Hamburg. Filz, Skandal, Kuhhandel: Hamburgs Oppositon greift Kooperation zwischen Johannes Kahrs, Zoll und Behörde massiv an. SPD wehrt sich.
Der Abendblatt-Bericht über die von der Stadt geplante Bevorzugung von Zollbeamten und -anwärtern bei der Suche und Vergabe von günstigen Miet- sowie Sozialwohnungen hat zahlreiche Reaktionen hervorgerufen.
Insbesondere in sozialen Medien sind die Kommentare der Hamburger vor allem kritisch. Bei Twitter und Facebook heißt es: "Ein neuer Schritt in Richtung Einteilung der Gesellschaft in Menschen erster, zweiter und jetzt bald dritter Klasse." „Als ehemaliger und langjähriger SPD-Wähler und -Unterstützer bleibt langsam nur noch Fassungslosigkeit.“ „Nichts gegen Zöllner, aber es gibt keinen Grund warum Zöllner bei der Vergabe von geförderten Wohnungen (...) bevorzugt werden sollten.“ Zusätzlich ist von Filz, Klientel-Politik und Kuhhandel die Rede.
Johannes Kahrs (SPD) hatte Vereinbarung auf den Weg gebracht
Ziel der Kritik: Der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs. Er hatte die entsprechende Kooperationsvereinbarung zwischen Zoll und Stadtentwicklungsbehörde auf den Weg gebracht. Kahrs begründete seinen Einsatz damit, dass die Zollverwaltung mehr als 40 Prozent der Bundeseinnahmen generiere. Dafür sollen die Beamten nun privilegiert bei der Wohnungsvergabe behandelt werden.
Die Vereinbarung soll ab 2020 greifen und für die Wohnungsbauvorhaben gelten, die im Zusammenhang mit den Folgeunterbringungen für Flüchtlinge derzeit errichtet werden. Zollbeamte und -anwärter sollen einen bevorzugten Zugriff auf die Wohnungen erhalten – auch auf Sozialwohnungen.
FDP: Herr Kahrs und Herr Kappe sollten sich schämen
Oppositionsfraktionen in Hamburg reagieren empört auf diese Pläne des Senats. Als „Irrsin der Woche“ und „SPD-Klientel-Klüngel“, bezeichnet die FDP-Fraktion das Vorhaben. „Es nimmt schon groteske Züge an, wenn sich die SPD inzwischen als Lobbyverband der Zollbeamten versteht und sich Kahrs als Cheflobbyist nun um ausgewählte Personengruppen kümmert“, sagt der FDP-Stadtentwicklungsexperte Jens Meyer. Für seine Fraktion sei die Vereinbarung zwischen Zoll und Behörde ein Skandal. „Weil sie ganz unverblümt deutlich macht, mit welcher Dreistigkeit manche Politiker und Staatsbedienstete agieren, um sich selbst oder sich nahestehenden Gruppierungen einen Vorteil zu verschaffen“, sagt Meyer. Herr Kahrs und Herr Kappe (von der Zollgewerkschaft und CDU, Anm d. Red.) sollten sich schämen.“
Zwar plädiert die FDP bereits seit Langem dafür, dass Wohnquartiere, die im Zusammenhang mit den Flüchtlingsunterkünften realisiert werden, einer guten sozialen Durchmischung bedürfen. „Das bedeutet aber nicht, dass man bestimmte Berufsgruppen bevorzugt“, sagt der FDP-Abgeordnete. „Was die Behörde hier treibt, ist in höchstem Maße ungerecht und wird der SPD spätestens 2020 schwer auf die Füße fallen.“ Es sei ein Schlag ins Gesicht für jede Familie einer anderen Berufsgruppe.
Linke: Wie durchgeknallt ist das denn?
Ähnlich aufgebracht ist die Linken-Fraktion. Für diese ist die Kooperation zwischen Johannes Kahrs, Sandro Kappe und Behörde nicht nur gute Lobbyarbeit, sondern auch ein Fall von Groko-Filz. Die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken-Fraktion, Heike Sudmann, sagt: „Wie durchgeknallt ist das denn, eine Berufsgruppe wegen der Einnahmen, die sie für den Staat eintreibt, bevorzugt mit Wohnungen versorgen zu wollen? In der Logik sollte sich Herr Kahrs für die Zwangsräumung und Enteignung der Steuerhinterherzieher aus ihren Villen einsetzen.“ Denn die würden den Staat um riesige Geldsummen betrügen.
Sudmann betont, dass das Grundrecht auf Wohnen für alle gleich gelten muss. Vor allem diejenigen mit wenig Einkommen verdienten eine bezahlbare Wohnung, sagt die Linken-Politikerin. „Ich halte nichts davon, einzelne Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen.“
CDU: Kahrscher Kuhhandel
Äußerst kurz und knapp - und kritisch - fiel die Reaktion der CDU aus. „Eine Lösung für eine einzige Berufsgruppe ist ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Jörg Hamann, Fachsprecher der CDU-Fraktion für Stadtentwicklung.“ Wir setzen lieber auf eigene Gesamtkonzepte für den Wohnungsmarkt statt auf Kahrschen Kuhhandel wie der Senat.“
AfD: Kooperation verstößt gegen Gleichbehandlungsgesetz
Von „Filz“ spricht auch die AfD-Fraktion. „Daher ist es abzulehnen“, sagt Detlef Ehlebracht, wohnungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. „Wer maßt sich hier an, den Wert der einzelnen Berufe zu ermitteln?“ Mit Sicherheit gebe es auch andere Berufsgruppen, die eine Bevorzugung bei der Wohnungsvergabe verdient hätten.
Zudem ist der AfD-Politiker davon überzeugt, dass die Kooperation in der jetzigen Form gegen das Gleichbehandlungsgesetz verstößt. „Im Grundsatz ist die bewusste Steuerung der Zusammensetzung von Nachbarschaften ein Armutszeugnis für das selbstständige Funktionieren unsere (Stadt-)Gesellschaft“, so Ehelebracht.
Grüne: Zollverwaltung nur eine von mehreren Gruppen
Der Grünen-Stadtentwicklungsexperte Olaf Duge weist darauf hin, dass die Entscheidung, wer eine Wohnung erhält, allein nach den Kriterien der Träger getroffen werde. „Unser Ziel ist es, an diesen Standorten stabile Quartiere und Nachbarschaften zu entwickeln“, sagt Duge. Die Kooperationsvereinbarungen würden für unterschiedliche Berufsgruppen angestrebt oder seien für einzelne Unterkünfte schon in der Umsetzung. „Unter anderem für Auszubildende des öffentlichen Dienstes in Hamburg, für Azubis in der Pflege oder Studierende“, so der Grünen-Politiker. „Die Zollverwaltung ist da nur eine von mehreren Gruppen.“ Im Übrigen habe die Bürgerschaft dies mit Drucksache 21/12919 beschlossen. Es handelt sich also um keine Neuigkeit. Die Fraktion die Linke hat in der Bürgerschaft auch nicht dagegen gestimmt, diesen Weg zu gehen.“
Ver.di: Viele Berufsgruppen brauchen diese Unterstützung
Zurückhaltender äußert sich die Gewerkschaft Ver.di. Auf die Frage, ob es nicht andere Berufsgruppen gibt, die Vorteile bei der Wohnungssuche genießen sollten, sagt Berthold Bose, Landesbezirksleiter Ver.di in Hamburg: „Wir haben in Hamburg viele Berufsgruppen, die aus unterschiedlichen Gründen Löhne und Gehälter erhalten, die nicht für ein gutes Leben in Hamburg reichen.“ Dazu zählen etwa Verkäuferinnen, Pflegerinnen, Friseurinnen und viele mehr. „Auch im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen gibt es in den Eingangsstufen zum Beispiel bei der Feuerwehr, der Polizei oder beim Zoll solche Gehälter“, sagt er.
Von Filz will Bose bei der Kooperation von Kahrs, Behörde und Zoll nicht sprechen. „Wenn Politiker in einem Sachverhalt um Hilfe gebeten werden, habe ich die Erwartung, dass sie versuchen ein Bild über die tatsächliche Lage zu bekommen, um dann eine Unterstützung möglich zu machen, wenn sie erforderlich ist“, sagt der Ver.di-Landesbezirksleiter. „Ich unterstelle und hoffe, dass das auch hier der Fall war.“
SPD: Es wird keine Gruppe bevorzugt
Die Sozialdemokraten wehren sich gegen die Vorwürfe. „Im Rahmen der Kooperationsvereinbarung wird keine Gruppe bevorzugt, da die geschaffenen Wohnungen allen Hamburgern offenstehen“, sagt Martina Koeppen, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. "Das heißt, dass sich ohne Ausnahme alle Hamburger für die angebotenen Wohnungen bewerben können und der Vermieter das letzte Wort hat." Die Kooperationen seien nicht nur mit der Zollgewerkschaft, sondern auch mit anderen Institutionen für Nachwuchskräfte in den Bereichen Wissenschaft, Polizei und Pflege abgeschlossen worden. "Sie sollen dabei helfen, eine vielfältige Nachbarschaft zu schaffen", sagt Koeppen.