Hamburg. Die Fronten zwischen Stadt und Vattenfall sind verhärtet. “Wenn Vattenfall „Krieg“ wolle, dann könne es den haben.“
Der Konflikt zwischen der Stadt Hamburg und dem schwedischen Energiekonzern Vattenfall eskaliert immer schneller. Im Kampf um die Zukunft der Fernwärme zeigen beide Seiten jetzt offen ihre politischen und juristischen Waffen – und aus dem Senatsumfeld hieß es martialisch: Wenn Vattenfall „Krieg“ wolle, dann könne es den haben.
Hintergrund: Bisher gehören Hamburg 25,1 Prozent und Vattenfall 74,9 Prozent des Fernwärmenetzes und der Erzeugungsanlagen. Obwohl man das Netz derzeit noch gemeinsam besitzt, verfolgen beide Seiten aber vollkommen gegensätzliche Ziele. Vattenfall will sein Kohlekraftwerk Moorburg unbedingt an das Fernwärmenetz anschließen, das 480.000 „rechnerische Wohneinheiten“ in Hamburg versorgt – der rot-grüne Senat aber will das auf jeden Fall verhindern.
Moorburg würde Gewinne bescheren
Der schwedische Konzern argumentiert, unterstützt von CDU und FDP, die Wärme in Moorburg falle weitgehend sowieso an, und es sei auch für das Klima besser, die bisher aus dem maroden Kraftwerk Wedel gelieferte Wärme durch solche aus dem weitaus moderneren Kraftwerk Moorburg zu ersetzen. Zudem sei dies günstiger für die Kunden und mache zusätzliche Investitionen zum Teil überflüssig. Ein Anschluss von Moorburg an die Fernwärme dürfte Vattenfall gute Gewinne bescheren.
Der Senat dagegen will die Fernwärme zum Schutz des Weltklimas auf regenerative Energien umstellen und von 2025 an vollständig auf Kohle verzichten. Diese Umstellung ist dabei ein zentraler Baustein für die Erreichung der Hamburger Klimaziele. Würde man dagegen Moorburg anschließen, dann garantiere man dem ungeliebten Riesenkraftwerk damit eine sehr lange Lebensdauer, heißt es – denn dann würde es die Heizwärme für rund jede fünfte Hamburger Wohnung liefern und wäre damit unverzichtbar.
Beide Seiten können dem anderen schaden
Obwohl die Fernwärme laut Volksentscheid von 2013 und Vorvertrag von 2014 zum 1. Januar 2019 an die Stadt übergehen soll, beantragte Vattenfall Anfang April überraschend noch den Bau einer Leitung zum Anschluss seines Kraftwerks Moorburg an das Fernwärmenetz. Diesen Antrag wertete man im Senat als bewusste Provokation oder gar als „Kriegserklärung“. Den zunächst für diese Woche geplanten Vorprüfungstermin für die beantragte Leitung (Fachterminus: Scoping) sagte die Behörde von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) nun am vergangenen Freitag bis auf Weiteres ab. Formal begründet wurde dies mit „Vorbehalten gegen die beabsichtigte Trassenführung“. Im Klartext heißt das: Die benötigten Grundstücke gehören der städtischen Hamburg Port Authority, und die stimmt der Nutzung eben nicht zu. Damit zeigt auch die Stadt ihre Waffen.
FDP-Fraktionschef Michael Kruse wirft Kerstan vor, den Streit gezielt zu eskalieren. „Mit diesem Schritt begibt sich der Senat weiter in die energiepolitische Sackgasse“, so Kruse. Tatsächlich sieht man sich im Rathaus umgekehrt von Vattenfall provoziert. Dabei sei für die Schweden letztlich ohne Kooperation mit der Stadt kein gutes Geschäft in Hamburg mehr zu machen. Denn der Senat habe genug Instrumente, um Vattenfall das Leben schwer zu machen, heißt es. Man könnte dem Energiekonzern jede Nutzung städtisch kontrollierten Grund und Bodens versagen, keinen Müll mehr an die von Vattenfall kontrollierte Müllverbrennungsanlage liefern – oder das Hamburger Klimaschutzgesetz ändern, um Wärmeeinspeisung aus Kohle zu untersagen. Anders als der frühere Bürgermeister Olaf Scholz sei dessen Nachfolger Peter Tschentscher bereit, mit den Schweden in den Clinch zu gehen.
Gemeinsames Konzept ist fraglich
Vattenfall allerdings hat auch einen starken Hebel: Es kann die Umsetzung des im Volksentscheid beschlossenen Rückkaufs der Fernwärme erschweren oder ihn sogar indirekt verhindern. Hintergrund: In dem 2014 mit Vattenfall geschlossenen Vertrag garantierte der SPD-Alleinsenat den Schweden einen Mindestpreis von 950 Millionen Euro für das gesamte Netz. Nach einem neueren Gutachten, das offiziell im Mai vorliegen soll, ist das Fernwärmenetz aber derzeit nur noch zwischen 550 und 725 Millionen Euro wert (das Abendblatt berichtete exklusiv). Das kann nach Einschätzungen aus dem Senat bedeuten, dass die Stadt den Mindestpreis nicht zahlen darf – weil deutlich überhöhte Preise aufgrund der Vorgaben der Landeshaushaltsordnung nicht gezahlt werden dürften. Vattenfall aber ist bisher nicht bereit, unter den Mindestpreis zu gehen und der Stadt damit entgegenzukommen.
Angesichts der absolut gegensätzlichen Interessen und unterschiedlichen Vorstellungen zur Zukunft der Fernwärme scheint es aber andererseits schwer vorstellbar, dass Stadt und Vattenfall weiterhin halbwegs harmonisch kooperieren und ein gemeinsames Konzept zustande bekommen. Auch wegen der verfahrenen Situation hat Vattenfall nach Abendblatt-Informationen nun einen neuen Verhandlungsführer geschickt, der direkt an den Konzernvorstand in Schweden berichten soll.
Umweltorganisationen und Klimaschützer fordern derweil, den Rückkauf der Fernwärme trotz aller Probleme umzusetzen. Aus ihrer Sicht ist der Wert auch gar nicht drastisch gesunken – vielmehr habe die SPD 2014 einem viel zu hoch angesetzten, mehr oder weniger von Vattenfall diktierten Mindestpreis zugestimmt, ohne ein neues Gutachten in Auftrag zu geben.
Es geht um den Weltklimaschutz
„Nur mit der Übernahme auch des Fernwärmenetzes ist Hamburg in der Lage, die politischen Weichen für die geforderte Energiewende zu stellen“, heißt es von BUND und Zukunftsrat Hamburg. „Eine Wärme-Einspeisung aus dem Kohlekraftwerk Moorburg würde diese Zielsetzung konterkarieren.“ Beide sehen zwei Optionen zum Rückkauf: Entweder man kaufe zum Mindestpreis, auch wenn dieser höher liege als der gerade ermittelte Wert. Dies lasse auch die Landeshaushaltsordnung zu. Denn durch den Kauf entstünden zum einen große Synergien, etwa durch die gemeinsame Verwaltung der Netze für Strom, Gas und Fernwärme. Zudem müssten auch „nicht monetarisierbare“ Aspekte wie der Klimaschutz und die Umsetzung eines Volksentscheids einbezogen werden. Die Landeshaushaltsordnung habe ja auch nicht die Garantien für die HSH Nordbank, die „riskante Übernahme weiterer Unternehmensanteile von Hapag-Lloyd 2012“ oder die zusätzlichen Zahlungen für die Elbphilharmonie verhindert.
Die zweite derzeit diskutierte Option wäre deutlich schlechter für Vattenfall. Sie fußt auf einer Expertise des renommierten Energierechts-Juristen Peter Becker. Nach dessen Einschätzung ist der 2014 garantierte Mindestpreis nicht bindend. Beckers komplexe rechtliche Argumentation basiert auf der Annahme, dass ein Fernwärmeversorger eine marktbeherrschende Stellung besitze. Da diese auch den Mindestpreis beeinflusst habe, wäre dieser ungültig – der Rest des Vertrags aber würde weiter gelten. Er schätze, dass der Mindestpreis für den Hamburg fehlenden Anteil von 74,9 Prozent „vielleicht nur noch 400 Millionen Euro beträgt“, sagte Becker dem Abendblatt. Dass Vattenfall das auch so sieht, ist, vorsichtig gesagt, eher unwahrscheinlich. Der Kleinkrieg um die Fernwärme-Millionen dürfte also munter weitergehen.