Hamburg. Studie: Ein Drittel der Rettungseinsätze überflüssig. Beitragszahler müssen Kosten tragen. Gewerkschaft beklagt Belastung.

Manchmal bleibt nur noch Kopfschütteln, sagt ein Feuerwehrmann. Ein vermeintlicher Patient hat die 112 gewählt, von einem Notfall gesprochen; die Retter sind herbeigeeilt, auf das Schlimmste vorbereitet. Doch vor Ort gibt der Mann freimütig zu: „Ich möchte ins Krankenhaus. Aber ein Taxi kann ich mir nicht leisten“. Erst als sich die Sanitäter weigern, sagt der Mann, er habe starke Bauchschmerzen.

Der Fall ist ein extremer Auswuchs eines Problems, das die Feuerwehr tausendfach beschäftigt. Nach einer repräsentativen bundesweiten Studie des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) handelt es sich bei jeder dritten Alarmierung des Rettungsdienstes nicht um einen wirklichen Notfall. Angesichts von 253.000 Einsätzen in Hamburg pro Jahr wären Sanitäter und Notärzte demnach zuletzt etwa 80.000-mal unnötigerweise ausgerückt.

15 bis 20 Prozent der Fahrten sind Fehleinsätze

In einigen Fällen stellen sich Beschwerden vor Ort als ungefährlich heraus, teilweise kommt es nicht einmal zu einer Untersuchung. Laut dem Verband der Ersatzkassen in Hamburg (vdek) werden allein etwa 15 bis 20 Prozent aller Fahrten als sogenannter Fehleinsatz verbucht. „Das heißt, dass die zu rettende Person beispielsweise am Einsatzort nicht mehr anzutreffen ist oder dass sie das Angebot nicht mehr annehmen möchte“, sagt die vdek-Landeschefin Kathrin Herbst.

Hinzu kämen diejenigen Fälle, bei denen „im Nachgang klar ist, dass objektiv bewertet ein Rettungseinsatz nicht notwendig gewesen wäre“. Darüber gebe es keine gesicherten Daten. Vertreter der Feuerwehrleute berichten davon, dass die Notfalleinsätze bei leichten oder gar nicht vorhandenen Erkrankungen und Verletzungen die ohnehin angespannte Lage noch weiter verschärft. „Wir sind an der Belastungsgrenze“, sagt Daniel Dahlke von der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft. „Zwischen den Einsätzen gibt es für die Kollegen oft kaum noch Pausen. Eigentlich geht es so nicht mehr weiter“.

Rettungseinsatz kostet 400 Euro

Auch wenn durch eine Ausbildungsoffensive und andere Maßnahmen Besserung absehbar sei, seien die unnötigen Einsätze belastend, sagt Dahlke. Ein Feuerwehrsprecher wollte die Häufigkeit von überflüssigen Einsätzen nicht kommentieren. Die zuständige Fachabteilung hatte am Freitag eine entsprechende Anfrage des Abendblatts nach zwei Tagen noch nicht beantwortet.

Die unnötigen Einsätze belasten nicht nur die Retter, sondern auch die Beitragszahler. Ein Rettungseinsatz kostet nach Angaben der Ersatzkassen im Durchschnitt 400 Euro. Nimmt man die Studie des Roten Kreuzes als Grundlage, könnten damit in Hamburg jährlich mehr als 30 Millionen Euro an vermeidbaren Kosten entstehen.

Grundsätzlich sind die falschen Notfälle in den jährlichen Rechnungen bereits „eingepreist“, wie es in Feuerwehrkreisen heißt. Wer den Notruf wählt, sich aber nicht als wirklicher Notfallpatient entpuppt, wird also nicht direkt für die Kosten des Einsatzes zur Kasse gebeten. „Es verhält sich ähnlich wie bei Geschäften, in denen der ehrliche Kunde möglicherweise etwas höhere Preise für ein Produkt wegen einer bestimmten Zahl an Diebstählen zahlen muss“, heißt es aus dem Umfeld von Krankenkassen. Wenn ein vorsätzlich unnötiger Alarm nachgewiesen werden kann, drohen aber Geldstrafen.

Sanitäter müssen sich rechtlich absichern

Im täglichen Einsatz stünden die Beamten vor schwierigen Abwägungen, berichten Feuerwehrleute. Schließlich können sich auch zunächst vermeintlich harmlosere Symptome später als akut lebensbedrohlich erweisen. „Im Zweifel entscheiden sich die Kollegen immer dafür, den Patienten lieber in ein Krankenhaus zu bringen“, sagt Daniel Dahlke. „Allein schon zu dem Zweck, sich selbst rechtlich abzusichern“.

Der Gewerkschafter kritisiert, dass die Disponenten und Sanitäter vor Ort zu viel Verantwortung tragen müssten. „Möglicherweise wäre es sinnvoll, genauere Bedingungen zu haben, damit nur wirklich bedürftige Patienten in ein Krankenhaus gebracht werden“. Die Notaufnahmen der Kliniken werden nach verschiedenen Studien regelmäßig von Patienten mit kleineren Verletzungen verstopft. Auch diese Art der Behandlung ist sehr teuer.

Der Verband der Ersatzkassen tritt für eine noch bessere Koordination der verschiedenen Retter ein. Denkbar ist etwa, dass der kassenärztliche Notdienst mehr Fälle vor Ort übernimmt – diese Einsätze kosten in der Regel weniger als ein Viertel. „Wir würden uns wünschen, dass alle für die Notfallversorgung Zuständigen sich zusammensetzen, um Grundsätze einer Zusammenarbeit auszuloten“, sagt die vdek-Landeschefin Herbst. Die Innenbe-hörde arbeitet seit Jahren an einem neuen Rettungsdienstgesetz, das auch die Einbindung von Wohlfahrtsträgern verbessern soll.