Hamburg. Die Baukosten liefen aus dem Ruder, die Fertigstellung verzögerte sich, aber ihre Eröffnung wurde hymnisch gefeiert.
Als vor bald 47 Jahren an einem sonnigen Donnerstag im Mai das neue AK Altona eröffnet wurde, wetteiferten die Ehrengäste mit Superlativen: Bürgermeister Herbert Weichmann (SPD) betonte, das „stolz vor uns aufragende Haus“ könne man nur in „einer Art intellektueller Tiefstapelei“ bescheiden ein Krankenhaus nennen. Sein Gesundheitssenator Hans-Joachim Seeler (SPD) sekundierte, die Fachwelt schaue auf diesen Bau, der Maßstäbe setze. Positiv wurde erwähnt, dass erstmals Privatpatienten in die normalen Stationen eingegliedert würden, „eine Sozialisierung des Krankenhauses“.
Und das Abendblatt notierte zufrieden: „Die Sonne schien, die Erfrischungen waren gut gekühlt, die Polizeikapelle spielte, jeder hatte einen Parkplatz gefunden, und die Harmonie der wohlgesetzten Reden war ein Ohrenschmaus.“ Bundeskanzler Willy Brandt hatte den Neubau in Othmarschen schon bei seinem Baustellenbesuch als „modernstes Hochleistungs-Krankenhaus Europas“ geadelt. Die Klinik war eine Sensation – sie galt als erstes Großkrankenhaus der Stadt seit dem Ersten Weltkrieg und als die „modernste auf dem europäischen Kontinent“.
Bei Eröffnung war Jubel so groß wie das Haus
Auch die Zahlen ließen die Fachwelt jubeln: 1321 Betten verbargen sich zunächst in der 75 Meter hohen Hochhausscheibe mit ihrer modernen Aluminium-Glas-Fassade. Sie misst 120 Meter in der Länge und steht auf einem Atomschutzbunker, der bis zu 15 Meter in die Tiefe reicht.
Doch bis zur Fertigstellung gab es Irrungen und Wirrungen von elbphilharmoniesken Ausmaßen. Der Bau hatte sich seit der Grundsteinlegung im Juli 1961 nicht nur mehrfach verzögert, sondern war mit rund 173 Millionen Mark viel teurer geworden als ursprünglich geplant. Zu Beginn der Planungen 1955 ging der Senat von Kosten in Höhe von 28 Millionen Mark und vier Jahren Bauzeit aus; 1960 kalkulierten die Sachverständigen dann Ausgaben in Höhe von 50 Millionen Mark.
Mit jedem Baufortschritt kletterten die Preise
Nur ein Jahr später – inzwischen war die Klinik noch einmal größer geworden – lag der Preis schon bei 150 Millionen Mark. Damals hoffte man auf eine Fertigstellung 1966. Eine Kalkulation, die bald hinfällig war. Mit jedem Baufortschritt kletterten die Preise und wuchs die Wut – das Abendblatt dokumentierte ausführlich die Kostenexplosion, fortan hieß der Neubau nur noch das „Millionending“. Es folgte ein parlamentarisches Nachspiel: Die Bürgerschaft setzte 1968 einen Untersuchungsausschuss zur „Überprüfung von Krankenhaus-Neubauten“ ein.
Dabei geriet auch der Architekt Werner Kallmorgen in die Kritik. Er hatte sich zusammen mit Gustav Karres in einem internationalen Architekturwettbewerb durchgesetzt. Ihr Bau überzeugte Zeitgenossen durch seine „elegante Form“ und die „zweckmäßige Raumaufteilung“. Alles sollte auf modernstem Stand sein: Es gab eine große Rohrpost, einen zentralen Bettenbahnhof, eine Vollklimaanlage, drahtlose Such- und Wechselsprechanlagen und eine weitgehend automatisierte Küche, in der für jeden Patienten das Essen auf einem Tablett portioniert, mit einer Folie verpackt und auf die Station gebracht wurde. „Die Einrichtung entspricht dem neuesten Stand der Technik, der Patient wird auf das Beste versorgt werden können“, hieß es zur Einweihung.
Genau dieser neueste Stand ist heute hoffnungslos veraltet. Knapp 50 Jahre sind in der Architektur eine Epoche und in der Medizintechnik eine Ewigkeit. Für die einst gerühmte Klimaanlage gibt es beispielsweise nicht einmal mehr Ersatzteile. „Die verfügbaren Teile haben wir alle aufgekauft und eingelagert, aber ihre Restlaufzeit ist endlich“, sagt Joachim Gemmel, Geschäftsführer der Asklepios Kliniken Hamburg GmbH. Fatal sei auch die Energiebilanz. „Wäre die AK Altona ein Kühlschrank, hätte sie die Energieeffizienz G, also tiefrot“. Ein Großteil der Wärme verschwinde durch das Dach. Wie so viele Gebäude aus der Zeit ist die Bauqualität mäßig – und die Struktur mit der Trennung in Bettenhäuser und Funktionsbereiche überkommen.
Baulärm ist für Patienten kaum zumutbar
Bei Asklepios hat die Regierungserklärung des neuen Bürgermeisters deshalb die Laune spürbar verbessert. Peter Tschentscher hatte am Mittwoch überraschend erklärt, die „bisherige AK Altona durch einen modernen Neubau zu ersetzen“. Damit bekommt der Prozess eine neue Dynamik. „Wir überlegen seit zwei Jahren mit unseren Chefärzten und Mitarbeitern, wie wir den Standort weiterentwickeln können“, sagt Gemmel. „Jetzt ist eine Entscheidung da. Das freut uns.“
Bei Asklepios spielen auch die Erfahrungen aus Wandsbek eine Rolle. Dort hat der Konzern gerade das 1975 fertiggestellte Bettenhaus komplett saniert. „Der Baulärm etwa von Kernbohrungen ist Patienten kaum zumutbar“, sagt Gemmel. Die Sanierung im laufenden Betrieb ist nicht nur aufwendig, sie hat auch die Patientenzufriedenheit in Wandsbek negativ beeinflusst. „Und billiger wird es auch nicht – am Ende kommt man auf dasselbe raus.“
Neubau soll bis zum Jahr 2026 fertig sein
Derzeit gibt es auch im AK Altona eine Baustelle: An das Gebäude aus den 70er-Jahren wird ein intensivmedizinisches Zentrum gebaut. Es dürfte die letzte größere Maßnahme sein: Die Stadt hält die Klinik mit ihren 95.000 Patienten im Jahr für bedarfsnotwendig; mit rund 18.000 Notfällen, die Rettungsdienste jährlich bringen, liegt das AK Altona in Hamburg vorn.
Ein Neubau, der nach Vorstellungen des Senats möglichst schon bis 2026 und damit schneller als der Altbau vollendet werden soll, sähe ganz anders aus: Kliniken orientieren sich heute an den Prozessen und am Patientenfluss. Dementsprechend würde ein Neubau auf dem Krankenhausgelände eher fünf bis sechs als 20 Stockwerke haben und stärker in die Fläche gehen. „Größer muss es nicht werden trotz eines leicht steigenden Versorgungsbedarfs“, sagt Gemmel. „Es setzt aber etwas andere Schwerpunkte, auch wegen des Trends zur ambulanten Behandlung.“ Onkologie, Kardiologie und Neurologie würden ebenfalls wichtiger. Vermutlich wird sich die Zahl der Betten in dem Bereich der alten AK Altona bewegen – derzeit sind es 653.
Betrag von 250 Millionen Euro gilt als realistisch
Über die Investitionssumme schweigen sich die Verantwortlichen noch aus – aber ein Betrag von 250 Millionen Euro gilt unter Experten als realistisch. Kalkuliert man eine Bauzeit von vier Jahren ein, müssen Asklepios und die Behörde nun aufs Tempo drücken – denn auch Bauplanung und Genehmigungen dürften einige Jahre erfordern. In dieser Zeit müsste zudem ein Nutzungskonzept für das alte Krankenhaus entwickelt werden, dessen Ensemble unter Denkmalschutz steht.
Ein Abriss scheint deshalb kaum vorstellbar. Die Hochhausscheibe findet bis heute viele Anhänger, gilt sie doch als zeitlos und modern. Möglich, dass das Gebäude an die Stadt zurückfällt und etwa als Wohnheim eine neue Nutzung erfährt.
1977 zeichnete der Senat den Architekten Werner Kallmorgen mit dem Fritz-Schumacher-Preis aus – das Datum war mit Bedacht gewählt, in jenem Jahr jährte sich der Todestag des ehemaligen Oberbaudirektor Fritz Schumacher zum 30. und der Geburtstag des Chilehaus-Architekten Fritz Höger zum 100. Mal. Die Überschrift im Hamburger Abendblatt lautete damals: „Die Hansestadt ehrt drei große Architekten“.
Architekt Kallmorgen prägte Wiederaufbau
Kallmorgen hatte den Wiederaufbau der Hansestadt maßgeblich geprägt – er entwarf das Spiegel- wie das IBM-Hochhaus, den Kaispeicher A, auf dem heute die Elbphilharmonie ruht, oder das Ernst-Barlach-Haus im Jenischpark. Mit dem für die damalige Zeit behutsamen Wiederaufbau der Speicherstadt half er, das heutige Weltkulturerbe zu retten.
Mit der Kostenexplosion beim Krankenhaus in Othmarschen aber geriet der Altonaer Architekt immer stärker in die öffentliche Kritik: Ein CDU-Bürgerschaftsabgeordneter argwöhnte, Kallmorgen würde als SPD-Mitglied vom Senat bevorzugt. Verbittert verließ der damals 72-Jährige 1974 seine Heimatstadt, zog sich aus seinem Büro zurück, verkaufte seine Wohnung in Övelgönne und das Haus an der Elbchaussee und siedelte in ein ehemaliges Schulgebäude nach Oberbayern um. Der mit 20.000 Mark exorbitant hoch dotierte Preis war 1977 eine Wiedergutmachung für den verlorenen Sohn. Zwei Jahre später starb Kallmorgen in Heimhart bei Landau.
Sein Erbe dürfte noch einige Jahrzehnte an der Autobahnausfahrt Othmarschen an den Architekten erinnern.