Hamburg. Die Staatsanwaltschaft Hamburg geht rabiat gegen einen Blogger vor, der Aufnahmen von der Tragödie am Jungfernstieg veröffentlichte.
Der Staatsanwalt stand, begleitet von Polizisten, am frühen Morgen vor der Tür der Wohnung von Blogger Heinrich K. am Eilbeker Weg. Zur typischen Durchsuchungszeit. Weil der Blogger nicht öffnen wollte, wurde ein Schlüsseldienst beauftragt, der das Schloss aufbohrte. Grundlage für die Aktion war ein Beschluss des Amtsgerichts Hamburg. Die zuständige Richterin hatte „wegen des Verdachts der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen“ einen Durchsuchungsbeschluss ausgestellt.
Die Bilder, um die es geht, waren zunächst auch nach der Durchsuchung weiter im Internet zu sehen. Heinrich K. hatte sie auf seinen YouTube-Kanal hochgeladen, einem Kanal, der 74 Abonnenten hat und aktuell vier Filmsequenzen enthält, die ein Flüchtlingscamp auf dem Balkan oder Weihnachtsbotschaften des HVV auf Anzeigetafeln zeigen. Das Video, weswegen durchsucht wurde, ist mittlerweile gelöscht. Die Behörde hatte darum ersucht.
Aufnahmen zeigen verwackelte Sequenzen
Die Filmsequenz war am Jungfernstieg aufgenommen worden – unmittelbar nach der grauenvollen Tat von Mourtala M. Der Mann aus dem Niger hatte seine ehemalige Lebensgefährtin und ihre gemeinsame Tochter am Bahnsteig der S 3 am Jungfernstieg plötzlich mit einem Messer angegriffen und getötet.
Der 33-Jährige ist geständig und sitzt wegen zweifachen Mordes in der Untersuchungshaft am Holstenglacis. Er war unmittelbar nach der Tat geflohen, konnte jedoch an der Mönckebergstraße von Polizisten gestellt werden. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine lebenslange Haft.
Kommentar: Die Staatsanwaltschaft überzieht
Von der Tat ist auf den Aufnahmen nichts zu sehen – sie zeigen verwackelte Bilder, die aus einiger Entfernung aufgenommen wurden und keine Identifizierung der Personen zulassen. Das Hin- und Herschwenken der Kamera, aber auch Geschrei und Weinen der umstehenden Menschen sorgen für den Eindruck, dass sowohl der Filmer wie auch zahlreiche andere Personen sichtlich unter dem Eindruck des Geschehens standen.
Stimmen beschrieben die grauenvollen Taten
Das Abendblatt hat aus Rücksicht auf die Hinterbliebenen darauf verzichtet, alle abscheulichen Details zum Hergang des Doppelmordes zu schildern – dies betrifft auch die genaue Art und Weise, wie Mourtala M. das erst einjährige Mädchen ermordete. In dem Video sind aber Stimmen zu hören, die einige Einzelheiten benennen.
Rückte deswegen die Staatsanwaltschaft an?
Grundlage für die Durchsuchung ist der Paragraf 201a, den der Presserat und Journalistenverbände in langen Stellungnahmen als problematisch einstuften im Blick auf eine freie Berichterstattung, die von der im Grundgesetz verankerten Pressefreiheit gedeckt ist. Problematisch sind auch die schwammige Formulierung und die noch schwammigere Auslegung der Hamburger Justiz. Denn der Paragraf sagt aus, dass Bildnisse von Personen nicht hergestellt werden dürfen, die hilflos sind.
Allerdings sind auf den Aufnahmen des Handyfilmers keine solchen Menschen zu sehen oder zu identifizieren. Das betrifft auch Aufnahmen, die in Zeitungen veröffentlicht wurden und die die Szene aus anderen Blickwinkeln zeigen. Dort wurde bislang nicht durchsucht.
Staatsanwaltschaft sei „ganz heiß auf den Fall“ gewesen
Der Paragraf 201a lässt zwar solche Bildaufnahmen zu bei einem „überwiegend berechtigten Interesse“, wenn es beispielsweise um „Zeitgeschehen“ geht. Aber für die Hamburger Justiz ist der Doppelmord vom Jungfernstieg eine Beziehungstat, für die kein öffentliches Interesse zu bestehen hat.
Im Sicherheitsapparat stieß die Aktion auf Verwunderung. „Die waren ganz heiß auf den Fall“, heißt es da über die Staatsanwaltschaft. Oder: „Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“ Zudem wunderte man sich, wie schnell es einen Durchsuchungsbeschluss gab, während man im Alltag selbst bei Verbrechenstatbeständen mit manchmal hohen Hürden zu kämpfen hat.
Nach einem Aufruf des Abendblatt-Vereins Kinder helfen Kindern e. V. wurden bis zum Anfang dieser Woche mehr als 30.000 Euro für die hinterbliebenen vier Söhne der getöteten Sandra P. (34) gespendet.Das Abendblatt bedankt sich herzlich bei allen, die bereits gespendet haben. „Wir freuen uns über die Hilfsbereitschaft, um die Sorgen der Kinder etwas lindern zu können“, sagt Chefredakteur Lars Haider. Wer helfen möchte, kann dies weiterhin tun: IBAN: DE25 2005 0550 1280 1446 66 BIC: HASPDEHHXXX (Hamburger Sparkasse), Stichwort: Familiendrama Jungfernstieg.