ und „Messias“. Nach seinem Auftritt im „Weihnachts-Oratorium“ wurde der Gruppentänzer 2014 zum Solisten. Am 24. Juni steht er nun in seiner ersten Hauptrolle auf der Bühne der Staatsoper: in John Neumeiers Choreografie „Beethoven-Projekt“.

Er verkörpert Beethoven und Prometheus

Derzeit ringt Martínez täglich mit der klaren, kraftvollen Musik des Komponisten Ludwig van Beethoven. „Die Musik kommt so recht von innen heraus. Ich kann mein Tanzvokabular ganz instinktiv einfließen lassen“, sagt Martínez nach einem weiteren langen Probentag mit scheinbar mühelosem Lächeln. Über das „Beethoven-Projekt“, so der zum Thema des Abends gewachsene Arbeitstitel, ist noch wenig bekannt. Abstraktion wird auf der Bühne vorherrschen. Purismus. „Es ist schwer, in Worte zu fassen, aber man muss es sich als ein visuelles Gedicht vorstellen, inspiriert von Beethovens Leben und seiner Musik“, erläutert Martínez.

„Das Ballett ist wie ein Traum angelegt. Mit vielen inhaltlichen Sprüngen. Ein wenig wie ein Film von Federico Fellini, surreal.“ Martínez wird darin verschiedene Motive als eine Art Wiedergänger Beethovens tanzen. „Ich verkörpere Beethoven, aber zum Beispiel auch Prometheus aus Beethovens Ballett ,Die Geschöpfe des Prometheus‘“.

Der Abend basiert auf Fragmenten, Emotionen, Bewegungen. Außer dem Ballett werden die „Eroica“-Variationen und Beethovens Dritte Sinfonie sowie Klaviermusik aufgeführt. Neumeier greift damit dem großen Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 vor. „Die Geschöpfe des Prometheus“, 1801 am Wiener Hofburgtheater aufgeführt, folgt einer heroisch-allegorischen Handlung. Prometheus, aus dem Geschlecht der Titanen stammend, raubt den Göttern zum Missfallen von Göttervater Zeus das lebensspendende Feuer, um es den Menschen zu bringen. Er steht dabei für eine Wesenheit, die dem Menschen zu Sittlichkeit verhilft mit den Mitteln Wissenschaft und Kunst.

Tänzer wollte er schon mit sechs werden

Interessant ist das Werk, dessen Libretto und Choreografie von Salvatore Viganò verschollen sind und daher rekonstruiert werden müssen, wegen der zahlreichen Anspielungen, die sich gegen das System des Absolutismus richten. Beethoven galt als erster Komponist, der selbstbestimmt arbeitete und nicht von der Gunst eines Fürsten abhängig war. Vor allem eine in all den Werken wiederkehrende Tanzmelodie spricht, als Kontretanz angelegt, von Beethovens demokratischer Gesinnung. „Man muss es sehen, fühlen, ohne eine klare Erklärung zu suchen“, sagt Martínez. „Wir erzählen keine lineare Geschichte. Wir forschen an einer Stelle, dann geschieht etwas Unvorhergesehenes.“ Eine Arbeitsweise, die dem in­stinktsicheren 26-Jährigen entspricht.

Aleix Martínez kann sich an ein Leben ohne Tanz nicht erinnern. Schon als Kind hatte er einen starken Bewegungsdrang. Seine Eltern, die ein eigenes Geschäft in Barcelona führen, konnten mit dem Berufswunsch, der sich bereits bei dem Sechsjährigen regte, zunächst nichts anfangen, unterstützen ihn aber bis heute.

John Neumeier entdeckte ihn bei einem Wettbewerb

Die Stationen: Escuela Ballet David Campos in Barcelona, mit 13 Jahren weitere Studien an der Ballettschule Studio Ballet Colette Armand in Marseille. Bei jedem Lehrer von David Campos über Patrick Armand bis später Kevin Haigen an der Ballettschule in Hamburg lernte Martínez neue Zugänge zum Ballett. Und kreierte auch schon bald eigene Stücke. Die Anfänge seien hart gewesen, sagt er, „die klassische Ausbildung ist die Basis. Dann kann ich erkunden, wie man Regeln auch wieder bricht.“

2008 nahm er am Tanzwettbewerb Prix de Lausanne teil – und gewann mit der Darbietung von John Neumeiers „Spring and Fall“. Der Choreograf selbst saß in der Jury und nahm Martínez gleich mit nach Hamburg in seine Ballettschule, an der er seine Ausbildung beendete und seit 2010 Teil des Hamburg Balletts ist. Was wusste er über Hamburgs legendären Ballettchef? Gar nichts, sagt Martínez gnadenlos ehrlich.

Dabei erinnerte er sich später daran, dass er einst „Sylvia“ auf DVD angeschaut hatte und schon damals von der Kreation fasziniert war. Die Anfänge in Hamburg, wo er in der Nähe des Ballettzentrums lebt, seien hart gewesen. Nicht nur an das Wetter, auch an die Mentalität der Hamburger musste sich Martínez gewöhnen.

Inzwischen ist er längst angekommen. Ob er nun im Corps de Ballett oder als Principal agiert, jede Rolle erfüllt er mit vollem Einsatz. Dafür trainiert er täglich von 10 bis 17.30 Uhr. „Ich habe nie etwas geplant, sondern einfach alles angenommen, was auf mich zukam“, sagt Aleix Martínez. Und bislang kann das nicht so falsch gewesen sein.

„Beethoven-Projekt“ Premiere So 24.6., 18.00, Staatsoper, Karten zu 8,- bis 195,- unter T. 35 68 68; www.hamburgballett.de