Hamburg. Abendblatt-Redakteur Heiner Schmidt verbannt Kunststoffverpackungen aus seinem Leben. Wo die Tücken liegen.
Eine Woche lang habe ich versucht, nichts zu kaufen und nichts zu verbrauchen, was ganz oder teilweise in Plastik verpackt ist oder war. Das wichtigste Wort in diesem ersten Satz ist „versucht“. Denn in einigen Alltagssituationen ist es mir zwar gelungen, Plastikverpackungen zu vermeiden, aber noch häufiger bin ich gescheitert. An den Umständen, an meinen Mitmenschen, an mir selbst, meiner Unbedachtheit und auch an meiner Bequemlichkeit. Und ja: Ich habe manches etwas auf die Spitze getrieben und mich häufig bewusst in Situationen gebracht, in denen mein Vorsatz scheitern musste. Es ging darum, Alternativen zu finden, es ging aber vor allem darum, herauszufinden und zu erzählen, wie stark Plastik im Alltagsleben präsent ist und dass man ihm nur schwer entgehen kann.
Ich hätte gerne noch ausprobiert, ob es möglich ist, beim Auto einen Ölwechsel machen zu lassen, ohne dass dabei Plastikmüll entsteht. Aber was das Ergebnis gewesen wäre und wie die Leute, die das Öl wechseln, darauf reagieren, wenn ich auf plastikfrei bestehe, kann ich mir auch lebhaft vorstellen. Außerdem: Ein Ölwechsel war einfach nicht fällig.
Warum nur ohne Plastikverpackung? Warum nicht gleich ganz ohne Plastik? Weil es eine Illusion ist, dass das funktionieren könnte. Auf die Schnelle fällt mir nur eines ein, was ich hätte tun können: die Brille (Plastik!) absetzen und eine Woche meditierend im Wald sitzen. Das hätte zu nichts geführt.
Und zu was hat jetzt dieser Selbstversuch geführt? Was habe ich gelernt? Warum gibt es so viel Plastik und welche Alternativen findet man? Wie lässt sich die Verpackungsflut (vielleicht) etwas eindämmen? Was werde ich künftig anders machen?
Plastik ist immer und überall. Die für mich größte Überraschung waren diese Dichtungen aus Kunststoff in den Deckeln von Milch- und Getränkeflaschen. Natürlich wusste ich, dass es die gibt, aber ich hatte nie auch nur einen Gedanken daran verschwendet. Es ist vergleichsweise wenig Material in einem Deckel, doch davon gibt es sehr, sehr viele und es ist ein Beispiel dafür, dass Kunststoffe im Alltag so verbreitet sind, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen. Und selbst wenn es gelingt, etwas plastikfrei Verpacktes zu kaufen, heißt das ja noch lange nicht, dass in der gesamten Herstellungs- und Lieferkette des Produkts nicht doch Plastikabfall entstanden ist. Ich habe also an der Oberfläche gekratzt. Mehr ging nicht.
Es gibt Alternativen, aber ... sie sind teuer und kosten viel Zeit. Ich hatte das Glück, dass ich diesen Versuch in der Arbeitszeit machen konnte. Neben dem Job wäre es nicht gelungen, täglich vier, fünf Geschäfte zu besuchen oder ausgiebig über den Wochenmarkt zu bummeln, um Wurst, Käse oder Krabbensalat in meine eigenen Transportboxen füllen zu lassen. Mittlerweile weiß ich, wo ich was bekomme und brauche deshalb weniger Zeit, Lebensmittel und Dinge des täglichen Bedarfs zu besorgen. Nur werde ich dafür immer mehrere Geschäfte besuchen müssen. Alles in nur einem einzigen Laden besorgen, wie auch ich es gerne tue, das funktioniert nicht.
Die Kosten für plastikfrei verpackte Alternativprodukte sind höher, teils sehr viel höher. Über die einzelne Rolle Toilettenpapier für 2,20 Euro bin ich immer noch nicht hinweggekommen, der Deostift in Recyclingpapier für 7,95 Euro und die Flasche mit 125 Gramm Zahnpasta für 6,95 Euro kommen auf meiner Liste des großen Unverständnisses gleich dahinter. Es gibt Menschen in dieser Stadt, die sich das leisten können und wollen. Die Zahl derjenigen Hamburger, die es sich beim besten Willen nicht leisten können, ist sicherlich größer.
Was ist von kompostierbarem Plastik zu halten? In Supermärkten werden dünne Plastiktüten für Obst und Gemüse angeboten, die aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Zuckerrohr hergestellt werden. In speziellen Kompostanlagen, heißt es, werden die innerhalb von einigen Wochen zersetzt. Auf einem Komposthaufen im Garten dauere das aber ein bis zwei Jahre. Und: Möglicherweise sind die Umweltschäden in den Anbauländern für Zuckerrohr sehr viel größer, als wenn eine in Deutschland hergestellte herkömmliche Plastiktüte hierzulande wieder recycelt wird. Eine Gabel aus Bambus oder aus Aluminium zu benutzen sei umweltschädlicher als eine aus Plastik zu benutzen, sagen Experten. Es kommt also gar nicht so sehr darauf an, unbedingt Plastik zu vermeiden, sondern darauf, die Lösung zu finden, die am wenigsten Umweltschäden verursacht. Diese Lösung kann auch Plastik sein.
Was ist die umweltverträglichste Verpackungslösung? Das lässt sich nur theoretisch beantworten. Umweltverträglich ist, wenn wenig Rohstoffe und wenig Energie bei der Herstellung eingesetzt werden. Umweltverträglicher als der Kauf einer plastikfreien Verpackung ist es auch, schon vorhandene Verpackungen so lange zu benutzen, wie es möglich ist, und dann sicherzustellen, dass sie recycelt werden.
Wie lässt sich die Plastikflut eindämmen? Vorweg: Deutschland steht beim Plastikverbrauch pro Kopf innerhalb der EU im Mittelfeld, hat aber eine vergleichsweise hohe Recyclingquote. Das ist kein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen. Natürlich habe ich kein fertiges Konzept dafür, aber ein paar Gedanken. Damit insgesamt weniger Plastik hergestellt wird (weltweit sind es mehr als 300 Millionen Tonnen pro Jahr) sollte die Produktion verteuert werden. Gleichzeitig sollten Unternehmen, die umweltverträglichere Alternativmaterialien entwickeln und herstellen, unterstützt und gefördert werden. Das ist eine Aufgabe des Staates. Er hat Ähnliches einst bei der Förderung der Atomkraft getan und tut es heute bei alternativen Energiequellen. Wichtig: Das darf nicht einseitig zulasten der Verbraucher gehen. Zudem muss die Recyclingquote erhöht werden. Das heißt: mehr Plastikabfall einsammeln und das Material sinnvoll wiederverwerten. Mal ganz praktisch: Die Mülltonnen unseres Hauses werden zweimal wöchentlich geleert, egal, wie viel Abfall ich in sie stopfe – und ich bezahle dafür einen Pauschalbetrag. Andernorts hängt die Höhe der Jahresgebühr davon ab, wie häufig die Tonnen geleert wurden. Ein starker Anreiz, weniger Müll entstehen zu lassen und den dann gut zu trennen.
Wie geht es jetzt für mich weiter? Ich weiß jetzt viel mehr, aber immer noch viel zu wenig darüber, wie ich Plastikverpackungsmüll vermeiden kann. Bei Wurst, Käse, Brot werde ich sicher im Supermarkt nicht mehr so leichtfertig zugreifen. Stattdessen öfter mal auf dem Wochenmarkt einkaufen und dabei meine Transportboxen benutzen. Obst und Gemüse werde ich nur noch in der Jutetasche transportieren. Bei Milch bleibe ich bei der Glasflasche. Ich weiß zwar jetzt, dass es im Umland Zapfstellen gibt – aber da müsste ich mit dem Auto hin. Dann lieber doch etwas Plastik im Deckel.
Eines noch: Obwohl der Selbstversuch beendet war, habe ich Freitagmorgen noch einen Tagebucheintrag geschrieben:
Freitag, 7.30 Uhr: Am Hausbriefkasten im Erdgeschoss. Ich bin erleichtert, weil das Abendblatt wie an allen Tagen zuvor in meinem Postfach liegt. Aber es gibt Tage, da liegt es in einer Plastiktüte vor der Haustür. Das ärgert mich. Wegen der Tüte und weil ich nicht weiß, warum das so ist. Wahrscheinlich, weil die Zeitung an diesem Tag ein Zusteller brachte, der keinen Haustürschlüssel hatte. Die Tüte soll das Blatt vor Schmutz und Wetter schützen. Ich weiß, dass es Abonnenten gibt, denen es ebenso geht. Ich weiß, dass es welche gibt, die die Zeitung jeden Tag in der Tüte bekommen, und ich weiß, dass es Abonnenten gibt, die das so blöd finden wie ich. Die zuständigen Abteilungen sagen, dass es Leser gibt, die die Zeitung in der Tüte wollen. Die werden ihre Gründe haben. In den anderen Fällen gehe es leider nicht ohne. Sehr oft, weil der Zusteller keinen Schlüssel bekommt. „Wir arbeiten ständig daran“, heißt es in der Logistik. Auch an einer Tüte, die die Umwelt weniger belastet. Leider gebe es noch keine vernünftige Alternative zum vernünftigen Preis. Aber wohl nächstes Jahr sollen Tests mit besseren Tüten beginnen. Ich hoffe, sie sind erfolgreich.
Jetzt muss ich aber schnell auf den Isemarkt. Die Wurstdose ist leer.