Hamburg . Bezirk wagt umstrittenen Vorstoß: Trotz eines Gerichtsvergleichs soll die Notunterkunft länger erhalten bleiben.
Die Altonaer Bezirksverwaltung hat in Sachen Björnsonweg einen überraschenden Vorstoß gewagt. Ausgerechnet in der Straße, in der der Bau einer Flüchtlingsunterkunft vor zwei Jahren in ganz Hamburg diskutiert wurde und zu zahlreichen Demos führte, ausgerechnet dort plant der Bezirk die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans. Er umschließt die neue Flüchtlingsunterkunft – und das, obwohl für diesen Abschnitt vor Gericht ein Vergleich zwischen Stadt und klagenden Anwohnern geschlossen wurde.
Langfristige Wohnbebauung
Letzterer sieht vor, dass nach Ablauf einer Frist von sieben Jahren die Unterkunft wieder abgebaut und der dafür gefällte Wald neu aufgeforstet wird. Der jetzt im Planungsausschuss debattierte Vorstoß soll hingegen den Weg für eine langfristige Wohnbebauung ebnen und umfasst das angrenzende kleine Waldstück sowie die Kleingartenparzellen auf dem Areal von Hamburg Wasser. Hier könnten Doppel- und Reihenhäuser sowie sozial geförderter Wohnraum entstehen.
Das Erstaunliche: Der Bezirk Altona hatte nicht nur den besagten Vergleich mitgeschlossen, sondern auch im Zusammenhang mit Infoveranstaltungen zum Bau der Flüchtlingsunterkunft mehrfach betont, dass es sich bei der Einrichtung um ein temporäres Projekt handele. Bereits 2017 hatte das städtische Unternehmen Hamburg Wasser zahlreichen Kleingärtnern überraschend ihre Verträge aufgekündigt. Die Hälfte der 22 Parzellen war betroffen. Schon damals vermuteten Anwohner weitreichende Bebauungspläne, die allerdings mehrfach verneint wurden. Nun also doch noch?
Am Björnsonweg rumort es einmal mehr. Die Baupläne, die vor der offiziellen Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft auf den Tisch kommen, stoßen auf wenig Gegenliebe. Die Anwohner fühlen sich hinters Licht geführt und machen bereits mobil. Erste Flyer wurden an Bäume in der Straße geheftet und ein Treffen wurde organisiert. Auch unter den Kleingärtnern herrscht Angst.
Tamara Leuckfeld macht sich große Sorgen um ihr kleines Gartenparadies. Seit knapp 30 Jahren hat die vor Kurzem in den Ruhestand getretene Mitarbeiterin von Hamburg Wasser ihre kleine Parzelle in Blankenese. Zusammen mit ihrem Mann steckt die Eidelstedterin viel Zeit, Geld und Arbeit in den Garten. Das sieht man der Parzelle an. Sie gilt als eine der schönsten der Anlage. „Ich kann gar nicht glauben, dass das nun alles weg soll“, sagt Leuckfeld traurig, die aufgrund ihres Engagements und ihrer langjährigen Treue als Bürgermeisterin der Kleingartenkolonie gilt. Denn einen Vorsitzenden oder eine regelrechte Vereinsstruktur gibt es nicht.
Pachtverträge für Kleingärten wurden aufgekündigt
Entstanden sind die Gärten nach dem Krieg, so Leuckfeld. Die Idee war es, dass das Unternehmen den Mitarbeitern Land zur Bewirtschaftung zur Verfügung stellt. Damals sei fast nur Gemüse angebaut worden. Heute herrschen Ziergärten vor. Aber der damalige Begriff des Grabelands ist in den Pachtverträgen erhalten geblieben. Sie lassen sich deutlich schneller und leichter aufkündigen als organisierte Kleingärtenstrukturen.
Viele der Parzellen sind ohnehin nicht mehr vermietet, was sich am schlechten Zustand der Gärten ablesen lässt. Laut Hamburg Wasser ist 2017 allen betriebsfremden Mietern gekündigt worden. Zehn von 22 Parzellen waren demnach betroffen. Zwei wurden wieder neu vergeben. „Bei den anderen acht warten wir nun die Entwicklungen ab und legen eine Neuverpachtung erst einmal auf Eis“, sagt Ole Braukmann als Sprecher von Hamburg Wasser. Laut Braukmann habe es aber zum Zeitpunkt der ausgesprochenen Kündigungen keine Baupläne gegeben, man sei selbst überrascht von der neuen Entwicklung, die vom Bezirksamt an das städtische Unternehmen herangetragen wurde.
Vergleich mit Anwohnern
Überrascht geben sich auch die Bezirkspolitiker. Gegen jede Absprache sei die Idee auf den Tisch gekommen, heißt es aus den Reihen der Politik. Richtig erbost ist Grünen-Chefin Gesche Boehlich: „Der Bezirk hat den Vergleich mit den Anwohnern geschlossen. Man hätte das auch juristisch durchfechten können. Wir lassen uns nun nicht zu Steigbügelhaltern des Bezirks machen.“ Das sei nicht der richtige Weg, sagt auch Uwe Szczesny für die CDU-Fraktion.
Wolfgang Kaeser erklärt: Ziel sozialdemokratischer Politik in Altona sei es, im Rahmen der Verteilungsgerechtigkeit in allen Stadtteilen den Bau von Unterkünften zu ermöglichen. „Aus der Sicht der Kläger könnte ein solcher Schritt als Vertrauensbruch gewertet werden. Dies muss Politik vermeiden.“
Politik legt Bebauungsplan auf Eis – vorerst
Klar ist: Im jüngsten Planungsausschuss wurde zurückgerudert, die Aufstellung eines neuen Bebauungsplans auf Eis gelegt – zumindest vorerst. Denn die Bezirkspolitiker machten der Verwaltung deutlich, dass sie rechtzeitig zum Ablauf der siebenjährigen Frist erneut über das Bauprojekt diskutieren wollen. Wie das zusammenpasst, blieb offen.
Grund dafür könnte sein, dass der Bezirk die Fläche für die Notunterkunft für 30 Jahre angepachtet hat. Die Unterkunft ist aber hochwertig genug gebaut, sodass sie deutlich länger als sieben Jahre stehen bleiben könnte. Das geht ausgerechnet aus einem Schreiben des städtischen Unternehmens Hamburg Wasser an die Kleingärtner hervor, das dem Abendblatt vorliegt. Und es heißt weiter: „Daher wird nach einer Lösung gesucht. Hamburg Wasser rechnet allerdings nicht mit einer Bebauung vor 2020.“