Hamburg. „Schmähkritik“ könnte in Teilen verboten bleiben, deutet der Hamburger Richter an. Auch Erdogan wird sein Ziel wohl nicht erreichen.

So viel Ärger wegen eines Gedichts. Jan Böhmermanns „Schmähkritik“ ist ein absurdes Sammelsurium dümmlich-derber Vorurteile gegen Türken im Allgemeinen und den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Speziellen. Da geht es um Verkehr mit Tieren, verkümmerte Geschlechtsteile, um Kinderpornografie und um Sexorgien. Nach dem erstin­stanzlichen Urteil des Landgerichts vor einem Jahr ist der Rechtsstreit über das Gedicht am Dienstag in die zweite Runde gegangen. Böhmermann will klären lassen, was Satire darf, Erdogan sieht sich in seiner Menschenwürde verletzt. Nun muss das Oberlandesgericht entscheiden, ob das Gedicht ganz, gar nicht oder in Teilen verboten wird.

Ziemlich vergnatzt wirkte Christian Schertz, Böhmermanns Anwalt, nach der Verhandlung. Viel zu unkonkret habe sich das OLG zu seiner rechtlichen Bewertung des Gedichts geäußert. „Ich habe noch nie einen OLG-Senat erlebt, der sich so wenig in die Karten schauen lässt.“ Dabei rühre der Ausgang des Rechtsstreits zwischen seinem Mandanten und dem türkischen Präsidenten doch an „Grundfragen der Demokratie“, sagte Schertz – und meinte damit den Umgang mit der Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland.

Diplomatische Krise zwischen Deutschland und der Türkei

Der Moderator hatte das Schmähgedicht am 31. März 2016 in seiner TV-Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen. Zuvor hatte er darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um „erlaubte Satire“ handele. Die Folgen waren gravierend: Das Stück löste eine diplomatische Krise zwischen Deutschland und der Türkei aus, Erdogan reichte Klage ein. Im Februar 2017 verbot das Hamburger Landgericht dann 18 der 24 Zeilen des Schmähgedichts. Es sei zwar eine Satire, doch gehe es eindeutig zu weit und verletze Erdogans Persönlichkeitsrechte im Kernbereich, befand das Gericht. Böhmermann legte darauf Berufung beim OLG ein, Erdogan Anschlussberufung. Es ist gut möglich, dass der Fall vor dem Bundesverfassungsgericht landet. Denn wie sich abzeichnet, werden Erdogan und Böhmermann ihre Maximalziele auch in der zweiten Instanz nicht durchsetzen können. Ganz verbieten will das OLG das Gedicht nicht – Erdogans Anschlussberufung habe „wenig Aussicht auf Erfolg“, sagte der Vorsitzende des siebten Zivilsenats, Andreas Buske.

Ganz zulassen will es den Beitrag, wie von Böhmermann gefordert, wohl auch nicht. Die Kritik am erstinstanzlichen Urteil habe den Senat zwar nachdenklich gemacht. Im Ganzen sei es aber „nachvollziehbar und sorgfältig“, so Buske. „Es kann sein, dass wir – aus Sicht der Kritiker – denselben Fehler machen.“ Die Satire genieße große Freiheiten, diese Freiheiten fänden jedoch ihre Grenzen im „Rahmen der Menschenwürde“. Später sagte Buske aber auch: „Dass die Zeilen nicht ernsthaft auf Erdogan bezogen waren, dürfte sonnenklar sein.“ Böhmermanns Anwalt reagierte prompt: Wenn der Senat es so sehe, sagte Schertz, könne es sich bei dem Gedicht nicht um eine Schmähkritik handeln, dann fehle es an der Rechtsgrundlage. Schmähkritik ziele immer auf die Diffamierung eines Adressaten.

Gericht will Entscheidung am 15. Mai verkünden

So oder so dürfe das durch die Kunstfreiheit geschützte Gedicht nur im Gesamtkontext bewertet werden. Es verbiete sich, nur Teile davon, also einzelne Verse, zu betrachten. Nur dann werde deutlich, dass mit dem Gedicht nicht Erdogan persönlich geschmäht werden sollte. Böhmermann habe es vielmehr in eine Art „überhöhte Rechtsvorlesung“ eingebettet und auf einer Meta-Ebene „klargemacht, was in Deutschland Meinungsfreiheit ist“.

Diese Metaebene dürfte sich dem durchschnittlichen TV-Konsumenten jedoch kaum erschlossen haben, wandte Erdogans Anwalt Mustafa Kaplan ein. „So etwas kann man nicht mit Kunstfreiheit oder Meinungsfreiheit rechtfertigen.“

In einer persönlichen Erklärung, die dem Abendblatt vorliegt, schrieb Böhmermann an das Gericht, dass der Adres­sat seines Beitrags nicht Erdogan, sondern die Bundesregierung gewesen sei. „Meine künstlerische und inhaltliche Motivation war das Exponieren der besorgniserregenden Zurückhaltung der Bundesregierung gegenüber dem türkischen Staatspräsidenten in Fragen nicht verhandelbarer Grundrechte.“ In seinem „Proseminar“ habe er sein Publikum mit den Mitteln der Satire aufklären wollen, „welch weitreichende Befugnisse und welche Macht Kunst, Comedy, Satire, kritischer Witz und das freie Wort in einer freiheitlich demokratischen Grundordnung haben – in Abgrenzung zu den hinlänglich bekannten Vorstellungen des türkischen Staatspräsidenten.“ Das OLG will seine Entscheidung am 15. Mai verkünden.