Hamburg. Jürgen Geißinger führte Hamburger Windkraftspezialisten nur zweieinhalb Jahre. War den Eigentümern der Sparkurs nicht rigoros genug?
Der Hamburger Windkraftanlagenhersteller Senvion ist auf der Suche nach einem neuen Vorstandschef. Der seit Dezember 2015 amtierende Jürgen Geißinger sei am Mittwoch nach fast zweieinhalb Jahren im Amt mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, teilte das Unternehmen mit. Einen Grund nannte Senvion nicht. Übergangsweise übernimmt Finanzvorstand Kumar Manav Sharma Geißingers Aufgaben. Die Suche nach einem dauerhaften Nachfolger sei weit fortgeschritten, erklärte Senvion. Geißinger war zuvor als langjähriger Chef des Autozulieferers Schaeffler bekannt geworden.
Mit Geißingers Abgang läute Senvion „die nächste Phase des Wachstumskurses und der internationalen Expansion ein“, heißt es in der Unternehmensmitteilung. Geißinger habe die Kosten gesenkt und neue Märkte für Senvion erschlossen. Im ersten Quartal dieses Jahres war der Umsatz um ein Drittel auf 256 Millionen Euro eingebrochen, der Auftragseingang stieg allerdings um 37 Prozent.
Offenbar neue Aufgabe
Warum der Vorstandschef so kurzfristig und sieben Monate vor Ablauf seines Dreijahresvertrags geht, dazu gibt es unterschiedliche Erklärungen. Unternehmenssprecher Immo von Fallois sagte dem Abendblatt: „Man hat sich friedlich getrennt.“ Im Senvion-Umfeld heißt es zudem, der 58 Jahre alte Industriemanager habe eine neue Aufgabe in Aussicht.
Für Branchenbeobachter kommt die Trennungsentscheidung gleichwohl überraschend. „Es ist zuvor nie kommuniziert worden, dass Herr Geißinger das Unternehmen nur für eine gewisse Phase führen soll“, sagt der Analyst Arash Roshan Zamir, der für das Hamburger Analysehaus Warburg Research Senvion beobachtet. Geißinger sei es tatsächlich gelungen, neue Märkte zu erschließen.
Hoher Preisdruck
Senvion hatte in der jüngeren Vergangenheit Aufträge unter anderem aus Australien, Indien und Chile erhalten und auch auf dem US-Markt Fuß gefasst. Die extremen Auftragseinbußen auf dem deutschen Windkraftmarkt und den hohen Preisdruck auf die Hersteller konnte das allerdings nicht ausgleichen. Für 2018 wird nun ein auf 1,8 bis 1,9 Milliarden Euro sinkender Umsatz erwartet, für 2019 allerdings bereits wieder bis zu 2,7 Milliarden Euro Erlöse und eine Ebitda-Marge zwischen 9,5 und 10,5 Prozent.
Geißinger hatte dem Unternehmen im Frühjahr 2017 ein Restrukturierungsprogramm verordnet: Zwei Werke in Norddeutschland wurden geschlossen, mehrere Hundert Arbeitsplätze abgebaut. „Ich kann mir gut vorstellen, dass der Aufsichtsrat und der Hauptaktionär Centerbridge gerne schneller Erfolge der Restrukturierung gesehen hätten“, sagt Roshan Zamir. Centerbridge ist einer der Finanzinvestoren, die die ehemalige Repower 2015 übernommen und 2016 an die Börse gebracht haben. Der Aktienkurs ist heute deutlich niedriger.
„Sehr ambitionierte“ Prognose für 2019
Dies und auch die aus seiner Sicht „sehr ambitionierte“ Prognose für 2019 könnten weitere Gründe für Geißingers Abschied sein, sagt der Analyst. Die Ankündigung, mit dem künftigen Vorstandschef solle eine neue Wachstumsphase beginnen, deutet er so: „Man hätte mit Herrn Geißinger gerne noch größere Fortschritte erzielt und will nun versuchen, noch mehr aus Senvion herauszuholen.“ Am Mittwoch brach der Aktienkurs jedoch um zeitweise knapp zehn Prozent ein. Die Interpretation des Analysten: Der Markt sehe die Trennung von Geißinger als Vorboten eines Eingeständnisses, dass die erklärten Wachstumsziele für 2019 nicht erreicht werden könnten.