Hamburg. Hendrik Brinksma, neuer Präsident der TU Harburg, soll die Ingenieurschmiede für die Zukunft fit machen

Von seiner Wohnung in der HafenCity blickt Ed Brinksma auf das imposante Gebäude des Maritimen Museums und weitere historische Speicher; er sieht aber auch die Innenstadt. „Diese Mischung aus Alt und Neu, das gefällt mir“, sagt der Niederländer in fließendem Deutsch. Ein Areal mit Tradition, das zugleich für Aufbruch steht und Aufmerksamkeit auf sich zieht – das passt zu Brinksmas neuer Aufgabe und seinen Ambitionen.

Seit 30 Jahren ist der Informatiker Professor. Von 2009 bis 2016 führte er als Präsident die holländische Universität Twente. Für seine Verdienste verlieh ihm die damalige Königin Beatrix einen Orden. Dann verbrachte Brinksma ein Sabbatjahr am ehrwürdigen Stevens ­Institute of Technology in New Jersey und in Singapur. Anschließend hätte er Bücher schreiben und seine Karriere unaufgeregt ausklingen lassen können.

Der Mann braucht auch mit noch 60 Herausforderungen

Doch dann rief ein Headhunter aus Hamburg an. Und weil Brinksma auch mit 60 noch „Herausforderungen braucht“, wie er mit seiner kräftigen, dunkeln Stimme sagt, hat er einen Job angenommen, für den er nicht die erste Wahl war. Für den er nun meist sonntags von seinem Haus im niederländischen Enschede aus mit dem Auto mehrere Stunden nach Hamburg fahren muss, um dann unter der Woche hier zu arbeiten, an einer kleineren Wirkungsstätte als früher, aber in einer Position, die ihm erneut viel Verantwortung beschert.

„Vor Ihnen sitzt ein glücklicher Mensch“, sagte er Anfang Februar bei seinem Amtsantritt als neuer Präsident der Technischen Universität Hamburg in Harburg (TUHH). Ihm biete sich eine „chancenreiche Ausgangslage“. Ein Jahr zuvor hatte der bereits als TUHH-Präsident gewählte Biochemiker Dieter Jahn überraschend abgesagt – er blieb lieber Vizepräsident an der TU Braunschweig. Ed Brinksma hingegen findet, dass er genau richtig ist in Hamburg.

Der Hauptgrund für seine Zuversicht: Bis 2022 will der Senat das Budget von Hamburgs drittgrößter Hochschule um 19 Millionen Euro aufstocken und 15 zusätzliche Professoren einstellen. Die Zahl der Studierenden soll von aktuell 7832 bis auf 10.000 steigen.

Sein Ziel: Innovationsmotor für Hamburg schaffen

Schon im Februar machte Brinksma zwar klar, dass die TUHH langfristig mehr Geld brauchen werde als die zugesagte Budgeterhöhung, wenn sie zu den neun führenden Technischen Universitäten in Deutschland (TU9) aufschließen soll, wie der Senat es sich wünscht. Aber er sei da zuversichtlich, sagte er. „Wenn es gute Pläne für die TUHH gibt, wird die Stadt auch zusätzliche Mittel bereitstellen.“

An einem warmen Montag im Mai eilt Brinksma mit Sonnenbrille in das für 30 Millionen Euro umgebaute Hauptgebäude der TUHH und zeigt, dass er nichts an Elan und Ehrgeiz verloren hat. „Ich möchte erreichen, dass die TU als einer der wichtigsten Innovationsmotoren in Hamburg gesehen wird“, sagt er.

Noch ist die TUHH zu klein, um große Sprünge zu machen: 94 Professoren arbeiten dort – an der TU München und der RWTH Aachen etwa sind jeweils fast 550 Professoren beschäftigt.

Noch klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander

„Aus dem Stand unter die Besten der Welt“, jubelte die Pressestelle der TUHH Anfang Juni. In einem Ranking des britischen Fachmagazin „Times Higher Education“ (THE) habe es die TUHH auf Platz 67 unter 250 teilnehmenden Universitäten aus 55 Ländern geschafft – alles Hochschulen wohlgemerkt, die jünger als 50 Jahre alt sind. Im klassischen THE-Ranking schafft es die TUHH nicht unter die ersten 400.

Gleichwohl gibt es Spitzenforschung in Harburg, und es gibt preisgekrönte Studienangebote: So kürte etwa der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft kürzlich ein Bachelor-Projekt der TUHH zur „Hochschulperle des Jahres 2017“. Und vor allem dank des finanziellen Aufwuchses sollte bald noch mehr gehen in der Forschung und in der Lehre, sagt Ed Brinksma. Die Hansestadt brauche eine ihrer Größe angemessene Technische Universität, wie Berlin und München sie haben. Wie weit es die TUHH bringen könnte, habe aber „auch mit dem Fokus auf die richtigen Themen zu tun, mit guter Organisation und bestmöglicher Kooperation zwischen Forschern“, sagt der Präsident.

Der Hochschulchef möchte mehr Master-Studenten anlocken

Gar „riesiges Potenzial“ sieht Brinksma bei Kooperationen mit der Wirtschaft. „Für eine Technische Universität ist es eine tolle Sache, wenn man eine Metropole vor der Tür hat“, sagt der Niederländer. Seine frühere Wirkungsstätte, die Universität Twente, liege zwar in einer industriellen Region. „Aber ich war immer etwas eifersüchtig auf Kollegen in Delft und Eindhoven, die mit erheblich mehr Unternehmen vor Ort kooperieren konnten.“ Innerhalb von 20 Jahren habe die Universität Twente gleichwohl zu mehr als 900 Firmengründungen beigetragen und so rund 10.000 Jobs geschaffen. „In der Region Hamburg sollte sehr viel mehr möglich sein“, sagt Brinksma.

Eine unternehmerische Haltung müsse dabei nicht im Widerspruch zur Freiheit der Forschung stehen: „Die Zusammenarbeit mit Unternehmen hat es uns an der Universität Twente ermöglicht, Forschungen zu betreiben, die vorher nicht denkbar waren.“ Und: „Wenn man Wissen anwendet, kommen auch neue Fragen für die Wissenschaft zurück.“

In der Lehre sind Brinksma die grundlegenden Bachelor-Studiengänge zwar sehr wichtig, wie er sagt. Aber der Hochschulchef möchte künftig mehr Master-Studenten anlocken, weil diese schneller zu ihrem Abschluss kommen und damit schneller verfügbar für die Wirtschaft seien oder promovieren könnten, um Forschung zu betreiben. „Für unseren internationalen Ruf ist die Ausbildung von Master-Studenten eher entscheidend.“

Kontaktpflege auch im Schützenverein

Leicht wird es dennoch nicht für Brinksma – die Beharrungskräfte an Hochschulen können erheblich sein. Der 60-Jährige kann jede Unterstützung brauchen, darum zeigt er sich nahbar und wissbegierig. „Ich finde es wirklich interessant zu verstehen, wie das hier läuft“, sagt Brinksma. Klingt nach einer Plattitüde, ist aber ernst gemeint.

Den Studierenden hat der Präsident kürzlich in einer Vollversammlung das "Du“ angeboten – sein Vorgänger, der freundlich-sympathische, aber vergleichsweise förmliche Biologe Garabed Antranikian hatte da ein anderes Rollenverständnis. Vielleicht sei die Distanz zwischen Präsident und Studierenden früher zu groß gewesen, sagt Brinksma. Es sei „nur ein Gefühl“, aber zwischen den Statusgruppen gebe es mehr Abgrenzung, als er es in Holland erlebt habe. Man müsse einander mehr zuhören, es müsse mehr Durchlässigkeit geben, sagt er. „Das Wir-Gefühl an der TUHH könnte noch stärker ausgeprägt sein.“

Grund zum Feiern hat Brinksma am Montag

Wohin sich die TUHH-Gemeinschaft entwickeln könnte, hat Brinksma zuletzt auch schon mal bei einem Mittagessen mit Studierenden und Mitarbeitern in der Mensa diskutiert – anschließend veröffentlichte er Fotos von dem Treffen bei Twitter.

Rührig ist der Präsident auch außerhalb der Hochschule. Beim Industrieverband Hamburg hat er sich natürlich längst vorgestellt. Er besuchte den Festakt zum 65-jährigen Bestehen der Jungheinrich AG in der Elbphilharmonie. Und selbstverständlich folgte Brinksma der Einladung der Harburger Schützengilde von 1528 zum Königsessen im Privathotel Lindtner. In der Gilde ist nämlich fast jeder Mitglied, der Rang und Namen hat in Harburg.

Mensa erhält eine neu Technik

Grund zum Feiern hat Brinksma am kommenden Montag: Im Harburger Binnenhafen wird der Grundstein für den Hamburg Innovation Port gelegt. Das Technologiezentrum soll für 2500 Menschen fast 60.000 Quadratmeter Nutzfläche bieten: Büros, Labore und Konferenzzonen. Als Hauptmieter des ersten Abschnitts vorgesehen ist die TUHH.

Mehr Platz geben könnte es zwar auch in der Mensa der Hochschule. Aber immerhin erhält sie nun neue Technik: Nach dem Willen von Rot-Grün sind unter anderem Küchengeräte im Wert von 240.000 Euro angeschafft worden.

Apropos Essen: In der HafenCity freut sich Brinksma darüber, dass schon so viele Restaurants eröffnet haben. Mit seiner Frau, die meist mittwochs bis freitags in Hamburg ist, erwandert er sich die Stadt. Er war zwar schon früher oft in der Hansestadt, besuchte das Rathaus, die Innenstadt und viele Museen. Nun aber erhofft er sich Tipps für seine Freizeit, „die man nur erfährt, wenn man Hamburger ist“, sagt er. „Darauf freue ich mich sehr.“

Sein Haus in Enschede will Brinksma nicht aufgeben. Sein 27-jähriger Sohn und seine 15-jährige Tochter leben in den Niederlanden, „ich habe dort viele soziale Verbindungen“, sagt er. Weiterentwicklung ist ihm wichtig – seine Wurzeln sind es ihm aber auch.

Nächste Woche: Burkhard Glashoff, Geschäftsführer Konzertdirektion Goette/Pro Arte