Abendblatt-Redakteur Heiner Schmidt verbannt Kunststoffverpackungen aus seinem Leben. Tagebuch, Teil zwei.

Sonnabend, 9.30 Uhr: Heute ist der Tag des Familienfestes. Meine Aufgabe ist es, Brot sowie ausreichend Sekt und zwei, drei Flaschen Wein für die Erdbeerbowle zu besorgen. Das dürfte machbar sein, ohne gegen die Regeln zu verstoßen, nach denen ich seit Freitag leben will: nichts kaufen, was ganz oder teilweise in Plastik verpackt ist, und nichts verbrauchen oder benutzen, was in oder mit Plastik verpackt war.

Soeben habe ich erstmals die Haare mit dieser gestern erworbenen Spezialseife gewaschen. Sicherheitshalber gleich zweimal. Nach dem ersten Waschgang fühlten sich die Haare so dreadlockmäßig an. Jetzt habe ich den Verdacht, sie seien strohig-trocken. Ich werde abwarten, ob es am Abend diesbezüglich Bemerkungen von einer der Frauen auf der Gartenparty gibt. Der aus der ebenfalls gestern gekauften Schwarzkümmelölseife bereitete Rasierschaum erfüllt seinen Zweck.

Wasser aus dem Hahn

Zum Frühstück gibt es vorerst nur Brot mit Margarine und Marmelade. Nachher starte ich den zweiten Versuch, an der Frischetheke Wurst und Käse in eine mitgebrachte Box legen zu lassen. Den Kaffee trinke ich wieder schwarz, bis ich geklärt habe, ob im Deckel der Glasmilchflasche womöglich doch Kunststoff verarbeitet ist. Wasser gibt es vorerst nur noch aus dem Hahn. Diese 1,5-Liter-Plastikflaschen aus dem Schrumpffolien-Sechserpack sind jetzt natürlich ein absolutes No-Go. Eine Kiste Mehrwegglasflaschen in den dritten Stock zu tragen ist erfahrungsgemäß mühselig – außerdem ist der Pfandkasten aus Plastik. Das Hamburger Leitungswasser soll ja gut sein.

Verstoß gegen die Regeln: Die Rasierer-, die Zahnpasta- und die Toilettenpapier-Problematik sind weiterhin nicht gelöst.

10.15 Uhr: Im Buchladen. Das Buch, von dem ich mir viele praktische Tipps erhoffe, heißt „Besser leben ohne Plastik“. Wird bestellt, soll Montag da sein. „Noch besser leben ohne Plastik“ ist auch schon auf dem Markt, aber Teil eins soll mir vorerst genügen. Ich bin ja Anfänger.


10.30 Uhr:
Stehe mit meinen Plastikboxen an der Frischetheke im Supermarkt. Jetzt wird’s langsam komisch. Als ich die Box aus dem Rucksack hole, der Käseverkäuferin zeige und „Geht das?“ frage, sagt sie: „Nein, kann ich nicht machen, darf ich nicht.“ „Warum, Hygiene?“ „Darf ich nicht.“ „Kennen Sie in der Nähe einen Laden, der das macht?“ „Nein, weiß ich nicht. Ist ja eine gute Idee, Papier sparen und so, aber ich darf das nicht.“ Sie meint wohl das mit Folie beschichtete Einschlagpapier. Sie spricht mit leicht gesenkter Stimme, als sei mein Ansinnen irgendwie unanständig. Tja, doof. Immer noch kein Käse und keine Wurst auf dem Brot.

Als ich an der Kasse vorbeikomme, legt eine Familie gerade unter anderem eingeschweißte Frutti di Mare, Heidelbeeren im Plastikbecher und Trauben im Folienbeutel auf das Band. Soll ich ...? Nein, der Gedanke ist schneller verworfen als aufgeschrieben. Ich werde nicht missionieren. Jetzt nicht und auch später nicht. Ich habe keinen pädagogischen Auftrag.


11.15 Uhr:
Im Großmarkt. Der Sektkauf verläuft reibungslos. Sechs Flaschen im Pappkarton. Beim Wein wird’s schon komplizierter. Es dauert etwas, bis ich einen gefunden habe, von dem ich glaube, dass sich unterhalb des Schraubverschlusses nicht Plastik um den Flaschenhals windet.

Verstoß gegen die Regeln: nicht, dass ich wüsste.

16.30 Uhr: Ich bin schon eine halbe Stunde vor Beginn des Familienfestes am Ort des Geschehens, um die Lage zu sondieren. In den Gesprächen mit den anderen Gästen, die Grillgut, Getränke und Gemüse herangeschafft haben, bestätigen sich meine schlimmsten Befürchtungen. Für mich wird es eine Party der Entbehrungen. Die Würstchen – eingeschweißt in Plastik. Die Steaks auch. Auf die erfahrungsgemäß sensationellen Erdbeertorten der Gastgeberin werde ich ebenfalls verzichten müssen. Zunächst gibt es noch etwas Hoffnung, denn in der Kellerküche stapeln sich die Pappkörbchen, in denen die Früchte lagen. Aber: Die Sahne kommt aus dem Tetrapack. Und der hat einen Deckel aus welchem Material? Genau! Außerdem stellt sich heraus, dass ich beim Sektkauf zu leichtgläubig war. Dieser kleine Faden, mit dem man die Aluhülle über dem Korken aufreißt, ist natürlich – aus Plastik. Mist!

Als ich erkläre, nach welchen Grundsätzen ich derzeit lebe und was ich deshalb nicht kann und darf, ernte ich Reaktionen, die zwischen „Ja, gute Idee. Aber muss das heute auch sein?“ und „Na dann, viel Spaß!“ liegen. In ein, zwei Gesichtern lese ich die nur noch rhetorische Frage „Ist er jetzt endgültig verrückt geworden?“ Immerhin: Die Frau, die die Antipasti gebraten hat, glaubt plötzlich, sich zu erinnern, dass sie die Zucchini und die Champignons in einer Papiertüte aus dem Laden getragen hat. Ich glaub’s gern. Sonst gäbe es für mich wirklich nur Brot mit selbst gerührter Kräuterbutter.


19.30 Uhr: Auf den Tellern neben meinem liegen Würstchen und Steaks, die Bowlegläser werden regelmäßig nachgefüllt. Ich gönne mir ein Bier, obwohl auf der Innenseite des Kronkorkens – ähnlich wie bei der Milchflasche – so ein verdächtiges Material ist. Ich möchte jetzt aber nicht mehr darüber wissen! Dann ziehe ich mich lieber zurück, um Tagebuch zu schreiben. Bisher keine Bemerkungen über strohige Haare.

Verstöße gegen die Regeln: Als die Party vorbei ist, habe ich heimlich eine Wurst und etwas Steak genascht. Das halbe Stück Erdbeertorte war göttlich!


Sonntag, 14 Uhr: Nach den Undiszipliniertheiten des Vorabends muss ich mich dringend vergewissern, dass es einen Sinn hat, was ich tue. Und neue Motivation schöpfen. Deshalb lese ich noch mal die Fakten nach, die mich zum Plastikfrei-Entschluss gebracht haben. Weltweit werden jedes Jahr mehr als 320 Millionen Tonnen Plastik auf den Markt gebracht, davon in der EU fast 50 Millionen Tonnen. Von den jährlich 26 Millionen Tonnen Plastikabfällen in der EU werden weniger als 30 Prozent wiederverwertet. In den Weltmeeren dümpeln laut Schätzungen bereits 140 Millionen Tonnen Plastikabfall herum, 70 bis 80 Prozent des an Stränden angeschwemmten Mülls ist Plastik. Jeder Spaziergang am Naturstrand der Ostsee bestätigt das. Ich werde das nicht ändern können, aber ich will versuchen, das ein kleines bisschen besser zu machen.


16 Uhr: Im Internet habe ich den nächstgelegenen verpackungsfreien Laden gefunden. Morgen gucke ich, ob die mir helfen können. Jetzt gucke ich erst mal nach geeigneten Behältern. Und übrigens: Die Dichtung in Kronkorken und Schraubverschlüssen – zum Beispiel von Milchflaschen – ist häufig aus Polyethylen. Das ist ein Kunststoff. Vielleicht gibt es irgendwo in dieser Stadt eine plastikfreie Milchzapfanlage.

Verstoß gegen die Regeln:
heute kein neuer,
meine ich.


Lesen Sie am Dienstag:

Die Suche nach plastikfrei
verpackter Zahnpasta